PLATON - Gesammelte Werke. Platon
Читать онлайн книгу.nicht auf den »Parmenides« allein, sondern auch auf die übrigen Gespräche mag es nützlich sein hier einen vergleichenden Blick zu werfen, um von diesem wichtigen Punkte aus eine Prüfung unserer bisherigen Anordnung zu veranlassen. Zuerst ist der »Sophist« offenbar der Gipfel alles antisophistischen in Platonischen Gesprächen, und kein Gespräch wovon dieses ein Hauptbestandteil ist läßt sich später als das unsrige geschrieben denken, es müßte denn der Schriftsteller noch ungeschickter als den Mostrich nach der Mahlzeit aufgetragen haben. Denn ein so vollständiges Verfahren wie hier, durch welches dem Gegenstande sein Platz in der Ordnung der Dinge angewiesen wird, muß seiner Natur nach das letzte Glied der Untersuchung sein, und die ganze Sache abschließen. Denn ein Werk worin das mimische so sehr das herrschende ist, wie im »Protagoras«, muß einem Gespräch wie das unsrige eben so weit vorangehn, wie anderwärts mythische Darstellungen den Erzeugnissen einer dialektisch gediegenen Spekulation vorangehen. Auch bietet uns der »Protagoras« noch einen anderen wenn gleich untergeordneten Vergleichungspunkt dar. Was nämlich dort von der Schlechtigkeit und Untugend gesagt war, das wird hier offenbar durch die Aufstellung zweier Arten derselben aufgehellt und gegen Mißverständnis gedeckt; so daß man sagen kann, der »Sophist« bringe in dieser Hinsicht auf der einen Seite den »Protagoras« in Übereinstimmung mit dem »Gorgias« und auf der andern Seite bilde er den Übergang zu der in den Büchern vom Staate herrschenden ethischen Ansicht. Im »Gorgias«, der freilich mehr antirhetorisch ist als antisophistisch, finden wir den Gebrauch der Idee, des Bildes und der Nachahmung um daraus das falsche und schlechte zu erklären offenbar als einen früheren, weil er dort nur hypothetisch aufgestellt, hier aber erst ordentlich abgeleitet und befestigt ist. Auch beruft sich der »Sophist« auf den Schein des Gerechten als auf etwas bekanntes, und stellt eine solche Verwandtschaft der Rhetorik und Sophistik auf, daß beide in der Idee des Scheins zusammentreffen. Wie nun gar der »Euthydemos« überall im »Sophisten« vorausgesetzt, und Alles nur kurz abgefertiget wird, worüber Platon sich auf ihn berufen konnte, z. B. darüber, daß das Nichtseiende auch nicht einmal könne ausgesprochen werden, oder darüber daß, wer falsches über eine Sache sage, auch gar nicht von der Sache rede, das leuchtet von selbst ein; so wie auch Jeder leicht findet, daß Manches im »Euthydemos« zu kurz berührte, wie daß der Satz, es gebe kein Falsches, sich selbst umwerfe, hier weiter ausgeführt ist. Vergleicht man ferner das Gemeinschaftliche des »Kratylos« und des »Sophisten«, so kann man wohl kaum zweifeln, daß die Erläuterungen über Bild und Nachgeahmtes die in jenem Gespräch vorkommen dem Gebrauch der hier von denselben Gedanken gemacht wird, vorangegangen seien. Zumal wenn man sieht, wie sich der Fremde leicht mit der Erklärung, das Bild sei ein einem Wirklichen ähnlich gemachtes anderes solches, begnügt, im »Kratylos« aber erst große Erläuterungen darüber gegeben werden, daß das Bild nur äußerlich und zum Teil dasselbe sein kann wie das Urbild; ja auch der Art, wie das Bild zuerst eingeführt wird im »Sophisten«, kann man leicht die Beziehung auf den »Kratylos« anmerken. Eben so könnte sich Platon schwerlich so kurz ausgedrückt haben über das Verhältnis zwischen Gedanken und Rede, wenn er nicht die Worte schon als unmittelbare Nachbildungen der Dinge und Handlungen selbst dargestellt hätte. Von diesen Punkten aus wird gewiß jeder Schein eines entgegengesetzten Zeitverhältnisses sich leicht zerstreuen lassen. Und wie wäre wohl Platon dazu gekommen, gleich im Anfange dieses Gesprächs alles Erkennen nicht als ein Hervorbringen sondern nur als ein Aneignen zu betrachten, und wie sollte er bei seiner Genauigkeit sich gestattet haben dies so ohne weiteres zu behaupten, wenn er nicht rechnen durfte auf das, was seinen Lesern durch den »Menon« klar sollte geworden sein?
Diese kurze Auseinandersetzung wird hoffentlich hinreichen, um jetzt mit Beziehung auf manches früher schon gesagte auch die Trennung des »Sophisten« vom »Theaitetos«, ohnerachtet beide so genau in Verbindung miteinander gesetzt sind, dennoch vollständig zu rechtfertigen. Denn wenn von einigen der dazwischen gestellten Gespräche deutlicher geworden ist, wie sie sich an den »Theaitetos« anschließen und aus ihm entwickeln, von anderen wieder wie sie vom »Sophisten« vorausgesetzt werden: so ist doch beides zusammengenommen von jedem zu deutlich, als daß über ihre Stellung in Bezug auf diese beiden Gespräche ein Zweifel entstehen könnte. Aber auch unmittelbar ist gewiß, daß der »Sophist« auf dem »Theaitetos« beruht und ohne den festgesetzten Unterschied zwischen Erkenntnis und Vorstellung, und was über die erstere aus dem »Theaitetos« soll geahnet werden, ganz unverständlich sein würde; so wie daß dies in der Tat seine hinreichende Begründung ist, und er keiner andern wesentlich bedarf. Man denke sich aber dennoch, er sollte unmittelbar auf den »Theaitetos« gefolgt sein, und also alles, was er jetzt zumal aus dem »Menon« und »Euthydemos« voraussetzen kann, selbst in sich enthalten, ob er dann nicht notwendig ein unförmliches Werk geworden wäre für die Platonische Komposition, und wenn zu seinen jetzigen Schwierigkeiten noch solche Überfüllung und Verwickelung hinzugekommen wäre, ob dann nicht auch ein völlig unverständliches. Nur soll hiemit nicht gesagt sein, Platon habe mit dem vollständigen Entwurf zu diesem Gespräch in seinem Haupte jene andern Gespräche absichtlich um des künftigen willen vorangeschickt; sondern nur so, wie man von der Entwickelungsgeschichte innerer Bildungen vernünftiger Weise reden kann, will dies verstanden sein. Daher es auch schwerlich lohnt, über das Wiederbescheiden am Ende des »Theaitetos« und das Anknüpfen am Anfang des »Sophisten« eine bestimmtere Erklärung zu geben, die sich jeder, dem die in der Einleitung zum »Menon« gegebene nicht genügt, selbst wird machen können.
DER SOPHIST
THEODOROS • SOKRATES • FREMDER AUS ELEA • THEAITETOS
(216) Theodoros: Der gestrigen Verabredung gemäß, o Sokrates, stellen wir selbst uns gebührend ein, und bringen auch hier noch einen Fremdling mit, seiner Abkunft nach aus Elea, und einen Freund derer die sich zum Parmenides und Zenon halten, einen gar philosophischen Mann.
Sokrates: Solltest du etwa, Theodoros, dir unbewußt nicht einen Fremdling, sondern einen Gott mitbringen nach der Rede des Homeros, welcher ja sagt, daß sowohl andere Götter solche Menschen, die an Recht und Scham festhalten, als auch besonders der gastliche, zu geleiten pflegen um den Übermut und die Frömmigkeit der Menschen zu beschauen: Vielleicht also begleitet auch dich auf dieselbe Art dieser, einer der Höheren, um uns die wir noch so gering sind im Reden heimzusuchen und zu überführen, ein überführender Gott?
Theodoros: Nicht ist dieses die Weise des Fremdlings, o Sokrates; sondern bescheidener ist er als die, welche sich auf das Streiten gelegt haben. Und es dünkt mich der Mann ein Gott zwar keinesweges zu sein, göttlich aber gewiß; denn alle Philosophen möchte ich so benennen.
Sokrates: Und richtig, o Freund. Nur mag wohl dieses Geschlecht, daß ich es heraussage, nicht viel leichter zu erkennen sein, als das der Götter. Denn in gar mancherlei Gestalten erscheinen wegen der Unwissenheit der Andern, diese Männer, die nicht angeblichen sondern wahrhaften Philosophen, und durchgehen die Gebiete der Menschen betrachtend von oben her der Niedern Leben, und Einigen scheinen sie gar nichts wert zu sein, Anderen über alles zu schätzen, und werden bald für Staatsmänner angesehen, bald für Sophisten; ja bisweilen sind sie Einigen schon vorgekommen als gänzlich verwirrte. Von unserm Fremdling nun möchte ich gern vernehmen, wenn es auch ihm gelegen wäre, was doch die dortigen Ortes hievon hielten und sagten.
Theodoros: Wovon denn?
(217) Sokrates: Vom Sophisten, Staatsmann, Philosophen.
Theodoros: Was doch eigentlich? Und was für Ungewißheit hast du hierüber, daß dir dies zu fragen eingefallen ist?
Sokrates: Diese, ob sie dies Alles für einerlei hielten oder für zweierlei, oder ob sie, so wie die drei Wörter, so auch drei Gattungen unterscheidend, nach der Zahl der Namen mit jedem auch einen besondern Begriff verknüpften?
Theodoros: Er wird ja, wie ich meine, kein Bedenken haben, dies durchzugehen. Oder was, o Fremdling, wollen wir sagen?
Fremder: Eben dies, Theodoros. Denn weder habe ich ein Bedenken, noch ist es schwer zu sagen, daß sie es ja wohl für dreierlei hielten. Einzeln aber genau zu bestimmen, was jedes ist, das ist kein kleines noch leichtes Geschäft.