Leben unter fremder Flagge. Thomas GAST
Читать онлайн книгу.Binôme?«
Er war inzwischen in die hinterste Reihe getreten und genau vor Erdoğans Binôme stehen geblieben. Dieser hatte dicken Schweiß auf der Stirn, Schweiß, der mit Anstrengung kein bisschen zu tun hatte. Er war kreidebleich.
»Weißt du etwa auch nicht, wo dein Binôme ist? Und warum trägst du nicht seinen Rucksack?«
»Ich …«
»Was bist du?«, unterbrach ihn Adjudant-chef Romero schroff. Er
spuckte aus und hielt ihm die geballte Faust unter die Nase. »Ich sage dir, was du bist. Eine schäbige Kanalratte, die ihren Freund im Stich lässt, das bist du! Wären wir an der Front, würde ich dich auf der Stelle erschießen! Euch alle! Und nun runter mit euch, in den Dreck. Ratten gehören in den Dreck!«
Während wir den Berg auf dem Bauch hinunterrobbten, hörten wir seine donnernde Stimme unheilvoll über unseren Köpfen.
»Legionäre halten zusammen. Niemand bleibt zurück, niemals, hört ihr? NIEMALS! Es ist nicht damit getan, den Ehrenkodex der Legionäre auswendig zu lernen, leben müsst ihr ihn. Leeeeeben!«
Wir robbten so lange bergab, bis wir Löcher in den Hosen hatten und das Stöhnen einiger lauter war als die Stimme des Adjudant-chef. Erdoğan lag mit geschwollenen Knöcheln am Fuße des Berges. Der Zug war wieder vollzählig. An diesem Tag wäre uns das Essentiellste fast entgangen, oder um es deutlicher zu formulieren: Wir hatten etwas sehr Essentielles erfahren! Etwas, worauf die Stärke der Fremdenlegion basierte. Der Zusammenhalt, die Cohésion! Nie wieder, solange ich zurückdenken kann, ist uns so etwas noch mal passiert. Der Marsch Képi Blanc dauerte zwei Tage. Er führte uns auf einer Strecke von circa siebzig Kilometern zum Pont du garde in der Nähe von Nîmes. Diese Brücke, 50 v. Chr. von den Römern gebaut, war herrlich anzusehen. Der Anblick berührte uns, aber es gab nun Wichtigeres als diese römische Brücke. Wenn es etwas gab, das wir mit gierigen Blicken bedachten, ja richtiggehend verschlangen, dann war es das Képi Blanc! Endlich war es so weit. Die Zeremonie, die dem Marsch folgte, war schlicht und einfach, aber aufs Höchste dazu angetan, unseren Stolz offen zu zeigen. Ja, wir waren verdammt stolz, es bis hierher geschafft zu haben. Wir hatten Blasen und Schwielen an den Füßen und waren so ziemlich am Ende. Als wir losmarschiert sind, hegten wir Zweifel, vor unseren Augen jedoch lag immer das entfernte Ziel. Weder die willkürlichen Schikanen unserer Ausbilder noch die Kälte, die körperliche Pein oder die Erschöpfung hatten uns von diesem Ziel abgebracht. Ein Viertel der Legionäre, die mit uns auf die Farm gekommen waren, war desertiert, wir aber waren geblieben. Und nun wurden wir dafür belohnt. Fast euphorisch zitierten wir den Code d’honneur du légionnaire. Und dann eine laute Stimme.
»Coiffez vos képis blancs!«
Es war getan! Capitaine Hessler, für uns damals ein gottähnliches Wesen, drückte uns anschließend einzeln die Hand und hatte für jeden ein persönliches Wort übrig. Camerone stand vor der Tür. So waren wir die nächsten Tage mit dem Aufbau einer Kirmes beschäftigt. In dieser Zeit ließen die Ausbilder die Zügel ein klein wenig schleifen und das war nur gut so. Für den Leser, der nicht weiß, was Camerone für die Legion verkörpert, findet sich am Ende des Buches eine kurze Abhandlung darüber. Anm. d. Verf.: Gerne komme ich an dieser Stelle auf unseren Zugführer, Adjudant-chef Romero zurück. Weniger auf seine Person, sondern vielmehr auf den Status, den er innehatte. Romero war ein sogenannter „Cadre Blanc“. Bei Cadres Blancs handelte es sich um Offiziere oder Unteroffiziere, die aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten oder Spezialisierungen per Kommandierungsverfügung von ihrer Stammeinheit der regulären Armee abgestellt wurden und für unbestimmte Zeit (oder auf Dauer) in der Fremdenlegion dienten. Das beste Beispiel für Cadres Blancs in der Legion war die Aufstellung des 6. Régiment étranger du génie (6. REG, das spätere 1. REG). Das Regiment wurde genau in unsere Zeit hinein, im Jahr 1984 in Laudun (Frankreich / Gard), gegründet und war Teil der schnellen Eingreiftruppe, der Force d'action rapide (FAR). Die Männer? Legionäre, reine Sturm- oder Kampfpioniere! Da die Fremdenlegion mehr Erfahrung im Bereich „Génie bâtisseur“ (Baumeister Genie) hatte und etwas weniger in Sachen „kämpfende Pioniere“, benötigte sie für die Ausbildung ihrer Männer echte Spezialisten. Ins Regiment gerufene Cadres Blancs, ursprünglich Soldaten aus den Pionierregimentern der regulären Armee, also hochgradig kompetente Männer vom Fach, sollten es richten! Das Regiment, mit Hilfe der Cadres Blancs einmal einsatzbereit, kam sehr schnell dort zum Einsatz, wo es auch hingehörte: Ganz nach vorne an die Front! Tschad 1987 und 1988. Einsätze in Dschibuti, Pakistan und Guyana folgten. 1990 war das 6. REG komplett in Kuwait und im Irak im Einsatz, später dann in Kambodscha, in Somalia, in Bosnien und 1998 wieder im Tschad, im Wüstenfort Bardai. Die Aufträge des Regimentes waren vielfältig und dienten fast immer der unmittelbaren Unterstützung der Kampftruppe. Angefangen mit Sprengungen von Bunkern, dem schnellen Brückenbau (auch das Übersetzen über Flüsse per Brückenlegepanzer), weiter über die Minenräumung in Straßen- und Strandabschnitten oder die Vorbereitung der Truppe für den Orts- und Häuserkampf etc. … es war schon erstaunlich, was die Legionärspioniere Entscheidendes zu leisten vermochten. In ihren Einheiten bildeten sich auch sehr schnell die ersten Spezialzüge, wie etwa das Élément opérationnel de déminage et dépollution (EODD) oder das Détachement d'intervention opérationnelle subaquatique (DINOPS). Also auch Hut ab vor denen, die all das erst möglich gemacht hatten: den Cadres Blancs!
Nach Camerone ging die Ausbildung weiter. Sporttests waren angesagt. Diesmal war es konkret: Test Cooper; la Corde (Erklimmen des Seiles von sechs Metern Höhe, ohne dass dabei die Beine benutzt werden dürfen); vier Klimmzüge, vierzig Sit-ups, zwanzig Pompes und neunzig Meter mit einem Sandsack rennen. Alles auf Zeit, versteht sich. Hinzu fügte sich der 8000 TAP, der Achtkilometerlauf im Kampfanzug, mit Rucksack, Helm und Waffe. Man bereitete uns auf den Raid vor, auf das Erlangen des CTE-00, des Certificat technique élémentaire. Die beiden Nullen bedeuten in diesem Fall: Infanterie légère / leichte Infanterie. Von uns wurde jeden Tag mehr erwartet, aber wir verlangten auch nach mehr. So durften wir nun Wache in der Kaserne Lapasset schieben. Mit Waffe und dem schneeweißen Képi auf dem Kopf. Die Komposition der Wache ist kein Geheimnis, sie variiert jedoch von Garnison zu Garnison. Meist war sie wie folgt: Ein Sergent als Chef de poste (wachhabender Unteroffizier); zwei Caporals als Grades de relève (Stellvertreter des wachhabenden Unteroffiziers und verantwortlich für die Wachablösung); ein Clairon (Trompetenspieler) und sechs oder acht Legionäre als Wachposten tagsüber, die nachts durch den Renfort de nuit (Wachverstärkung bei Eintritt der Dunkelheit) verstärkt wurden. Der Wachanzug bestand aus dem weißen Képi mit schwarzer Jugulaire; sandfarbener Hose und Hemd mit den grün-roten Épaulettes de tradition; Ordensspangen, Medaillen und Spezialistenabzeichen, wenn vorhanden; dem Regimentsabzeichen la Pucelle und dem Abzeichen des zugehörigen Truppenteiles. Letzteres illustrierte sich durch ein simples Abzeichen aus Stoff, das sich, von den Fransen der Épaulettes halb verdeckt, auf dem Ärmel befand. Die Cravate verte (die man nur zum Winterwachanzug unter dem Blouson sowie zum kleinen Dienstanzug trug) war mit äußerster Sorgfalt gebunden. Am Bund, zwischen Hose und Hemd bzw. dem Blouson wurde der Ceinture bleue geschlungen, darüber kam ein olivfarbenes Koppel mit einer Magazintasche. Das Bajonett trug man links an der Koppel. Seine Schneide verlief genau längs der Hosenfalte. Die Hosenbeine wurden mit Gummis bis über die erste Schnalle der auf Hochglanz polierten Kampfstiefel gezogen und dort eingehakt. Dieser Anzug war ein Aushängeschild des Zuges, des Zugführers und nicht zuletzt der Legion. Eine Falte an einer Stelle, wo keine hingehörte, zog die sofortige Bestrafung nach sich. Man hatte die FAMAS mit aufgepflanztem Bajonett mit den Riemen vor die Brust geschnallt, Kanone nach links. Die Wache dauerte vierundzwanzig Stunden. Tagsüber, in den Pausen, war Hinsetzen verboten, da der Anzug optischen Schaden nehmen konnte. Erst nachts, mit dem Eintreffen des Renfort de nuit, konnten wir etwas entspannen, weil wir dann auch den Paradeanzug gegen den Kampfanzug eintauschen durften. Die vier Monate in Castelnaudary resümierten sich also durch folgende Schwerpunkte:
Ärztliche und sportliche Tests.
Aufenthalt auf der Farm Bel Air.
Eine solide Ausbildung.
Der Marsch Képi Blanc.
Der Raid, der Drei-Tage-Marsch mit dem CTE-00 am Ende.
Das