Leben unter fremder Flagge. Thomas GAST

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Leben unter fremder Flagge - Thomas GAST


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Moral pfiff aus allen Löchern!

      Das Essen war zwar ganz in Ordnung, aber für die körperlichen Leistungen, die Tag und Nacht von uns gefordert wurden, war es quantitativ eindeutig zu wenig. Jeden zweiten Tag gab es Steak haché und Flageolets (weiße Zwergbohnen mit Hacksteak), was uns bald zum Hals heraushing.

      Obwohl ich körperlich vielen um einiges überlegen war, litt ich genauso. Das führte ich auf die Tatsache zurück, dass ich mich nicht zurückhielt und immer hundert Prozent gab, mich total verausgabte. Nichtsdestotrotz spürte ich, wie mein Körper sich veränderte. Ich wurde sehniger und das eine oder andere Fettpolster, das die vier Jahre bei den deutschen Fallschirmjägern überlebt hatte, war verschwunden. Der Tagesablauf war fast immer derselbe.

       5 Uhr Wecken.

      Viele von uns waren da aber schon auf, weil die Anzahl der Waschbecken nicht ausreichte. Für das Frühstück etwas Zeit herausschinden: Das war unverzichtbar!

      5 Uhr 02 Appell. (Man beachte: Zwei Minuten nach dem Wecken!)

      Die Stärke wurde festgestellt. Wir mussten so lange im Stillgestanden neben den Betten stehen, bis der Caporal durch die Reihen gegangen war und alle Legionäre namentlich aufgerufen hatte. Fast jeden dritten Tag hatten wir einen oder mehrere Deserteure. Die meisten wurden schon am gleichen Tag wieder erwischt und kamen sofort ins Gefängnis. Später stießen sie wieder zu uns und brachten meist auch die Grundausbildung zu Ende. So viel zu den Deserteuren, die man angeblich auf der Flucht erschoss! Zwischen Appell und dem Antreten zum Sport mussten die Corvées erledigt werden. Neben Körperpflege, Betten machen, Frühstücken etc. war die Zeit sehr eng bemessen. 6 Uhr 30 Antreten im Sportanzug.

      Footing! Laufen war angesagt. Bereits nach ein paar Tagen auf der Farm liefen wir in den sogenannten Groupes des forces, d.h. es wurden drei verschiedene Laufgruppen zusammengestellt, denen jeder von uns, seinem Niveau entsprechend, zugeteilt wurde. Die Strecke war von der Distanz her für alle dieselbe, nur der Laufrhythmus war unterschiedlich.

      Zurück vom Sport, ging es übergangslos zum Waffen- und Geräte-Empfang, danach: Duschen im Schweinsgalopp und wieder antreten. Am Kampfanzug befanden sich:

      ANP (Gasmaske), Helm, Bidon (1,5-Liter-Wasserflasche), pelle-US (zusammenklappbarer Spaten), Bretelles (Koppeltragehilfe mit Magazintaschen und Waffenputzzeug für die FAMAS). Vor den Füßen abgestellt hatten wir den Rucksack oder die Musette (Kampftasche). Meist war auch schweres Gerät dabei wie etwa Stacheldrahtrollen, Schaufeln, Sandsäcke, Kollektivwaffen wie Maschinengewehre und Panzerfäuste oder auch Optik und Funkgeräte. Schreibzeug war immer am Mann, ebenso wie das Opinel und der Kompass. Dazu wurde auf der Schulter das Foulard getragen. Das Foulard war nichts anderes als ein Tuch, das durch seine Farbe die Kompaniezugehörigkeit klärte.8 Uhr 30 bis 12 Uhr 30 Ausbildung.

      Waffenausbildung; Schießen; Gefechtsausbildung; Orientieren im Gelände; Funkausbildung. Ich erspare mir den Rest! Die Ausbildung war komplett, ging aber nicht in die Tiefe, da dies zu hundert Prozent in der Vollausbildung in den einzelnen Regimentern geschehen würde. Und immer wieder die Lieder, Traditionen, Disziplin, und die nicht wegzudenkenden Liegestütze!

       12 Uhr 30 bis 14 Uhr Mittagspause.

      Neunzig Minuten Mittagspause, das hieß fünfzehn Minuten essen, gefolgt von einer Stunde Marsch mit Gesang!

       14 Uhr bis 18 Uhr

       Ausbildung wie am Vormittag.

       18 Uhr bis 20 Uhr

      Abendbrot. Meist hatten wir hier die Gelegenheit, im Foyer, das sich in der Waffenkammer befand, Dinge wie Schokoladenriegel, Kuchen, Zigaretten, Getränke etc. zu kaufen.

       20 Uhr bis 23 Uhr Ausbildung.

      Erlernen der französischen Sprache; taktische Gefechtsausbildung; Hindernisbahn bei Nacht! Was wir oft machten, war das Anschleichen zu üben. Auf dem Bauch robbend, im Matsch und im Schnee, unter einem Stacheldrahtverhau hindurch. Lautlos, den anzugreifenden Feind fest im Auge, froren wir bis aufs Knochenmark, doch das gehörte zu unserem Metier dazu, so wie zu dem des Bäckers die Brötchen. Danach wurden die Waffen und das Gerät gereinigt und abgegeben. Es war inzwischen Mitternacht! Ging alles gut, war der Tag beendet. Hatten wir Pech, so etwa jede zweite Nacht, dann fand der Caporal de jour nach unserem Corvée quartier noch einen Zigarettenstummel am Boden. Dieser wurde dann offiziell beigesetzt, d.h. wir mussten ein Loch buddeln, zwei Meter lang, achtzig Zentimeter breit, eineinhalb Meter tief. Darin wurde die Kippe mit allen Ehren beerdigt. Zwischendrin wuschen wir Sport- und Kampfanzug. Mit der Hand, der Bürste und kaltem Wasser! Das Trockenkriegen war da immer so ’ne Sache. Vor dem Schlafengehen war der zweite Appell fällig. Wir schliefen meist schon im Stehen. Die Wache für das Camp stellten wir selber. War man für die Wache eingeteilt, blieb man am besten gleich auf, Hinlegen lohnte sich nicht mehr. Wie schon angesprochen, war die FAMAS unsere Standardwaffe.

      Das Fusil d’assaut de la manufacture d’arme St.-Etienne war eine Waffe mit, wie ich später feststellte, schockierender Wirkung. Sie unterschied sich nicht allzu sehr von den anderen auf dem Markt befindlichen Sturmwaffen, sodass ich von technischen Erläuterungen absehe. Mir neu war die Tatsache, dass man die Auszieherkralle links oder rechts einbauen konnte, je nachdem, ob man Links- oder Rechtshänder war. Der Wangenschutz musste dementsprechend angepasst werden, dies geschah durch einen einfachen Handgriff. Das Geschoss hat, wie schon erwähnt, eine verheerende Wirkung. Beim Auftreffen auf ein Hindernis (Weichkörper) reagiert es, indem es ausweicht, sich dreht, bricht und sich den leichtesten Weg sucht. Und der führt meist spiralförmig durch den ganzen Körper. Ein Einschuss des Geschosses am Oberschenkel mit einem Austritt im Oberkörper oder umgekehrt ist keine Seltenheit: Bonjour les dégâts!

      Bezüglich des Marsches Képi Blanc kann ich mich gut erinnern, dass eine Teilstrecke sich unendlich lange bergauf hinzog. Wir waren bis dahin flott marschiert und jeder von uns hatte Blasen an den Füßen. Der ständig fallende, kalte Regen machte uns zu schaffen, auf den Schultern zeigten sich die ersten, vom Rucksack wund gescheuerten Stellen. Plötzlich war mein Binôme an meiner Seite. Er hinkte und war am Ende seiner Kräfte. »Erdoğan macht schlapp!«, stöhnte er und marschierte stoisch mit gebeugtem Kopf neben mir her. Er wollte den Anschluss nicht verlieren, denn das hieße, sich im Laufschritt bergauf die Seele aus dem Leib zu rennen. Ich lief etwas langsamer und sah mich gleichzeitig um. Knapp zehn Meter hinter mir trottete Thompson in meinen Spuren. Er trug einen zweiten Rucksack. Den hatte er sich quer über die Schulter gelegt. Dass der Rucksack Erdoğan gehörte, sah ich am Namensschild.

      »Wo ist der Türke?«, fragte ich.

      Thompson, der nicht stehen blieb, um seinen Elan nicht zu verlieren, grinste im Vorbeigehen. »Ich hab dem Idioten gesagt, dass er vor dem Marsch in seine Stiefel pissen soll, damit das Leder geschmeidig wird. Er wollte nicht hören, typisch Türke halt. Dickköpfe, alles Dickköpfe!«

      Als wir knapp eine Viertelstunde später auf dem Berg ankamen, stand der Zugführer am Wegrand. Er sah aus wie aus dem Ei gepellt. Die Enden seines Schnurrbarts wanden sich schwungvoll nach unten, vollführten am Unterkiefer einen eleganten Bogen und richteten sich an beiden Seiten der Nasenspitze wieder auf. Das Gesicht eine Maske, die Hände auf dem Rücken verschränkt, sah er uns scheinbar gleichgültig entgegen.

      »Antreten!« Sein Befehl war kurz, knapp und ohne Widerruf.

      Wir formierten uns rasch in einer Dreierreihe und nahmen Grundstellung ein. Nur mit Mühe gelang es uns, ruhig und gerade zu stehen.

      Der Zugführer trat vor Thompson. »Wessen Sack ist das?«

      »Das ist der Sack von Engagé volontaire Erdoğan, à vos ordres, mon Adjudant-chef!«

      »Und wo ist Engagé volontaire Erdoğan?«

      Sein Gesicht war nur eine Handbreit von dem Thompsons entfernt.

      »Ich weiß es nicht, mon Adjudant-chef.«

      Romero, so hieß


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