Leben unter fremder Flagge. Thomas GAST

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Leben unter fremder Flagge - Thomas GAST


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aus mir gemacht hätten. Wollte sagen, dass ich wegen der Stiefel keinen Krieg anzuzetteln gewillt war! Doch ich schwieg. Später dann kam ich drei- oder viermal in ähnliche Situationen, und jedes Mal beherzigte ich, was Thompson damals zu mir gesagt hatte. Und ich fuhr immer gut damit. Angriff ist manchmal wohl doch die beste Verteidigung!

      Ärztliche Untersuchungen folgten. Ich erinnere mich noch sehr gut an den Mann, der in der Krankenstation uneingeschränkt herrschte. Obwohl er nur den Dienstgrad eines Adjutanten bekleidete – für uns war das schon ein Rang, vor dem wir massenhaft Respekt hatten –, gab er sich wie ein General. Er trug eine Nickelbrille à la Gandhi. Seine kalten, schlauen Augen, vor allem aber sein Schäferhund, der ihm auf Schritt und Tritt folgte, kamen uns nicht geheuer vor. Adjudant Roganel redete nicht, er brüllte! Er sah uns nicht an, sondern durchbohrte uns mit seinem Blick, unter dem sogar Thompson schrumpfte. Und das sollte was heißen! Ich kann mich nicht erinnern, ihn je lächelnd gesehen zu haben. Er war von der Sorte Mann, der man nachts nicht über den Weg laufen wollte und bei dem man, sah man ihn von weitem, instinktiv die Luft anhielt. Zärtlich nannten wir ihn Dr. Mabuse. Heimlich natürlich. Am ersten Wochenende verabreichte er jedem von uns zwei Spritzen in den Rücken. Für was diese auch immer gedacht waren: Unser Caporal wollte, dass wir in Bewegung blieben, ohne jedoch Schwerstarbeit zu verrichten. Auf den Knien kriechend, kratzten wir mit unserem Opinel die oberste Schicht von den Dielen des Holzbodens, um ihn danach zu wachsen und auf Hochglanz zu polieren. Unser seltsamer Doktor mit den Haifischaugen hatte uns eindeutig das Wochenende vermasselt! Dass sich hinter seinen kalten Augen keine Grausamkeit, sondern Intelligenz und Herzensgüte versteckten und dass dieser Mann sein Leben lang aufopfernd und bis an die Grenzen des Möglichen der Legion gedient hatte, erfuhr ich erst einige Jahre später.

      Es gab Augenblicke, in denen wir körperlich ausnahmsweise mal nicht gefordert wurden. Dazu gehörten die Stunden, in denen uns der Caporal beibrachte, wie man das Hemd der Uniform bügelte, das Bett bezog oder die Stiefel auf Hochglanz brachte. Das klingt banal, ist es aber nicht. Jeder Soldat, auch wenn er lange Jahre anderswo, sprich in Eliteeinheiten gedient hat, kann hier nur lernen und staunen (selbst erfahrene Hausfrauen würden mit der Zunge schnalzen). Das Hemd hatte je zwei Falten links und rechts auf jedem Ärmel. Hinzu kamen drei Falten jeweils links und rechts senkrecht über den beiden Brusttaschen. Auf dem Rücken gab es zwei Falten horizontal und drei zentriert vertikal. Die Kanten mussten so scharf sein, dass man sich daran schnitt. Die Abstände zwischen ihnen waren vorne auf der Brust jeweils 3,5 cm und an den Armen und auf dem Rücken 5,3 cm. Diese Maße entsprachen haarscharf denen einer Streichholzschachtel, je nachdem, ob man sie in der Höhe oder in der Breite anlegte. Die Sergeanten hatten ein geübtes Auge. Lagen die Falten zu weit auseinander oder fehlte gar ein Millimeter, folgte die Bestrafung auf dem Fuß. War es vor einem Ausgang in die Stadt (Dreimal in vier Monaten: zweimal sechs Stunden und einmal drei Stunden!), dann wurde der Ausgang gestrichen. Ansonsten drehte man mit dem Rucksack ein Dutzend Runden um den Exerzierplatz. Je vollendete Runde musste dann lautstark angekündigt werden: »Quarante-six, quarante-sept, quarante-huit …« Und dann immer wieder diese Pompes.

      »Gast!«

      Ich nahm Grundstellung an. »À vos ordres, Sergent?«

      »Matricule, numéro d’Famas, groupe sanguine!?«

      Die Matricule war eine individuelle sechsstellige Erkennungsnummer und die FAMAS war ab diesem Zeitpunkt unsere Waffe. Die Waffennummer, die Matricule sowie seine Blutgruppe nicht auswendig zu kennen, hätte auch hier ernsthafte Folgen gehabt. Eine Woche lang Toiletten schrubben, mindestens! Der Sergent grinste voller Vorfreude, doch meine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Ich hatte viel gelernt, mein Französisch klang perfekt.

      Der Sergent war verblüfft. »Wer ist dein Binôme, Gast?«

      »Engagé volontaire Bannhoultz, Sergent.«

      »Gut.« Er sah sich über meine Schulter hinweg bereits nach einem neuen Opfer um. »Sag Bannhoultz, dass ich mit seiner Arbeit zufrieden bin!«

      Mir war nicht entgangen, dass er nicht gesagt hatte, zufrieden mit deiner Arbeit‘! Ich war also auf der Hut! Am Ende der ersten Woche fuhren wir mit den Simcas und den alten Dodges auf die Farm Bel-Air. Dass es für uns kein Spaziergang werden würde, darauf hatten wir uns bereits vorbereitet. Horrorgeschichten gingen um. Sie erzählten davon, dass hier Legionäre, wenn man sie bei einem Fluchtversuch ertappte, gestellt und erschossen würden. Ich gab nicht viel drauf. Solche und ähnliche Geschichten erzählten der Regel nach Deserteure, wenn sie nach Hause kamen und sich dort ausweinten, um auf diese Art ihrer Flucht einen abenteuerlichen Touch zu verleihen. Was ich im Laufe meiner langen Jahre in der Fremdenlegion immer wieder festgestellt habe, war, dass der Legionär par excellence ein Soldat des Geländes ist. Manöver, Ausbildung, Einsätze und lange, lange Märsche, das waren die Essenzen, von denen wir zehrten. Die Bequemlichkeiten eines festen Quartiers taten zwar ab und zu gut, aber im Grunde gesehen zog es uns hinaus. Die Farmen des 4. RE bereiteten den jungen Legionär auf dieses Leben aus dem Rucksack vor. Sie vermittelten ihm Rustikalität, Zusammenhalt, brachten ihn der Natur näher, und das alles im alltäglichen Schweiße seines Angesichts. Ich übertreibe sicherlich nicht, wenn ich behaupte, dass die Farmen die Basis, die Schmiede und der Kitt unseres Zusammenhaltes waren. Dieser Korpsgeist wiederum war ausschlaggebend für das hohe Ansehen, das wir weltweit genossen. Und für unsere Erfolge!

      Bel-Air war eine Farm etwa siebzehn Kilometer von Lapasset entfernt. Es handelte sich um ein einziges, stattliches Gebäude. Dieses lag auf einer Lichtung, die von allen Seiten von einem dichten Wald umgeben war. Es führten nur ein Schotterweg sowie ein paar Schleichwege dorthin. Die Infrastruktur war mehr als rustikal. Nichts war warm, rosig oder etwa bequem. Zwar gab es fließendes Wasser, aber beim Duschen war es meist kalt bis lauwarm und trotz elektrischen Stroms konnte man das Eis innen von den Fenstern kratzen. Ein Fußball-Terrain lag hinter dem Hauptgebäude, einen Ball bekamen wir jedoch nie zu Gesicht.

      »Sieh dir das verdammte Seil an«, flüsterte Thompson mir zu, als wir unser Gepäck abluden. »Die Hälfte wird es nicht schaffen, wetten?«

      Mein Magen knurrte und die nagelneuen Kampfstiefel drückten. Ich sah rüber zum Seil. Es war gut und gerne zwei Meter länger und viel dünner als das in Lapasset: Eine Herausforderung war es allemal! Ich pfiff leise durch die Zähne.

      »Kann schon sein, Thompson. Aber denk dran, dass du das Seil nicht runterreißen, sondern an ihm hochklettern sollst!«

      Wir lachten beide, duckten aber sofort scheu die Köpfe, als der Caporal de jour mit grimmiger Miene in unsere Richtung sah. Eine halbe Stunde später gab es Brotzeit (Casse-croûte). Sardinen, Weißbrot und Wasser mit einem roten Sirup drin, doch die Sachen sollten wir uns erst verdienen.

      »Aperitif!« Die Stimme des Caporal de jour knallte wie eine Peitsche.

      Uns erwartete nicht etwa ein Martini on the rocks. Aperitif nannten wir die sportlichen Einheiten vor dem Mittag- und Abendessen: eine gesalzene Serie Liegestütze, Sit-ups und dann, längst Kompott in den Armen, sofort das Seil hoch.

      Thompson runzelte die Stirn. »Wenn das mal gut geht!«

      Der Erste, der vor dem Seil stand, war Ho, ein schmächtiger Vietnamese. Er fraß das Seil buchstäblich in sich hinein. Ich schätzte, dass er die acht Meter in sechs Sekunden geschafft hatte. Der nächste Kandidat machte sich bereit. Kaiser war ein dickwanstiger Ostdeutscher. Obwohl er beim Laufen gut mithielt, stand er mit dem Seil auf Kriegsfuß. Mit Mühe und Not schaffte er es bis zur roten Markierung ganz oben, aber dann verließen ihn die Kräfte; und als er nach unten sah, auch der Mut. Mit einem lauten Aufschrei ließ er sich fallen, hielt aber das Seil den ganzen Weg nach unten noch mit beiden Händen umklammert. Wimmernd rollte er sich am Fuße des Seiles zu einer Kugel zusammen. Seine Hände waren blutig, sein Mund zu einem Schrei geöffnet. Zum Dank für seine Bravour bekam er keinen Orden, sondern einen gewaltigen Fußtritt in den Allerwertesten.

      »Debout, crétin. Au prochain!« Steh auf, Idiot. Der Nächste ran ans Seil!

      Der Schwierigkeitsgrad der Ausbildung hielt sich in Grenzen. Was uns zusetzte, war die Kälte. Es war Anfang März, der Schnee lag knöcheltief und die Temperaturen waren weit unter dem Gefrierpunkt. Der Schlafmangel und die Tatsache, dass wir ständig


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