Leben unter fremder Flagge. Thomas GAST

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Leben unter fremder Flagge - Thomas GAST


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      »Ange. Welcher Wind treibt dich hierher? Hat man dir etwa nicht gesagt, dass sogar Grobiane wie du hier Anzug und Krawatte tragen müssen?«

      Ein schnippisches Grinsen erschien im erdbraunen Gesicht.

      »Ich habe dich beobachtet!«, sagte er betont langsam. Eine Note in seiner Stimme gefiel mir gar nicht.

      Etwas verwirrt sah ich auf die Uhr. »Wenn wir nicht gleich losfahren, geraten wir in die Rushhour. Dann ist auf Riads Straßen die Hölle los. Du solltest etwas schlafen, denn deine Arbeit beginnt mit der Frühschicht, das heißt genau in vier Stunden.«

      Ohne auf meinen Kommentar einzugehen, sagte er: »Es war das erste Mal, dass wir auf verschiedenen Seiten kämpften, Tom! Wir lagen alle da oben, haben gewartet, bis sie euch endlich abzogen.«

      Ich konnte mich nicht mehr verstellen und so tun, als ahnte ich nicht, wovon er sprach. Die Neugier brachte mich schier um.

      »Du warst in Brazzaville?«

      »Und ob ich dort war. Wären nicht die Legionäre vom 2. REP gewesen, und du mittendrin, wer weiß. Vielleicht hätte ›le Vieux‹ uns früher losgelassen.«

       Anm. d. Verf.: Wen er damit meinte, war in unseren Kreisen kein Geheimnis. Le Vieux nannten wir den ins Alter gekommenen Söldnerführer Gilbert Bourgeaud alias Bob Denard. Ja, er war noch aktiv, hörte erst auf, es zu sein, als er im Oktober 2007 verstarb.

      Er brauchte mir auch kein Bild davon zu malen, was geschehen wäre, wenn es zu einer frühzeitigen Konfrontation gekommen wäre. Sie waren gekommen, um einen „Kandidaten“ in eine bessere Position zu bringen. Eine Horde Profis! Alles, was Rang und Namen hatte, lag damals in den Wäldern westlich von Brazzaville, und wir hatten nichts davon geahnt.

       Brazzaville!

      Ich verband den Namen dieser Stadt im Herzen Schwarzafrikas mit einem persönlichen Misserfolg. Oh ja, ich erinnerte mich an jene Nacht und an die Ereignisse in der Avenue Schoelcher, unweit vom Centre culturel français. Es war am 07. Juni 1997. In dieser Nacht wehte der Wind des Todes durch die Straßen Brazzavilles. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen.

      »Sag dem Sergent-chef, er soll Gefechtsbereitschaft herstellen und den Zug antreten lassen. Ich bin beim Capitaine zur Befehlsausgabe!«

      Ribeiro, ein Spanier, der zugleich Sergent de jour (Unteroffizier, verantwortlich für den geregelten Tagesablauf) war, witterte Aktion. Er sprang sofort auf. »Oui, Chef, mais…«

      »Kein Aber«, befahl ich. »Das Lotterleben ist vorbei, mach schon!«

      Er bewegte sich keinen Zentimeter vom Fleck. Verärgert und etwas irritiert sah ich zu ihm auf. Ribeiro war mein verlässlichster Gruppenführer. Er war gewissenhaft, loyal und pflichtbewusst und hatte, wie fast alle meiner Soldaten, die Feuertaufe längst hinter sich. Ich war stolz, ihn in meinen Reihen zu haben, hütete mich aber, ihm das zu oft zu sagen. Er benötigte hin und wieder eine starke Hand, die sein südländisches Temperament zügelte.

      »Chef. Geht es endlich los?«

      Ich atmete laut und tief aus. »Ja, Ribeiro«, sagte ich nachdenklich. »Es sieht so aus!«

      Während ich in Windeseile meine Kampfstiefel schnürte, dachte ich an die vergangenen Jahre und war zufrieden. Was ich in der Legion bis zu diesem Zeitpunkt geschafft hatte, war, wie ein Offizier sich ausdrücken würde, ein „Parcours sans faute“, eine fehlerfreie Laufbahn. Vom einfachen Legionär, der dreimal am Tag Toiletten geputzt hatte, bis zum Zugführer, dem zweiundvierzig hartgesottene Legionäre hierher nach Afrika folgten: Ja, das konnte sich sehen lassen! Zugführer in der Fremdenlegion – ein Traum war für mich in Erfüllung gegangen. Es gab auf der ganzen Welt keine höhere Auszeichnung für einen wie mich. Doch diese Traumkarriere neigte sich, ohne dass ich es ahnte, bereits dem Ende zu.

      FEBRUAR 1985

       Mordanschlag auf Rüstungsmanager: Bei einem Attentat von Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) in Gauting bei München stirbt am 1. Februar 1985 der Chef des Luftfahrtunternehmens Motoren- und Turbinen-Union, Ernst Zimmermann.

       Hochzeit von O. J. Simpson und Nicole Brown Simpson.

       Madonna ist mit „Like A Virgin“ in den Top Charts.

       In Kambodscha erobern die vietnamesischen Besatzungstruppen das Hauptquartier der Roten Khmer.

       Der längste und aufwendigste Titelkampf in der Geschichte der Schachweltmeisterschaften zwischen Anatolij Karpow und Herausforderer Garri Kasparow wird nach über fünf Monaten und 48 Partien abgebrochen und annulliert.

       Die erste Folge des Dreiteilers „Das Boot“ nach dem Roman von Lothar-Günther Buchheim, wird von der ARD ausgestrahlt.

       Am 07. Februar 1863 beginnt für die Fremdenlegion das mexikanische Abenteuer. Zwei Bataillone gehen an der algerischen Küste, in Oran, an Bord eines Schiffes, das sie nach Vera Cruz bringt. Ihr erster ernst zu nehmender Feind hieß Vomito Negro: Das Gelbfieber!

      Erste Schritte

      “„Quand on a bouffé son pognon. Ou gâché pour un coup d’cochon.

      Toute sa carrière. On prend ses godasses sur son dos. Et l’on file au fond d’un paquebot aux Légionnaires“ Aux Légionnaires.

      Ich war 23 Jahre alt, als ich in die Fremdenlegion eintrat. Wir schrieben den 4. Februar 1985. Das ist lange her, doch ich erinnere mich daran, als wäre es gestern erst gewesen. Direkt aus meiner Heimat Oberfranken kommend, stand ich an diesem regnerischen Montag in aller Frühe vor der Türe des Rekrutierungsbüros der Legion in der Rue d’Ostende in Straßburg. Mein Blick fiel auf das grün-rote Schild mit der Aufschrift Poste d’information de la Légion étrangère – Quartier Lecourbe. Während ich es, der Kälte und dem Regen schutzlos ausgeliefert, betrachtete, ließ ich mein Leben Revue passieren. Meine Kindheit war kein Zuckerschlecken. Als uneheliches Kind einer weißen Mutter und eines schwarzen Vaters hat man es in einem sittenstrengen, konservativen und von Vorurteilen geprägten Deutschland eben nicht leicht. Vor allem nicht auf dem Land. Im Rahmen der Familie fühlte ich mich stets geborgen, auf der Straße jedoch lauerte die Bosheit an jeder Ecke. Nicht selten musste ich mit den Fäusten um meine Integrität, um etwas Frieden kämpfen. Auch meine Jugend und das Heranreifen zum jungen Mann waren nicht so prägend und genial, als dass ich nun, meine Entscheidung getroffen, großes Bedauern mit mir herumtrug. Im Gegenteil: Mich hielt nichts! Und jetzt, vor diesem Schild und nass wie ein Pudel, suchte ich bei mir nach Anzeichen von Zweifeln, von Angst. Umsonst allerdings. Ich war fest entschlossen, diesen Schritt zu wagen, den Blick zurück gab es nicht. Ich wusste kaum etwas über die Fremdenlegion, doch einer Sache war ich mir sicher. Wenn die Zeit gekommen war, den Vertrag zu unterschreiben, würde meine Hand nicht zittern. Eine geleistete Unterschrift verband ich mit einem gegebenen Wort. Dabei war es mir von vorneherein egal, was man von mir erwartete. Strapazen scheute ich nicht. Und sollte man mich in eine Kampfeinheit eingliedern und mein Leben aufgrund dessen nur noch die Hälfte wert sein: Sei es! Gespannt wie ein Flitzebogen klopfte ich an der Türe und wartete, dass jemand öffnete. Der Mann, der schließlich vor mir stand, trug Uniform und es war nicht etwa ein muskelbepackter Riese mit Narben im Gesicht, sondern ein normaler Typ, groß, hager, sympathisch. Er hatte buschige Augenbrauen und einen Salz-Pfeffer-Bart. Die erste Musterung, dachte ich, als sein Blick mich förmlich durchbohrte: abschätzend, nicht geringschätzig! Er trug eine Sportjacke über seiner kakifarbenen Uniform, sodass ich die Dienstgradabzeichen nicht gleich erkennen konnte. Vom Leben schlau geworden, tat ich vorsichtigerweise so, als stünde ein General vor mir!

      »Du willst in die Fremdenlegion?« Mit Daumen und Zeigefinger zwirbelte er die Bartspitzen durcheinander, schien nicht auf eine Antwort zu warten. »Na dann komm rein.« Sein Deutsch klang perfekt. Mit dem Kopf wies er


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