Rentadep. Jens Otto Holländer
Читать онлайн книгу.auf Opiaten. Ich war voll auf Alkohol und dabei kaputt zu gehen.“
„Und dann?“
„Dann musste ich zum Arzt. Fettleber, beginnende Zirrhose, Hepatitis C, wer weiß woher, entzündete Pankreas. Es gab eine Teambesprechung und der Arzt befürwortete meine Aufnahme in das Programm und eine Hepatitis Behandlung wurde eingeleitet. Ich bekam eine relativ kleine Dosis, die sich in den ersten sechs Monaten aber steigerte. Ich nahm anfangs nur einmal, dann zweimal dann dreimal täglich Euphorin. Es dauerte fast ein Jahr bis zu meiner jetzigen Erhaltungsdosis. Und ich habe seither fast nichts mehr getrunken. Heute Abend ein paar kleine Bier. Das kommt im Jahr zwei oder dreimal vor. Mehr nicht. Klar bin ich abhängig von Euphorin, doch es gibt im Grunde nichts, was deswegen nicht tun kann. Und ich fühle mich nicht nur gesund, ich bin es auch, wie sämtliche Untersuchungen beweisen.“
„Nimm es mir nicht übel, aber für mich klingt das so, als hätten die dich wissentlich abhängig gemacht.“
„Das ist doch Quatsch. Ich war schwer suchtkrank und Euphorin war mein Mittel der ersten Wahl. Mich hat niemand von irgendwas abhängig gemacht. Außerdem bin ich nicht die einzige Alkoholikerin bei Rentadep. Mein Beispiel hat Schule gemacht und schon einige haben mittels Euphorin den Sprung ans trockene Land geschafft. Und die Idee ist auch nicht von Rentadep. Es gab früher schon Versuche Alkoholiker mit Opiaten vom Trinken weg zu bekommen. Das ganze verteufeln von Opiaten. Sie haben so einen schlechten Ruf, weil sie sich relativ rasch, für den Organismus unentbehrlich machen. Aber dabei bleibt es dann auch. Man kann damit 90 Jahre alt werden. Alkohol ist ein Zellgift und zerstört so ziemlich alles. Hirn, Magen, Darm. Ein echtes Zellgift. Und Euphorin ist eben ein maßgeschneidertes Opiat nur für Abhängige. Kein nicht abhängiger Mensch erhält Euphorin verschrieben. Und ich bin froh, dass ich so den Absprung vom Alkohol hinbekommen habe.“
„Weil sie eine Sucht mit einer anderen vertauscht haben.“
„Warum sagst du sowas? Das klingt so, als fändest du es nicht richtig.“
„Du kennst doch meine Meinung zu eurem Laden. Ich finde ihr lockt die Mäuse mit einem besonders leckeren Käse, aber eine Falle bleibt es trotzdem. Die Leute werden abhängig gemacht und dürfen als Belohnung dafür umsonst arbeiten“.
„Die Leute SIND abhängig, wenn sie zu uns kommen,“ schrie sie fast, „ihr soziales Leben ist ein Trümmerhaufen und wir verhelfen ihnen zu etwas Achtung und Respekt, vor sich selbst und der Gesellschaft“
„und beutet sie dabei aus.“ beendete er den Satz.
Sabine hatte sich in Rage geredet und atmete heftig.
„Wenn du mich damals gesehen hättest, würdest du nicht so abfällig reden“.
Er nahm sie in den Arm und küsste sie auf Mund, Wangen, Stirn.
„Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht verletzen. Ich finde du machst deinen Job gut. Du warst offen und ehrlich in unserem Gespräch vor paar Wochen. Ich bin einfach selber so unsicher, ob ich nun wechseln soll oder nicht und da versuche ich wahrscheinlich, mir das Programm madig zu machen, um zu einer Entscheidung zu kommen.
Verdienst du eigentlich etwas?“
„Die Wohnung wird bezahlt und zur Sozialhilfe darf ich pro Woche noch einen Hunni behalten und den bekomme ich von Rentadep. Rentadep ist meine Heimat. Ich liebe die Arbeit und stehe voll dahinter.“
Sie küssten sich, er legte sich wieder hin, sie streichelten sich und liebten sich erneut, im Lichte der Lavalampe.
WE
Freitag gegen halb drei Nachmittags, verließ Charlotte ihr Büro im Stuttgarter Norden. Aus der Tiefgarage kam soeben ihr Softmobil Voyager ein Elektroauto der Luxusklasse, welches ohne Hilfe vom Fahrer fuhr. Der Wagen bremste, die Türe sprang auf und sie stieg ein. Sie gab per Sprachbefehl die Adresse ihres Zielortes an, mit einem Zwischenhalt bei einem Feinkostgeschäft in Reutlingen. Der Wagen hatte längsseits und hinten eine bequeme weiche Rückbank, nach vorne längs Polster, um die Beine hochzulegen, vorne einen kleinen Sitz mit einem lächerlich kleinen, sich von selbst drehenden Lenkrades, einen in der Frontscheibe integrierten Bildschirm, natürlich Sprachsteuerung und Vernetzung mit allen Alltagsrelevanten Systemen, sowohl den Autobahnen und Bundesstraßen Leitsystemen bis zum PC in Charlottes Haus, dem gemeinsamen Bungalow auf der Alb und eingeschränkt, mit ihrem Büro, in der Lenzhalde im Stuttgarter Norden. Der Voyagerl fuhr mit leichtem seufzen sanft los und Charlotte streifte die Pumps ab, streckte die Beine auf den Polstern aus und sah gedankenverloren aus dem Fenster, während das Softmobil gerade Degerloch passierte und in Richtung Echterdingen fuhr. Die Frontscheibe konnte auf Befehl zum Monitor umschalten und man sah Naturimpressionen, Filme, Nachrichten, was man wollte. Drei der Scheiben hatten eine Zoomfunktion und man konnte weiter entfernte Personen oder Gegenstände zum näheren Betrachten heran zoomen. Das Soundsystem war super. Man konnte den Wagen auch künstlich verdunkeln, falls man schlafen wollte und selbstverständlich konnte von außen keiner hineinsehen, wenn man dies nicht wollte. Pedale gab es nicht mehr. Das lief alles über kleine Tasten am Lenkrad oder durch Befehle, schneller, langsamer, hier parken, links, rechts, wenden, aber diese Mühe machte sich kaum jemand. Wer so ein E Mobil der gehobenen Klasse hatte, überließ sich gerne der Technik. Charlotte lag entspannt halb hingestreckt, während ihr Nacken eine entspannende warme Massage durch die ergonomisch geformte Lehne erhielt.
„Was liegt dieses Wochenende an?“ Eine wohltönende warme männliche Stimme erklang.
„In 43 Minuten Stopp bei Feinkost Friesinger, Pfullingen. Heute Nachmittag, Zeit unbestimmt, Treffen mit Jo. Ankunft dort um 16:24 Uhr. Samstag 19.00 Abendessen und Theater mit Artur, Stuttgart, Staatstheater, Wagen ist bestellt auf 18.50 Uhr. Sonntagabend 19 Uhr High Heels Stuttgart, Panoramastraße, Termin Claudia Ulrich.
Sonntagabend 21 Uhr, Treffen mit Yvonne, Büro Lenzhalde.
Das sind alle mir vorliegenden Termine. Wenn sie einen kleinen Checkup wünschen ergreifen sie den stick bitte.- Charlotte umfasste einen Griff, ähnlich des Griffes eines Skistockes und drückte ihn ca. 5 Sekunden leicht. Kurz darauf erklärte die angenehme männliche Stimme:
„Beim Berühren des Softmobiltürgriffes haben mir meine Sensoren gemeldet, das sowohl ihr Hauttonus, als auch –Turgor ein leichtes Defizit aufweise. Daher empfehle ich Ihnen ein Glas Canstatter Mineralwasser zu trinken, unter ihnen im Kühlfach. Oder, da unsere Fahrt noch über eine Stunde dauert, könnten sie dazu auch ein Glas Weißwein, in Erwägung ziehen. Die Pupillen und Augenreflexe deuten auf leichte Ermüdung hin. Schlafen sie sich aus. Ihre Lendenwirbelsäule ist etwas verspannt, wenn sie das Go geben werde ich einen Termin bei ihrer Physiotherapeutin vereinbaren. Ansonsten machen sie einen entspannten Eindruck, die ausgeatmeten Gase entsprechen der Norm, Kreislauf, Blutdruck und Puls sind top. Einer leichten Vitamin D Minderversorgung könnten sie durch Dragees a 1000 Einheiten, neben dem Kühlfach unter ihnen, begegnen. Täglich ein Dragee. Der Frühling steht ja schon vor der Haustüre. Kleiner Checkup Ende.“ „Physio Go“ sagte Charlotte kurz. Das Kommunikationssystem fuhr fort „ Das bestellte Lunchpaket bei Spezialitäten Friesinger in Reutlingen und die bestellten Getränke, sind bezahlt und werden zum Wagen gebracht.
Ein schönes WE, Charlotte.“
„Danke“ murmelte sie, vergessend, dass sie mit einem Steuerungssystem kommunizierte.
Vierzig Minuten später holte sie ihr vorbestelltes Paket ab und der junge Mann der ein Kistchen mit drei Flaschen Champagner und einem teuren Cognac zum Wagen trug, hatte alle Mühe, der Kundin mit dem sexy Outfit nicht ins Dekolletee zu starren. Als er die Getränke verstaut hatte, lächelte sie ihn an und gab ihm 10 EU$. Der Lehrling, völlig überwältigt von Charlottes Präsenz, bedankte sich und ging mit rotem Kopf zurück in den Laden. Das Softmobil glitt lautlos den Albanstieg hinauf durch den Wald, als in ihrem elektronischen Kalender für Do 17 Uhr Termin Physiotherapie aufleuchtete. „Dach auf“ das große Schiebedach öffnete sich lautlos, während sie durch den Frühlingswald rauf auf die Alb fuhren. Sie hörte Vogelgezwitscher und der Wind blies mit leichtem Rauschen durch die Bäume. Die Luft war klar und kühl, doch im Wagen blieb es trotzdem angenehm warm. Hmm war