Medienrezeptionsforschung. Helena Bilandzic
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Die Sendungen werden mit dem eigenen Leben verknüpft und entsprechend der eigenen Erfahrungen und Lebenssituation interpretiert.
Drei Arten von Gratifikationen, die die Hörerinnen für die Nutzung der Sendungen angeben, werden deutlich: 1. Die Sendungen bieten emotionale Erleichterung, indem sie ihren Hörerinnen eine Gelegenheit geben, Gefühle zu empfinden, die in ihrem Leben sonst keinen Platz haben, und ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen (vgl. »chance to cry«, S. 70). 2. Uminterpretation des eigenen Lebens: Die Sendungen erlauben es, andere Schicksale stellvertretend zu erleben und somit die eigenen Probleme zu vergessen, glückliche (fiktionale) Momente auszukosten und empfundene Unzulänglichkeiten des eigenen Lebens zu kompensieren. 3. Lebenspraktische Hilfe: Die Sendungen bieten ihren Hörerinnen Erklärungen und Ratschläge für alltägliche Vorgänge und Phänomene an und können die Welt weniger bedrohlich erscheinen lassen.
1.2 Wichtige Begriffe
1.2.1 Kommunikation
Medienrezeptionsforschung setzt sich also mit der Verarbeitung und dem Erleben von Medien und medienvermittelten Inhalten auseinander. Die Rezeption ist in einen umfänglicheren Prozess der Kommunikation eingebunden – was aber ist Kommunikation?
Kommunikation ist nur in einem ganz technizistischen Sinne die Übertragung von Information (vgl. Sullivan, 2013, S. 3). Man kann durchaus erwarten, dass ein E-Mailprogramm alle eingespeisten Informationen vom Sender-Server zum Empfänger-Server überträgt. Bei Menschen, die auf der einen Seite Bedeutung in Botschaften packen und auf der anderen Seite Botschaften durch Bedeutung verstehen, kann man nicht von einer Übertragung sprechen: Es ist schließlich nicht gesagt, dass die intendierte Bedeutung auch wirklich beim Empfänger ankommt (in diesem Sinne also übertragen wird). Eine Sichtweise, die die Bedeutungen stärker in den Vordergrund stellt, ist hier angebrachter: Kommunikation wird als »Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen« (Maletzke, 1963, S. 18, kursiv im Orig.) gesehen. Stöber identifiziert drei Randbedingungen für Kommunikation zwischen Menschen, die die bedeutungsorientierte Sichtweise gut illustrieren (vgl. Stöber, 2008, S. 45 f; ähnlich auch Pürer, 2014, S. 66 f.):
1 Kommunikation ist intentional, das heißt, sie ist ein sinnvolles, mit einem subjektiven Sinn ausgeführtes Handeln – es verfolgt also einen bestimmten Zweck;
2 Kommunikation ist reflexiv, also auf andere Menschen bezogen und ihre Reaktionen antizipierend;
3 Kommunikation ist vermittelt durch abstrakte Symbole, die auf Bedeutungskonventionen beruhen und in einer Sprachgemeinschaft gültigen Regeln folgen.
Die Kommunikationswissenschaft setzt sich – obwohl der Name es nahelegen würde – nicht mit allen Formen der Kommunikation auseinander. Es geht meist um eine medienvermittelte Kommunikation, die die oben genannten Randbedingungen auf charakteristische Weise einschränkt.
1.2.2 Medien
Wir sind so selbstverständlich von Medien umgeben und haben ihre Präsenz derart verinnerlicht, dass wir zu wissen scheinen, was der Begriff bedeutet. Was trivial erscheint, ist natürlich zu hinterfragen und verdient einen genauen und neugierigen Blick. Pürer (vgl. 2014, S. 68 f.) unterscheidet in Anlehnung an Harry Pross zwischen primären, sekundären und tertiären Medien:
Primäre Medien umfassen die menschliche Sprache sowie nicht-sprachliche Mittel der Kommunikation, die vom Menschen ausgehen, etwa Mimik, Gestik und Körperhaltung. Primäre Medien vermitteln Bedeutung zwischen Menschen, die miteinander in direktem Kontakt stehen und keiner technischen Übermittlung bedürfen.
Sekundäre Medien konservieren Bedeutung über den persönlichen Kontakt hinaus; sie erfordern eine technische Ausstattung auf Seiten des Kommunikators, nicht aber auf Seiten des Rezipienten – Schrift und Druck sind Beispiele dafür.
Tertiäre Medien vermitteln Kommunikationsvorgänge, die sowohl beim Kommunikator als auch beim Rezipienten technischer Vermittlung bedürfen: Hierzu zählen elektronische und digitale Massenmedien, aber auch Mittel der Individualkommunikation wie etwa das Telefon oder E-Mail.
Die Kommunikationswissenschaft beschäftigt sich vorwiegend mit den Prozessen, in die tertiäre Medien involviert sind – das schließt aber kommunikative Vermittlung durch Sprache und Schrift natürlich ein. Demnach sind auch in der Rezeptionsforschung vor allem die Prozesse relevant, die rund um das Rezipieren von Kommunikation erfolgen, welche durch tertiäre Medien vermittelt ist.
Damit zusammen hängt der Vermittlungsmodus (vgl. Stöber, 2008, S. 40): Ein One-to-One-Vermittlungsmodus entspricht der typischen Situation in der Face-to-Face-Kommunikation (dem Gespräch von Angesicht zu Angesicht) oder auch dem Telefonat. Der One-to-Many-Modus ist die typische Situation in der Massenkommunikation (unten mehr dazu), in der z. B. professionelle Kommunikatoren einen Inhalt für viele Menschen produzieren. Schließlich ist der Modus Many-to-Many der typische Fall der vernetzten, partizipativen Kommunikation, bei der viele Menschen zu einem Inhalt (z. B. einem Wiki-Eintrag) beitragen, der wiederum einem größeren Personenkreis zugänglich ist.
1.2.3 Massenkommunikation
Die klassische Massenkommunikation nimmt immer noch einen besonderen Stellenwert in der Kommunikationswissenschaft und der Rezeptionsforschung ein. Maletzke definiert Massenkommunikation als »jene Form der Kommunikation, bei der Aussagen öffentlich (also ohne begrenzte und personell definierte Empfängerschaft), durch technische Verbreitungsmittel (Medien), indirekt (also bei räumlicher oder zeitlicher oder raumzeitlicher Distanz zwischen den Kommunikationspartnern) und einseitig (also ohne Rollenwechsel zwischen Aussagendem und Aufnehmendem) an ein disperses Publikum […] vermittelt werden« (Maletzke, 1963, S. 32, kursiv im Orig.). Das disperse Publikum ist dabei eine interessante Konstruktion, die nötig wird, wenn man ein Publikum nicht über die physische Anwesenheit bei einem Ereignis definieren kann. Für Maletzke konstituiert sich das disperse Publikum durch die Zuwendung zu einem massenmedial vermittelten Inhalt. Wenn die Zuwendung beendet ist, ist auch das disperse Publikum nicht mehr existent. Insofern sind Publika »keine überdauernden sozialen Gebilde« (Maletzke, 1963, S. 28); ihre Mitglieder sind räumlich voneinander getrennt – mit Ausnahme von Individuen, die in einer natürlichen Gruppe Medien nutzen (Familie, Freunde) (ebd.).
Daran schließt sich die Frage an, was Publika eigentlich sind. Bei einem Präsenzpublikum ist es ganz einfach: Wer im Kinosaal oder im Theater während einer Aufführung sitzt, gehört zum Präsenzpublikum. Mit zunehmender räumlicher und zeitlicher Trennung und einer technischen Übertragung wird auch das Publikum weniger greifbar und abstrakter (vgl. Sullivan, 2013, S. 2 ff.). Daher spricht man vom Publikum als einer diskursiven Konstruktion (vgl. Bratich, 2005, S. 243), die empirisch, theoretisch oder politisch zustande kommt und keine greifbare Entsprechung in der Realität hat (vgl. Hartley, 1992, S. 105). Wie auch Maletzke betont, ist das Konzept des Publikums nicht als stabile Rolle zu verstehen, die jemand ständig innehat: Ein Mensch trägt sie nur in der spezifischen Mediensituation, nicht aber darüber hinaus; und nur unter der Bedingung, dass er oder sie sich einem Medium zuwendet – das Publikumskonzept ist demnach situativ und kontingent (vgl. Sullivan, 2013, S. 6; Bratich, 2005).
1.3 Neue Medienumgebungen, neue Rezeptionsweisen?
1.3.1 Veränderungen in der heutigen Medienlandschaft
Die technische Basis der heutigen Medienlandschaft ist die Digitalisierung, die Aufnahme, Übertragung und Wiedergabe von Text, Bildern und Tönen in einem digitalen Code (vgl. Sullivan, 2013, S. 216); neben einer Effizienz in der Speicherung und Übertragung hatte diese Entwicklung auch den Vorteil, bestimmte Informationsformate (z. B. Text, audiovisuelle Produkte) von der vormals fest damit verknüpften technischen Plattform zu entkoppeln (z. B. Zeitung, Fernsehen) und auf vielen verschiedenen Endgeräten zugänglich zu machen (z. B. Computer, Mobiltelefon, Tablet) (ebd.). In der gegenwärtigen Medienlandschaft verschwimmen die Grenzen zwischen den Medien aus diesem Grunde. Die Medien konvergieren, sie nähern sich an, weil Inhalte, die ursprünglich von verschiedenen Massenmedien bereitgestellt wurden, nun auf einem Endgerät wiedergegeben werden können (vgl. ausführlich zur Konvergenz: Dwyer, 2010; Nightingale & Dwyer, 2007). Zugleich ist Konvergenz