Die Dorfbrunners. Helmut Lauschke

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Die Dorfbrunners - Helmut Lauschke


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der Städte gingen.

      Die Falle mit der Freiheit des Menschen, die in der zweiten Frage steckte, hatte Eckhard Hieronymus früh genug aufgespürt, als dass sie ihm den Hals abgedrückt hätte. Es ist ganz natürlich, dass der Mensch für sich selbst entscheiden will, welchen Weg er gehen will, beim Treffen der Entscheidung nicht bevormundet oder sonstwie gedrängt werden will. Das tut der Glaube auch nicht, davon war er fest überzeugt. Doch ist die feste Burg des Glaubens das sicherste Fundament für die richtige Entscheidung. Wenn die Kartoffel faul ist, dann stimmt es mit dem Boden auch nicht. Dagegen stimmt es mit dem Boden, wenn die Kartoffel groß und hart ist. Glaubenskriege sind das Armutszeugnis der Menschheit. Wenn die Sprache versiegt, das Wort zum Gespräch nicht mehr gesucht wird, die Gewalt über Glauben und Leben entscheidet, dann ist der Abgrund der Verwerfung erreicht, weil da geprügelt und getötet wird. So ist dieses Zeugnis, von dem es so viele gibt, Ausdruck der Arroganz statt der Sanftmut, der Verstocktheit statt der redlichen Zuwendung mit dem versöhnenden Wort, der Intoleranz mit der Ignoranz und dem Bildungsmangel statt des Bemühens um mehr Wissen und Erweiterung des Denkhorizonts. Wenn des Glaubens wegen erschlagen wird, dann vertaubt auch das Ohr, wenn der eine den andern nicht mehr verstehen will, dann verstockt das Wort und mit ihm das Herz. „Sehet aber zu, dass diese eure Freiheit nicht zum Anstoß für die Schwachen werde! Denn, wer das Wissen hat, weiß, dass der, der am Tisch im Götzenhaus sitzt, in seinem Gewissen (der Gewissenlosigkeit) bestärkt wird, das Fleisch des Götzenopfers zu essen. Und so wird über deinem Wissen der Schwache ins Verderben kommen, der Bruder, um deswillen doch Christus gestorben ist.“ Das Babylon reicht bis in die Neuzeit, sinnierte Eckhard Hieronymus Dorfbrunner, der aus dem halb geöffneten Fenster in die erste Morgendämmerung sah. Ein frischer Wind wehte ins Schlafzimmer und bauchte in auf- und abgehenden Wellen den vorgezogenen Vorhang. Er hörte im Geiste den Schrei mit der gewaltigen Stimme, die spricht: „Sie ist gefallen, Babylon, die große; sie ist zum Haus des Teufels geworden, zum Gefängnis der unreinen Geister und verhassten Vögel. Babylon, die Hure ist gefallen, von deren Wein die Völker getrunken, die Mächtigen mit ihr die Unzucht getrieben haben, die Kaufleute von ihrer Üppigkeit reich geworden sind.“ Sein Blick wandte sich vom Fenster und streifte die Zimmerdecke in unregelmäßigen Bahnen ab, als er eine andere, weniger harte Stimme sagen hörte: „Geh von ihr, mein Volk, dass du nicht an ihren Sünden teilhast, damit dich ihre Plagen nicht befallen, denn ihre Sünden reichen bis an den Himmel, und Gott erinnert sich all ihrer Frevel. Wie sich Babylon herrlich gemacht und es im Übermut getrieben hat, so viel Qual und Leid wird sie nun selbst aus dem Kelch trinken, mit dem sie ihren Wein verteilte.“

      Draußen begannen die Vögel zu zwitschern, und Luise Agnes öffnete die Augen und griff mit ihrer rechten nach seiner linken Hand. Eckhard Hieronymus saß noch mit der dritten Frage fest, ob der christliche Glaube der richtige sei. Da brach es aus ihm heraus, als er laut sagte: „der Glaube, den uns unser Herr lehrt, ist der richtige; da gibt es nichts zu argumentieren oder wissenschaftlich rumzumeckern.“ „Was sprichst du da, Eckhard?“, fragte Luise Agnes, die seinen Schweiß roch und an der Hand fühlte. „Du bist ja ganz nass und fühlst dich heiß an. Was ist passiert?“, begann sie, in ihn einzudringen und drehte ihren Körper seinem zu. Eckhard Hieronymus brach seine nächtliche Reise ab, die eine Reise der schweren Prüfung war, drehte seinen Kopf nach links und schaute mit geröteten Augen seiner jungen Frau ins Gesicht. „Ich bin mal wieder heimgesucht worden“, sagte er mit heiserer Stimme und räusperte sich, obwohl am Abend die Stimme noch ganz klar war. Er wischte sich den Schweiß mit der Decke vom Gesicht und anstatt ihr von seiner nächtlichen Exkursion zu erzählen, fragte er Luise Agnes, ob sie glaube, dass er stark genug für den Beruf des Pfarrers sei, der ein Seelsorger zu sein habe, der den Menschen in ihrer Not beisteht und hilft. „Natürlich bist du stark genug, ein guter Pfarrer zu sein, wenn du nur fest genug im Glauben stehst und dich nicht gleich vom ersten Windstoß umwerfen lässt“, sagte sie mit ganzer Überzeugung. „Warum stellst du diese Frage?“ „Weil ich mir nicht so sicher bin“, antwortete Eckhard Hieronymus und fuhr fort: „Warum werde ich so oft von Gedanken heimgesucht, die am Fundament des Glaubens rütteln? Das verstehe ich nicht, zumal ich mich bemühe, ein guter Christ zu sein, dem Herrn treu und mit meinem ganzen Herzen zu dienen.“ „Dann hast du wieder einen Glaubenskampf gekämpft“, setzte Luise Agnes hinzu, „und so, wie du mich anschaust und dich anfühlst, muss es ein schwerer Kampf gewesen sein.“ „J a, es war ein Ringen auf Leben und Tod. Mir wurden drei Hindernisse in den Weg gestellt, die ich zu überwinden hatte. Es waren beachtliche Brocken, die ich so einfach nicht wegschieben konnte. Bei der letzten Hürde um die Beweisführung, dass der christliche Glaube der richtige sei, war ich angekommen. Als dann ein kräftiger Windstoß über mein Gesicht strich, den Vorhang weit ins Zimmer drückte, riss er die letzte Hürde weg und zog sie mit einem kräftigen Sog aus dem Fenster nach draußen. Ich blickte zum Vorhang, der sich ans Fenster schmiegte und durch die Öffnung bauchte, blickte nach draußen, wo der Morgen dämmerte und die Vögel die ersten Morgenlieder sangen. Plötzlich war der Druck von meinem Herzen gewichen. Die Spannung fiel wie eine Decke von mir, und ich war soweit, mich dem Schlaf zu übergeben. Das war, als du deine Hand in meine legtest.“ Luise Agnes hielt seine Hand, sah ihrem Mann weiter ins Gesicht, versuchte die Nachtgeschichte aus seinen geröteten Augen zu lesen, die den Zustand der Erschöpfung ausdrückten, den sie so krass noch nicht an ihm gesehen hatte, und roch den sauren Schweiß seiner Haut. Sie sagte kein Wort, versetzte sich mit ihren Gedanken in seine nächtliche Wanderung, die ihrem Empfinden nach eine Odyssee der besonders harten Anfechtungen gewesen sein musste. Ihr Empfinden trog sie nicht, sie traf den Nagel auf den Kopf, der nun Zeit und Ruhe brauchte, um ins Gleichgewicht zurückzufinden. Luise Agnes löste ihre Hand aus der ihres Mannes, der die Augen geschlossen hatte, küsste seine verschwitzte Stirn, stieg aus dem Bett, schloss das Fenster, zog den Vorhang wieder zu und verschwand im Badezimmer.

      Draußen regnete es. Es war Herbst, und ein kühler Wind drückte die Tropfen hart gegen die Scheiben, an denen sich Wasserstraßen bildeten, die vom Windstoß in unterschiedliche Richtungen gedrückt wurden. War der Stoß besonders heftig, dann wackelte das Fenster im Schloss, dessen abgegriffener Schließer sich aus der Rahmenhalterung lockerte, und das anschlagende Wasser aus der dunklen, tiefhängenden Wolke drückte sich in Schichten quer über die Scheibe. Es war Donnerstag, der Tag an dem der Postmann mit der dicken Posttasche an der Lenkstange des Fahrrads gewöhnlich die Post brachte. Luise Agnes hatte den Frühstückstisch gedeckt und sich die weiße Strickjacke über die violettfarbene Bluse übergezogen. Sie stand an der kleinen Anrichte in der Küche und brühte den Kaffee auf, dessen Bohnen brasilianischer Herkunft und in einer Bremener Großrösterei verarbeitet und verpackt sie in der Kaffeemühle aus Großmutters Zeiten mit dem Kurvenschwengel und dem Drehknopf gemahlen hatte. Sie hatte die Eier fürs Rührei schon geschlagen und wartete auf das Erwachen ihres Mannes, um das Frühstück mit ihm gemeinsam zu nehmen, dem, wie an jedem Morgen, eine Bibellesung vorausging und die Auslegung des gelesenen Textes durch ihren Mann folgte. An diesem Morgen ließ das Erwachen auf sich warten, und Luise Agnes hatte volles Verständnis dafür. Sie nahm ihren Platz am Frühstückstisch ein, schob den Teller und das Besteck zur Seite und setzte ihre Häkelarbeit an einer weißen wollenen Decke mit der Hingabe der werdenden Mutter fort, die sie dem gewünschten und hoffentlich gesund ankommenden Nachwuchs als schützenden Wärmemantel widmete. Je weiter die Arbeit an der Decke fortschritt, desto öfter sah sie ihr Kind schon darin eingewickelt. Sie freute sich, Mutter zu werden und konnte seine Ankunft nicht abwarten, obwohl noch sieben Monate vor ihr lagen, in denen sich der Prinz oder die Prinzessin in der mütterlichen Sänfte tragen ließ.

      Sie war mit ihrer Arbeit beschäftigt, hörte dem Klatschen des Regens an der Scheibe zu, wechselte mit ihren Gedanken vom Kind zum Ehemann und werdenden Vater und wieder zum Kind, dass sie Eckhard Hieronymus Dorfbrunner erst dann wahrnahm, als er schon neben ihr stand. Er hatte sich den dunkelblauen Morgenmantel übergezogen und die Füße ohne Socken in seine Lieblingschlappen gesteckt, an denen sich die dünne Ledersohle unter beiden Filzkappen zu lösen begann. Er küsste seine Frau auf die Stirn, als er den Morgengruß mit „meine liebe Frau, ich wünsche dir einen wunderschönen guten Morgen“, nicht fertig ausgesprochen, sondern beim Wort „wunderschönen“ abgebrochen hatte. Beide maßen der Morgenbegrüßung mit dem Aufeinanderzugehen die elementare Bedeutung der äußeren wie inneren Zusammengehörigkeit bei, und diese Begrüßung hielten sie auf eine herzlich schöne Weise ein. Beide wussten, wie wichtig der Zusammenhalt und das Aussprechen


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