Leben unter fremder Flagge. Thomas GAST

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Leben unter fremder Flagge - Thomas GAST


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ernst. Ich sah dunkle Wolken am Horizont. Man hörte so einiges: Gestapo. Wir nannten es so, das Bureau des Statistiques de la Légion étrangère (BSLE), wörtlich übersetzt Büro der Statistik der Fremdenlegion. Heute ist das BSLE unter der Bezeichnung Division statistique et protection de la Légion étrangère (DSPLE) bekannt. Es ist dem armeeeigenen Nachrichtendienst, der Direction de la Protection et de la Securité de la Défense (DPSD), ähnlich unserem militärischen Abschirmdienst, untergeordnet. Die bekommen alles heraus – oder fast alles. Unterteilt ist die DSPLE in:

       Büro „Sekretariat und Informatik“

       Zentrum „Situation“

       Zelle „Personenkontrolle“

       Zelle „Filterung der Kandidaten“ (gibt es nur in der Legion!)

       Verwaltung der „Archive und Dokumentation“

      Alle diese Zellen, deren Mitarbeiter dienstlich mit geheimhaltungsbedürftigen Dokumenten zu tun haben, unterliegen den höchsten Sicherheitsstufen. Sie streben nur ein Ziel an: Schutz und Sicherheit! Sie schützen die Institution sowie die in Frage kommenden Kandidaten. Die Ursprünge der DSPLE führen zurück ins Jahr 1925. Damals wurde auch in der Legion das berüchtigte Deuxième Bureau eingeführt. Aus dem wurde im Laufe der Jahre das BSLE. Die militärische Sicherheit (de facto der Geheimdienst) erstreckt sich bis in die einzelnen Regimenter. So gibt es mittlerweile in jedem Regiment der Legion einen Officier prévention et sécurité régimentaire (OPSR). Die Fremdenlegion will heutzutage wissen, wen sie in ihren Reihen aufnimmt. Das Profil der Legionäre ist ihr sehr wichtig. Wäre der Leser ein potenzieller Anwärter, so würde ich ihm raten, im Gespräch mit den Offizieren und Unteroffizieren der „Gestapo“ ehrlich und offen alle Fragen zu beantworten. Damals schon versprachen Kameraden mir ein Kreuzverhör, wie es schlimmer nicht sein konnte. Als ich auf Geheiß das Bureau zum ersten Mal betrat, ahnte ich, dass der Mann vor mir längst alles über mich wusste.

      »Hast du jemals Drogen genommen?«

      Ein Caporal-chef, der hinter ihm stand, übersetzte.

      »Haschisch«, gab ich zu, während die Angst mir die Kehle zuschnürte.

      »Politisch aktiv?« Er hob seinen Blick von meiner Akte und sah mich direkt an.

      »Nein, so siehst du nicht aus! Sag mir, bist du homosexuell, hattest du was mit Männern?«

      Ich sah also nicht so aus wie ein Politiker, vielleicht aber wie ein Schwuler?

      Der Caporal-chef grinste. »Ein bisschen Spaß muss sein. Der Sergent-chef meint das nicht so. Sag einfach Ja oder Nein.«

      »Natürlich nicht«, erwiderte ich einerseits empört, andererseits erleichtert. Erleichtert war ich deshalb, weil der Caporal-chef einen Dialekt sprach, den ich nur allzu gut kannte. Womöglich stammte er aus dem Elsass.

      »Nun denn«, sagte der Sergent-chef mit dem Ansatz eines Lächelns. »Umso besser. Wie sieht es bei dir mit Vorstrafen aus?«

      Meine Erleichterung wich purem Entsetzen. Mit zwölf hatte ich mal ein Zwanzig-Liter-Bierfass gemopst. Der Lastwagen einer Brauerei hatte des Nachts einen Unfall auf der Autobahn direkt hinter unserem Garten. Die Bierfässer lagen über die ganze Wiese zerstreut und der Biergeruch lockte alle Anwohner aus den Häusern. Wir waren eine kinderreiche Familie und ansonsten alles andere als wohlhabend, im Gegenteil. Die Armut bestimmte unseren Alltag. Meine Mutter hatte immer für alles im Leben kämpfen müssen. Das Wort Vater stand nicht in meinem Lexikon, es war für mich ein Fremdwort. Bei uns gab’s dreimal die Woche Brotsuppe. Meine Brüder und ich mussten uns lustige Sticker aus Stoff auf die schon viel zu kurzen Hosen nähen, um so die Löcher darunter zu verstecken. Neue kaufen kam gar nicht in Frage. Als mich meine Mutter mit Schubkarre und Taschenlampe bewaffnet losschickte, sah ich an ihrem Blick schon, dass ich hier etwas tat, das nicht ganz amtlich war. Doch ich sah auch die Not hinter diesem Blick. Ein Fass Bier konnte man verkaufen, und das bedeutete, dass am Sonntag Fleisch auf den Teller kam. Ich zögerte deshalb keine Sekunde. Draußen angekommen stellte ich rasch fest, dass ich nicht der Einzige war. Tags darauf sammelte die Polizei in sämtlichen Häusern im Umkreis von mehreren hundert Metern alle Fässer wieder ein. Ein mysteriöser Beobachter hatte wohl eine Liste geführt und alle verpfiffen. So viel zu meinen Vorstrafen. Zu meiner größten Überraschung lachte der Sergent-chef ebenso laut wie der Caporal-chef, als ich ihnen davon erzählte. Bezüglich der Compagnie Administrative et de Passage de la Légion étrangère (CAPLE), deren Dach man von hier aus durch die Pinienheide schimmern sehen konnte, eine, besser gesagt zwei Anekdoten. Die eines Deutschen nämlich, der sich bei der Legion bis zum Offizier hochgearbeitet hatte und welcher eine der markantesten Figuren der Legion unserer damaligen Epoche war: Capitaine Lichterfeld! Es ging um die Geschichte eines Caporals, auf den, zurück von Übersee, statt Urlaub eine Gefängnisstrafe wartete, sowie die unrühmliche Entlassung. Was er angestellt hatte, um so in die Klemme zu geraten? Wer weiß das heute noch so genau. Als sich dieser Caporal bei Capitaine Lichterfeld zum Rapport meldete und ihn dieser mit „Guten Tag, mein Junge, was hast du denn da drüben ausgefressen?“ empfing, antwortete der Caporal mutig und frech mit „Bonjour, mon père“, Guten Tag, mein Vater, was eine ungeheuerliche Anmaßung war. Dann erzählte er ihm die ganze Geschichte und wie diese sich zugetragen hatte. Ob des Mutes von dem Caporal beeindruckt, ging der Capitaine mit ihm an seine Bar, schenkte den besten Cognac ein und stieß mit ihm an. Anschließend genügte ein Anruf an höchster Stelle und die Sache mit dem Knast und der Entlassung war Schnee von gestern. Der Caporal hatte stattdessen Urlaub bekommen. Übrigens gab es im Quartier Viénot eine Straße, die nach diesem Capitaine benannt war, die Lichterfeldstraße! Chef de Bataillon Peter LICHTERFELD, verstorben im März 2010, war ein Algerienkämpfer. Er diente in den Rängen des 1. und 2. REP. Wie Capitaine Hessler, den ich später im Buch erwähne, hat er sich vom simplen Legionär bis hoch in die Offiziersränge geboxt. Von seinem Fenster in der CAPLE aus hatte nun der Capitaine die beste Sicht auf seine Straße. Diese lag unweit des Museums der Fremdenlegion. Jedem verbot er, sie zu benutzen! Jedem außer Legionären des 2. REP. Benutzte ein anderer sie, holte er seinen Luftdruck-Karabiner hervor und schoss, ohne zu zögern, auf diesen Flegel. Man beachte, dass er, Erzählungen nach, am Anfang eine Handfeuerwaffe vom Kaliber 22.LR dazu benutzte, doch das war des Guten wohl doch zu viel. Doch das alles nur am Rande. Wir trugen bereits die roten Litzen, da hieß es nach Einbruch der Dunkelheit Wache schieben. Es war, so fühlte ich zumindest, reine Schikane. Schikane mit Hintergrund! Uns wurde beigebracht, uns in Geduld zu üben, schon auch mal Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht wollte man auch den einen oder anderen noch die Gelegenheit geben, das Weite zu suchen. Waffen hatten wir keine, dafür aber alte Parkas, die dem Aussehen nach aus der Zeit der Grabenkriege stammten und wohl deshalb nicht nach Rosen dufteten. Angesichts der Tatsache, dass der Spuk Aubagne bald zu Ende sein würde, war uns das so ziemlich egal. Mit geschwellter Brust nahmen wir unsere Standardausrüstung und Bekleidung in Empfang. Der Tag, an dem wir das begehrte Képi Blanc tragen durften, rückte mit riesigen Schritten näher.

      Ausbildung für Teufelskerle

      4. Régiment étrangere, Castelnaudary

      „La rue appartient à celui qui y descend. La rue appartient au drapeau des képis blancs. Képi Blanc (ursprünglich deutsches Panzerlied – ob’s stürmt oder schneit –, 1933, Kurt Wiehle, Oberleutnant).

      März 1985. Castelnaudary verkörperte für mich vom ersten Anblick an eine Tür, die ich nur leicht anzustupsen brauchte, um sofort beide Beine im Wasser zu haben. Wasser, das bedeutete Mittelmeer, und Mittelmeer bedeutete für mich das Sprungbrett zu den Abenteuern, von denen ich damals träumte. Diese schöne Gemeinde in der Region Languedoc-Roussillon mit etwa zehntausend Einwohnern unterschied sich der ersten Betrachtung nach nicht sehr von den anderen Orten. Ein typisches Provinzstädtchen, bekannt für sein hervorragendes „Cassoulet“, den im Backofen gegarten Eintopf, bestehend aus Bohnen, Speck, Schweinefleisch und leckeren Würstchen. Der „Canal de midi“ sowie die „Brüder Spanghero“, die zu den besten Rugbyspielern zählen, die je für Frankreich gespielt


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