Leben unter fremder Flagge. Thomas GAST

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Leben unter fremder Flagge - Thomas GAST


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rumtrödelst, muss ich davon ausgehen, dass du es ernst meinst.«

      Diese eine Stunde, nicht dazu angetan, meine Ungeduld zu zügeln, dauerte mir viel zu lange. Natürlich war ich nervös und stellte mir tausenderlei Fragen, doch die Wissbegierde, zu erfahren, was als Nächstes geschehen würde, war weitaus größer als irgendwelche Zweifel. Zunächst jedoch geschah überhaupt nichts. Mir wurde ein Zimmer zugewiesen, in dem sechs Betten, ein Tisch und einige Stühle standen. Anscheinend war ich der einzige Anwärter an diesem Tag, denn ich sah weder Gepäck noch Bettzeug. Die dunkelgrauen Spinde aus Metall waren leer. Ich hatte mir, wie bereits erwähnt, viele Fragen gestellt. Unter anderem auch diese: Würde die Legion Unterschiede zwischen den Freiwilligen machen, die bereits in einer anderen Armee gedient, und denen, die noch nie eine Waffe in der Hand gehalten hatten? Oder schmissen sie hier alle in einen Topf? Von 1979 bis 1984 war ich Soldat auf Zeit (SaZ-4). Anfangs im Fsch/Jg/Btl/252 und später, nach der Umgliederung auf die Heeresstruktur Vier, im Fsch/Jg/Btl/253. Diese exzellenten Einheiten der Schwarzwaldbrigade hatten ihre Garnison in Nagold. Neben Einzelkämpfer- (im Sauwald), Absetzer- und Freifallerlehrgang an der Luftlande- und Lufttransport-Schule Altenstadt hatte ich diverse andere Ausbildungen hinter mich gebracht. Darunter auch den Lade- und Verlastelehrgang (ebenfalls an der LL/LTS); Sperren und Sprengen an der Pionierschule in München; Schießlehrer für Handfeuerwaffen und PzAbw- Handwaffen an der Infanterie-Schule Hammelburg (Kampftruppenschule -1); einen französischen Kommandolehrgang im Centre d’entraînement commando in Breisach etc. Gab mir das einen Vorteil gegenüber anderen Kandidaten? Einen Teil der Antwort erhielt ich prompt am nächsten Tag. »Vergiss, wer du warst oder was du bisher getan hast. Ab heute bist du Legionär«, sagte mir der Mann vom Vortag, ein Caporal-chef, wie ich inzwischen in Erfahrung gebracht hatte.

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       Dreißig Jahre danach, vor derselben Türe. Hier, im Rekrutierungsbüro der Legion, dem Poste d information de la Légion étrangère (PILE) Strasbourg, hat alles begonnen.

      Er erwähnte es in einem Tonfall, der mir eine enorme Last von den Schultern nahm. Ich war auf alles gefasst, nur nicht auf das. Den Worten Ab heute bist du Legionär entnahm ich: Du bist willkommen! Da steckte Wärme dahinter und für diese Art Wärme war ich sensibel, auch weil sie mir die Zweifel nahm. Dass meine militärische Vorgeschichte durchaus von Nutzen war, erfuhr ich erst viel später, als es darum ging, sich in die Ränge der Unteroffiziere zu boxen. Nicht mit Fäusten, aber mit Wissen, mit Autorität und Cleverness. Dieser erste Tag war bedeutsam. Jedem von uns, wir waren mittlerweile vier, wurden die Haare geschnitten: „Boule a zéro“. Theoretisch hieß das „Glatze total“, in der Praxis aber blieben doch zwei Millimeter übrig. Fragebogen wurden ausgefüllt und die (Vor-)Verträge unterschrieben. Es war ein normaler Vertrag, in dem ich mich dazu verpflichtete, fünf Jahre in der Legion zu dienen. Ich überflog ihn – und unterzeichnete. Vielleicht gab es in diesem Vertrag eine Klausel, die besagte, dass man nach einer gewissen Probezeit die Legion wieder verlassen konnte. Wir wurden jedoch nicht ausdrücklich darauf hingewiesen.

      Anm. d. Verf.: Wie sieht das heute aus? Im Falle des ersten Vertrages (in jedem Fall fünf Jahre) gibt es durchaus eine Probezeit. Nur dass man die Kandidaten von heute darauf explizit hinweist. Sie beträgt sechs Monate und kann einmal erneuert werden. Der Bewerber hat jederzeit die Möglichkeit, sich, Kopf oben, aus der Affäre zu ziehen und aus dem laufenden Vertrag auszusteigen.

      Für mich spielte das damals aber keine Rolle. Man hatte mich nicht abgewiesen, darauf kam es an. Meinen nagelneuen Reisepass und die Klamotten, die ich hier abgeben musste, sah ich lange Jahre nicht wieder, doch auch das war mir einerlei. Zwei Tage später saßen wir im Zug, der uns nach Marseille brachte. Vom Bahnhof Saint-Charles ging es auf LKWs weiter Richtung Aubagne.

      Adieu, altes Europa, que le diable t’emporte!

      1. Régiment étranger, Aubagne

      “„Nous marchons gaiement en cadence. Malgré le vent malgré la pluie.

      Les meilleurs soldats de la France …“ Chant du 1. RE / Lied des 1. RE

      Was einst Aubagne in Südfrankreich für uns Legionäre darstellte bzw. darstellt, war bis 1962 Sidi-Bel-Abbès in Algerien gewesen: die „Portion centrale des 1. RE“ und somit das Mutterhaus der Fremdenlegion, „la Maison mère“. Es ist der Ort, an dem alle Fäden zusammenlaufen. Das Quartier Viénot, es trug den Namen schon in Sidi-Bel-Abbès, war für mich deshalb schon ein mythischer Ort, weil hier das Ehrenmal der Fremdenlegion, das „Monument aux morts“ stand. Das Monument ist unzertrennlich mit einem Namen verbunden. Mit dem Namen eines Mannes, dessen Bild in jedem Büro der Fremdenlegion hängt, unabhängig davon, ob dieses Büro in der Wüste, in den Pyrenäen oder auf einer Insel im Pazifik steht: Rollet!

      „Mon général, cueillez ces palmes sans épines. Ô Prince des géants. Régnez sur l'océan. Des colonnes d'Hercule aux murailles de Chine!“ Mein General, nehmen Sie diese Palmen ohne Dornen entgegen. Oh Prinz der Riesen. Regieren Sie über den Ozean. Von den Säulen des Herakles (Gibraltar-Felsen und der Musa Berg – Mosesfelsen) bis zur Chinesischen Mauer. Arthur Nicollet, Legionär und Schweizer Poet, zu General Rollets Ehren.

      Rollet, ab 1931 der erste Inspekteur der Fremdenlegion, ließ es zum 100-jährigen Bestehen der Legion im Jahr 1931 errichten. Das Rohmaterial, purer Onyx-Quarz, kam aus einer Schlucht mit Namen Sidi-Hamza, 75 Kilometer von Sidi-Bel-Abbès entfernt. Die Legionäre brachen den Quarz mit Hammer und Pickel heraus, beförderten die Blöcke auf den Rücken von Eseln aus der Schlucht und luden sie auf LKWs. Im Quartier Viénot vollbrachte der Bildhauer Pourquet damit das Wunder. Achtzig Tonnen Symbolik. Achtzig Tonnen Geschichte und Tradition. Ein Globus, vier Säulen, Bronze aus Westafrika. Das Resultat? Unsere Geschichte in goldenen Lettern! „La Légion à ses morts 1831 – 1931“ (Die Legion gedenkt ihrer Toten 1831 – 1931). Am Gedenktag zum 150-jährigen Bestehen der Legion (Aubagne 1981) wurde hinzugefügt: „1931 – 1981“ Auf der Rückseite des Denkmals steht zu lesen: „Honneur et Fidélité“ (Ehre und Treue). Schließen wir Legionäre unsere Augen, lesen wir „Blut“, und wir lesen „Zusammenhalt und Schweiß“.

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       Das Monument aux morts der Legion steht in Aubagne (Südfrankreich) im Quartier Viénot. Das Gebäude dahinter ist das Museum der Fremdenlegion.

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       Das Monument: von Meister Paul Anastasiu. Anastasiu nennt das Gemälde « Tu verras la vie autrement » … du wirst das Leben anders sehen.

      Den Worten Honneur et Fidélité entnehmen wir: „Wir sind eine Familie, Legio Patria Nostra!“ Kolossal, provokant, massiv steht es da, wie für ewig gebaut. Kein anderes Monument dieser Erde drückt so viel Leidenschaft und Emotionen aus. Der Kriegsminister stimmte damals dem Bau des Denkmals zwar zu, doch finanzieren sollte es die Legion gefälligst auf eigene Faust. Und so kam es, dass vier Jahre lang, von 1927 bis 1931, jeder Legionär freiwillig jeden Monat einen Tag Lohn gab, um es abzubezahlen. In diesen längst vergangenen Tagen war die Solidarität der Truppe schon enorm, was dieses Exempel eindrucksvoll bestätigt. Am 26. Oktober 1962 wurde das Monument abgebaut und in Aubagne neu errichtet. Man kann sich vorstellen, dass ich im Laufe der Jahre oft nach Aubagne kam. Jedes Mal wirkte dieses Ehrenmal wie ein Schock auf mich, vor allem, weil ich um seine Geschichte wusste. Immer empfand ich bei dem Anblick ähnlich.

       Anfangs will ich es ignorieren, weil es wie ein Ding aus einer fremden Welt anmutet. Je näher ich ihm komme, desto mehr rückt es ins Zentrum meiner Betrachtung, bis es mich völlig fesselt, bis alles andere daneben verblasst!

      Die Zeit im 1. RE ist mir nur vage in Erinnerung, die Bruchstücke jedoch, die haften blieben, sehe ich klar und deutlich vor mir. Unser Gebäude im Quartier Viénot lag etwas abseits. Wir trugen muffige blaue Sportanzüge,


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