Grundlagen der Visuellen Kommunikation. Stephanie Geise
Читать онлайн книгу.werden kann – und wie dies kritisch zu reflektieren ist.
Auch hierbei eingesetzte Inszenierungen gehören zum Objektbereich der Visuellen Kommunikationsforschung, sofern sich ihre Analyse nicht ausschließlich auf immaterielle visuelle Eindrücke, etwa in Form von Erlebnisberichten, stützen kann, sondern auch auf materielle Bilder, beispielsweise in Form von Videoaufzeichnungen oder Pressefotografien (vgl. Abb. 4–7, S. 33–36). Dabei kann eine Inszenierung allgemein als öffentliche Zurschaustellung eines Werkes, Ereignisses, einer Person oder eines Objekts definiert werden. Im engeren Sinn betrifft dies den Bereich der darstellenden Kunst, im weiteren Sinn alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Auch in der Werbung dargestellte Produkte, Popstars, Parteitage, Protestaktionen oder Demonstrationen werden aufwendig visuell inszeniert. Gerade die mediale Inszenierung von Wirklichkeit wurde wiederholt problematisiert, insbesondere im politischen Kontext (vgl. zur Diskussion Geise 2011a: 126–127). Das Phänomen politische Inszenierung ist aber keineswegs ein Produkt der heutigen Mediengesellschaft; vielmehr zieht es sich »wie ein roter Faden« durch die Geschichte, denn »alle Epochen sind von verschiedenen Erscheinungsformen der Dramaturgie, Theatralität und Körperlichkeit von Macht und Herrschaft geprägt« (Arnold/Fuhrmeister/Schiller 1998: 9; vgl. Zanker 1997). Politische Inszenierung lässt sich insofern als »Arbeit an der politischen Deutungskultur« (Sarcinelli 1998: 148; 2005), als »Form der Darstellung« verstehen (Schicha 2003: 8–9), bei der bestimmte Präsentationstechniken angewandt werden, um ein Ereignis, eine Person, ein Objekt oder Werk für ein Publikum visuell in Erscheinung zu bringen und es dabei mit einem entsprechenden visuellen Interpretationsrahmen zu versehen (vgl. Kapitel 15).
Das Besondere an der strategischen Inszenierung heute scheint zu sein, dass, im Zuge der Professionalisierung der politischen Kommunikation (vgl. Swanson/Mancini 1996), politische Akteure zunehmend die Strategien der Inszenierung auf »Pseudo-Ereignisse« anwenden, die nicht genuin vorliegen, sondern explizit erst für die Inszenierung geschaffen werden und Ergebnis einer bewussten Planung sind (vgl. Boorstin 1992; Kepplinger 2001).
Ein häufig thematisiertes Beispiel hierfür ist etwa die spektakuläre Landung von US-Präsident George W. Bush auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln im Mai 2003 (Abb. 4) vor der kalifornischen Küste, wo er die historische »Mission Accomplished«-Rede zum vermeintlichen Sieg über den Irak hielt (Abb. 7, S. 36).
Für seinen Auftritt war der damalige amerikanische Präsident nicht nur in voller Pilotenmontur in einem Viking-Kampfjet auf dem Flugzeugträger gelandet; damit die heimische kalifornische Küste im Hintergrund nicht auf den Fotografien zu sehen war, sondern der Eindruck entstehen konnte, der Präsident befände sich in der Kampfesregion, war die Plattform für die Aufnahmen um 180 Grad gedreht worden. Auch wenn die medienwirksame Inszenierung – die von visuellen Stereotypen und bekannten Gesten aus dem Spielfilmgenre geprägt war (vgl. Abb. 4–7, S. 33–36) – heute eher als Symbol für eine fehlgeschlagene Strategie im Irakkrieg stehen mag, dürfte die Szene damals die angestrebte magische Überhöhung Bushs als »Super-Hero« und seine Wahrnehmung als siegreicher »Commander in Chief« in der breiten amerikanischen Bevölkerung unterstützt haben. Vor dem Hintergrund des 2003 vom US-Verteidigungsministerium verhängten, eingeschränkten Zugangs von Journalisten zum Kriegsgeschehen (embedded reporting) erschien die mit Hollywood-Pathos von »Top Gun« (1986) und »Independence Day« (1996) (Abb. 4–7) aufgeladene Inszenierung zunächst wirkungsmächtig. Je länger jedoch der Irak-Krieg andauerte, desto mehr entlarvte sich das plakative Versprechen der abgeschlossenen Kampfesmission als eine an der Realität gescheiterte Fiktion.
Abb. 4: Präsident George W. Bush in Kampfjet-Montur zusammen mit der Crew auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln am 1. Mai 2003
Wie das Beispiel verdeutlicht, sind Inszenierungen bewusst gestaltete Realität. Die Frage, die sich in einer Demokratie stellt, ist dabei insbesondere, wie transparent diese Gestaltungsprozesse sind. Zudem muss erörtert werden, ob mit einer wachsenden Inszenierung von Realität nicht das Misstrauen gegenüber der Ereignisauthentizität steigt oder gar ein Realitäts- bzw. Vertrauensverlust zu beklagen ist. Hier bleibt die kritische Diskussion um die Entkoppelung des politischen Systems von realen Fakten bestehen (Swanson/Mancini 1996: 270): »Certainly, the most worrisome aspect of new-style electoral politics is its potential for diverting attention from political realities to a fabricated world of virtual politics« (H.d.V.).
Jenseits dieses normativen Diskurses bietet sich für die Analyse und Interpretation von Inszenierungen ein visueller Ansatz an. Eine »Inszenierung« in der Visuellen Kommunikationsforschung ist dabei ein wertneutraler Begriff, der auf komplexe, mehrdeutige visuelle Phänomene Anwendung findet, die strategisch gestaltete Wirklichkeit widerspiegeln. Dabei zählen die Bilder inszenierter Ereignisse zu den schwierigsten »Objekten« der Visuellen Kommunikationsforschung. Nicht nur ihre multimediale Struktur, auch die Notwendigkeit, in nur wenig Transparenz aufweisende Zusammenhänge einzudringen, macht die Analyse von visuellen Inszenierungen zu einer wissenschaftlichen Herausforderung. Der Inszenierungsbegriff kann dabei auf inszenierte Einzelbilder ebenso angewendet werden wie auf (Bewegt-)Bilder inszenierter Veranstaltungen, wie etwa Filmsequenzen der Olympischen Spiele, von Rockkonzerten, Demonstrationen oder Parteitagen. Der Objektbereich ist damit denkbar weitgefasst. Die Inszenierungsanalyse ist dabei nach wie vor ein zukunftsträchtiges Forschungsfeld, das bislang kaum bestellt ist (vgl. Arnold/Fuhrmann/Schiller 1998; Früchtl/Zimmermann 2001).
Abb. 5: Der Schauspieler Bill Pullman als President Whitmore in »Independence Day« (1996) nach gewonnener Schlacht in Kampfpilotenmontur
Abb. 6: Der Schauspieler Tom Cruise in der »Top Gun«-Rolle als »Maverick« (1986)
Von ihrer Wirkungsrichtung her zielen Inszenierungen – ähnlich wie visuelle Repräsentationen – meist auf die bewusste Modellierung eines intendierten Images. Abgeleitet vom Lateinischen »imago«, was so viel wie »Bild/Vorstellung« bedeutet, bezeichnet ein Image ein mentales Konstrukt von einem Objekt oder einer Person, das auf Basis bewusst und unbewusst wahrgenommener (Medien-)Bilder, Fakten, Assoziationen, Erfahrungen oder Bewertungen beim Rezipienten entsteht (vgl. Boush/Jones 2006; Kotler/Keller 2011). Analog dazu definiert Salcher (1995: 132) Image als »das Vorstellungsbild eines Gegenstandes oder einer Person in Form einer Komplexqualität von Gefühlen, Einstellungen, Haltungen und Erwartungen, die zusammen das Verhalten des Individuums bezüglich dieses Gegenstandes prägen«. Images sind also nicht objektiv, eindeutig und umfassend, sondern subjektiv und damit mehrdeutig, selektiv, häufig stereotyp und häufig unbewusst. Als mentales Bild ist ein Image vor allem eine visuelle Vorstellung. Die Ambivalenz, d. h. die Mehrdeutig-keit von Images, liegt nicht zuletzt in eben jenem »visuellen Charakter« begründet: Bilder sind prinzipiell mehrdeutige Kommunikationsformen, da ihre Bedeutungen von der Interpretation der jeweiligen Betrachter abhängen. Da diese Bedeutungszuweisungen assoziativ generiert werden, hängen die Interpretationen wiederum von den jeweiligen Bildassoziationen der Betrachter ab. Ein Image ist im Unterschied zu einem Abbild aus dieser Perspektive komplexer, weil es zu einem wesentlichen Teil immateriell ist. Abbilder, wie beispielsweise Werbefotografien (Abb. 28, S. 73), dienen meist nur als Assoziationsanreize, die ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Person