Leben unter fremder Flagge. Thomas GAST

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Leben unter fremder Flagge - Thomas GAST


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Raids wurden uns auch immer wieder Hinterhalte gestellt, um unsere Reaktionen zu testen. Was mir persönlich sehr intensiv in Erinnerung blieb, waren einige sternklare Nächte, in denen unsere Gruppe am Lagerfeuer saß und wir Biwak-Lieder sangen. Der Rauch von Holzfeuer weckt auch heute noch Sehnsüchte in mir und ich muss zusehen, dass es mich nicht noch mal in die Fremde zieht! Am Ende des CTE gab es Beurteilungen. Da ich als Bester abschnitt, durfte ich mir das Regiment aussuchen, in dem ich dienen wollte. Alle meine Kameraden drängten mich, ins 2. REP zu gehen. Das elitäre 2. REP versprach scharfe Einsätze, Medaillen und einen „Rhythmus Infernale“. Ich teilte diese Euphorie nicht, denn mich zog es in ein Überseeregiment, ich hatte somit die Qual der Wahl. Dschibuti, Französisch Guyana, Tahiti oder gar Mayotte? Das 5. RE in Tahiti schloss ich von vorneherein aus, weil dort keine reinen Kampftruppen stationiert waren. Dito, was Mayotte anging. Dschibuti, mit der 13. DBLE, war nicht zuletzt dafür bekannt, dass man einen schönen Batzen Geld verdienen konnte, doch ich verabscheute die Idee, hauptsächlich des Geldes wegen zu dienen. Und so entschied ich mich letzten Endes für Guyana. Es war eine Entscheidung, die ich nie bereuen sollte. Meinen treuen Gefährten Thompson verlor ich aus den Augen. Ich nehme an, er ist schon kurz nach der Ausbildung desertiert.

      JULI 1985

       Tod Heinrich Bölls.

       Der irische Rockmusiker Bob Geldof veranstaltet zeitgleich in London und Philadelphia das Marathon-Konzert Live Aid für die Hungernden in Afrika.

       Der Franzose Bernard Hinault gewinnt die 72. Tour de France.

       Willkür in Südafrika: Die südafrikanische Regierung verhängt am 20. Juli 1985 über 36 Provinzen den Ausnahmezustand, um der Unruhe unter der schwarzen Bevölkerungsmehrheit Herr zu werden. Die Behörden des Apartheid-Regimes können Festnahmen und Wohnungsdurchsuchungen ohne richterlichen Befehl vornehmen sowie unliebsame Nachrichten in Presse, Radio und Fernsehen zensieren.

       Florida: In Küstengewässern entdecken US-Profitaucher das Wrack einer 1622 gesunkenen spanischen Galeere, deren Ladung auf 400 Millionen Dollar geschätzt wird.

       Am 1. Juli 1945 wird aus dem RMLE (Régiment de Marche de la Légion étrangère) das 3. REI (siehe folgende Seiten) ins Leben gerufen.

      In der Hölle Guyanas

      3. Régiment étranger d’infanterie, Französisch Guyana

      Um Begriffe wie Waffenbrüderschaft, Korpsgeist und Zusammenhalt deuten zu können, muss man wie wir Guyana mehrere Wochen lang von Ost nach West zu Fuß durchquert haben, nass bis auf die Knochen vom ersten bis zum letzten Tag, nur der Marschkompasszahl folgend und als einzige Verbindung zur „Zivilisation“ eine „eigenwillige“, vom Geländerelief abhängige Funkverbindung. General Pierre Chavancy

      „Mein Regiment, mein Heimatland. Mein’ Mutter hab ich nie gekannt. Mein Vater starb schon früh im Feld, ja Feld. Ich bin allein auf dieser Welt.“ Anne Marie du 3. REI. (Propagandalied „Regimentsmarie“, Erster Weltkrieg, Deutschland)

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       Eingang ins Quartier Forget – Hochburg der Dschungelkämpfer des 3. REI

      Juli 1985. Man hatte uns in Aubagne mit Zivilkleidung ausgestattet, die wohl noch aus der Zeit des Algerienkrieges stammte. Ich trug einen dunkelbraunen Anzug, dessen viel zu lange und weite Hose wie ein Segel im Wind um meine Beine schlotterte. Die Ärmel wiederum waren zu kurz. Johansson, einen Zwei-Meter-Hünen aus Schweden, hatten sie aus Verzweiflung in einen Sportanzug gezwängt: Auch der größte Anzug wollte ihm nicht passen! Es war schon was dran, wenn manche behaupteten, dass ein Soldat in Zivil eine schlechte Figur abgibt. Von Paris Charles de Gaulle ging es in einem Nonstop-Flug zehn Stunden lang nach Martinique, wo, während eines kurzen Zwischenstopps, die Maschine aufgetankt wurde. Danach flogen wir weiter nach Cayenne Rochambeau. Das Erste, was ich spürte, als sich die Türen des Flugzeuges öffneten, war diese drückende Schwüle. Die Luft stand und die Luftfeuchtigkeit war so hoch, dass man um jedes Quäntchen Sauerstoff kämpfen musste. Vom Flugzeug aus hatte ich das Land – ein immenser grüner Teppich – ziemlich flach in Erinnerung. Ein Trugschluss, wie ich später feststellen musste. Als wir Richtung Kourou fuhren, kamen wir an der Europarakete Ariane vorbei. Auftrag der Ariane war es, Satelliten in den Transferorbit zu bringen, was immer genau das auch heißen mochte.

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       Die Europarakete ARIANE in Kourou, Französisch Guyana

      Ich habe mir sagen lassen, dass die Lage des Weltallbahnhofs direkt in der Nähe des Äquators den Flug beziehungsweise den Start der Ariane besonders begünstigte, und hier wären wir schon bei einer der besonders schwierigen Hauptaufgaben des 3. REI. Der Bewachung der Weltraum-Europarakete Ariane! Die „Opération Titan“ zielt darauf ab, unsere europäische Trägerrakete ARIANE und die dazugehörigen Einrichtungen (das CSG, Centre Spatial Guyanais / Guyanas Weltraum-Zentrum) vor Angriffen von außen zu schützen. Und die anderen Aufträge? Auf dem Grund der Flüsse im inneren des Landes gab es Gold. Und es gab Diamanten, Zucker, Kaffee, Maniok, diverse Edelhölzer und Pfeffer. Der Tier- und Fischreichtum war unerhört ergiebig. Voller Interesse lugten die Anrainerstaaten Surinam und Brasilien sowie Mafioso-Vereinigungen, Schmuggel übelster Sorte und illegale Goldgräber auf den kleinen Staat Guyane.

       Anm. d. Verf: Bereits im Jahr 1887 sagte der französische Professor für Geografie und Südamerikaforscher Henri Anatole Coudreau: „In der Region des Tumuc-Humac Massivs (im Süden Guyanas) gibt es ausreichende Goldvorkommen, die eine reiche Ausbeute versprechen.“ Außerdem, so meinte er weiter, gebe es Kakao und Kautschuk. Eine Kolonisierung des Landes würde sich also bestens lohnen! Vor Coudreau war es der Entdeckungsreisende Jules Crevaux, der 1877 im Süden Guyanas nach dem El Dorado suchte. Tausende von Menschen kamen wohl ums Leben, weil sie, alleine auf den Flüssen oder zu Fuß im Urwald, wie besessen dieser letzten Bastion für Träumer hinterherjagten.

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       Kaum Licht, kein Wind, schweres Gepäck, Hitze, Schlangen und Moskitos: Adieu, altes Europa, am Ende der Welt gehen wir ans Limit.

      Um ihr Begehren in Schach zu halten, galt und gilt es, die Grenzen ständig zu überwachen. Diese Grenzen bestehen im Osten und im Westen auf natürliche Weise aus den Flüssen Oyapock (Oiapoque) und Maroni. Im Süden gibt es die sogenannte grüne Grenze. Dort ist der Grenzverlauf zwischen Brasilien und Guyana nur schwer nachzuvollziehen. Als Anhaltspunkt gilt das sagenumwobene Tumuc-Humac Massiv, und für die Verfeinerung sorgten die Grenzsteine. Grenzsteine indes gibt es nur sieben. Sie zu finden war eine unserer schwierigsten Aufgaben. Mannshoch, von einem leicht zu übersehenden, bröckelnden Grau, hatte der Dschungel sie sich völlig einverleibt.

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       Einen „Borne“ (Grenzstein) haben wir schon gefunden: ohne GPS! Von links nach rechts – ein Ungar, ein Brite, ein Italiener, ein Kanadier und ein Franzose: Fünf Legionäre, eine Familie, ein Auftrag!

      Das Kartenmaterial war veraltet, ungenau. Wir marschierten nur nach dem Azimut (Marschkompasszahl). Die im Gelände zurückgelegte Distanz berechneten wir an Hand der Schrittzahl oder mit dem Topofil. Eine Abweichung von einem Grad in der Richtung oder um hundert Meter in der Distanz, und das Suchen begann. Gab es Fehler in der Richtung sowie auch in der Distanz: Gute Nacht, bis zum nächsten Mal! Global Positioning System (GPS) hatten wir noch lange nicht. Das Quartier Forget, 1985 von drei Seiten total vom Amazonas-Regenwald umgeben, war wie die Kaserne Lapasset recht klein. Unmittelbar hinter dem Eingangstor,


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