Das Elfenbeinkind. Henry Rider Haggard
Читать онлайн книгу.Quatermain hat mehr als gut geschossen. Sein Debüt in der Schonung am See war das brillanteste, was ich je gesehen habe. Als Sie dort hineingingen, Sir Junius, waren Sie ihm um dreißig Stück voraus, und Sie haben dort siebzehn Patronen mehr verschossen.«
Gerade als wir gehen wollten, geschah etwas. Der rundäugige Charles kam pustend hergerannt und schwang einen schlammbedeckten Fasanenhahn in der Hand. Ihm folgte ein anderer Mann mit einem Hunde.
»Ich habe ihn, Mylord,« keuchte er, »den von dem kleinen Herrn, ich meine den, den er mit seinem letzten Schuß in den Wolken getötet hat. Er war steil in den Schlamm heruntergefallen und drin steckengeblieben. Tom und ich haben ihn mit einer Stange herausgefischt.«
Der Vogel war zwar schon fast erkaltet, aber augenscheinlich erst vor kurzem verendet, denn die Glieder waren noch völlig beweglich.
»Das senkt die Wagschale zugunsten von Herrn Quatermain,« sagte Lord Ragnall, »deshalb wäre es am besten, Sir Junius, Sie zahlten das Geld und gratulierten ihm, wie ich es jetzt tue.«
»Ich protestiere«, rief van Koop ärgerlich und noch bösartiger als gewöhnlich. »Wie soll ich wissen, ob dies Herrn Quatermains Fasan ist. Die in Frage stehende Summe ist höher als fünf Pfund, und so halte ich es für meine Pflicht, zu protestieren.«
»Die Aussage meiner Leute und die Wahrscheinlichkeit sprechen dafür, Sir Junius, daß es wirklich Herrn Quatermains Fasan ist«
Er untersuchte den Vogel näher und fragte: »Welche Art Schrot haben Sie benutzt, Sir Junius?«
»Nummer vier auf dem letzten Stand.«
»Und Sie haben Nummer drei verwendet, Herr Quatermain, nicht wahr? Schön, hat noch jemand Nummer drei gebraucht?«
Alle schüttelten die Köpfe.
»Jenkins, öffne den Kopf des Vogels! Ich denke, daß die Kugel, die ihn getötet hat, im Gehirn zu finden sein wird.«
Jenkins führte die Operation mit einem Federmesser aus und fand tatsächlich die Kugel.
»Schrot Nummer drei, Mylord, nicht dran zu tippen«, sagte er.
»Sie werden zustimmen, Sir Junius, daß damit der Beweis erbracht ist«, sagte Lord Ragnall »Und nun, da die Wette hier abgeschlossen wurde, ist es wohl am besten, sie wird auch hier bezahlt.«
»Ich habe nicht genug Geld bei mir«, erwiderte van Koop mürrisch.
»Ich glaube, Ihr Bankier ist auch der meinige,« sagte Lord Ragnall ruhig, »so können Sie im Zimmer sogleich einen Scheck ausschreiben. Kommen Sie alle herein, es ist kalt hier im Winde.«
So gingen wir ins Rauchzimmer, und Lord Ragnall, der sich, wie ich merkte, ärgerte, holte sogleich einen Blankoscheck aus seinem Arbeitszimmer und übergab ihn van Koop mit einer befehlenden Geste.
Dieser nahm ihn, und zu mir gewendet sagte er: »Ich erinnere mich der Summe an sich, aber wieviel betragen die Zinsen? Es tut mir leid, Sie zu bemühen, aber Zahlen sind meine schwache Seite.«
»Dann müssen Sie sich innerhalb der letzten zwölf Jahre sehr verändert haben, Sir Junius«, konnte ich nicht umhin, zu bemerken. »Aber lassen wir die Zinsen. Ich bin mit der Hauptsumme ganz zufrieden.«
So füllte er den Scheck über zweihundertfünfzig Pfund aus und warf ihn vor mich auf den Tisch hin, wobei er etwas über lästiges Vermischen von Geschäft und Vergnügen brummte. Ich nahm das Papier und sah, daß es richtig, wenn auch fast unleserlich, ausgeschrieben war. Aber während ich es trocknete, kam es mir in den Sinn, daß ich mit diesem auf solche Art gewonnenen Gelde nichts zu tun haben wollte.
Indem ich einem vielleicht törichten Gefühl nachgab, sagte ich:
»Lord Ragnall, der Scheck hier ist die Deckung für eine Schuld, die ich schon längst als verloren abgeschrieben habe. Beim Frühstück sprachen Sie heute von einem Hospital, für das Sie einen Fonds sammeln wollten, und auf eine diesbezügliche Frage von Ihnen sagte Sir Junius Fortescue, daß er bis jetzt noch nichts für den Fonds gezeichnet hätte. Wollen Sie mir erlauben, Ihnen hiermit Sir Junius' Zeichnung, die auf seinen Namen eingetragen werden mag, zu übergeben?« Und ich reichte ihm den Scheck, der auf mich oder Überbringer ausgestellt war.
Er warf einen Blick auf den Scheck und errötete, als er sah, daß er nicht auf fünf, sondern auf zweihundertfünfzig Pfund lautete. Dann fragte er:
»Was sagen Sie zu diesem Akte von Freigebigkeit seitens Herrn Quatermain, Sir Junius?«
Es erfolgte keine Antwort. Sir Junius war verschwunden. Ich habe ihn niemals wiedergesehen. Wie ich einige Jahre später hörte, wurde der Scheck doch nicht unter seinem, sondern unter meinem Namen dem Hospital übergeben. Und zwar errichtete man von dem Gelde einen kleinen Extraraum zur Unterbringung kranker Kinder; er erhielt den Namen »Allan-Quatermain-Saal«.
Damit habe ich die Geschichte von jenem Dezemberschießen erzählt. Seit jenem Tage datiert meine lange und innige Freundschaft mit Ragnall.
3. Kapitel
Fräulein Holmes
Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich damit, in dem mir angewiesenen Zimmer meine Schulter, die durch den Rückstoß der Gewehre wund geworden war, einzureiben und mein Kopfweh zu beseitigen, das ich durch das hitzige Schießen und durch den Sturm bekommen hatte. Hernach erschien, wie vereinbart, Scroope und führte mich durch die langen, verschlungenen Gänge dieses alten Schlosses hinunter in den großen Salon.
Das war ein prachtvoller Raum, der nur bei besonderen Anlässen benutzt wurde. Wenigstens zwei- bis dreihundert Wachskerzen warfen einen sanften Schimmer über die getäfelten, bilderbehangenen Wände, über die kostbaren alten Möbel und die juwelengeschmückten Damen, die hier versammelt waren. Die Gesellschaft war zahlreich; es waren wohl gegen dreißig Personen, die sich an jenem Abend zu dem Diner, das der Nachbarschaft zur Einführung von Lord Ragnalls zukünftiger Gemahlin gegeben wurde, niedersetzten.
Fräulein Manners, die sehr glücklich und anmutig aussah, gesellte sich sofort zu uns und unterrichtete Scroope, daß »sie« soeben eingetroffen wäre; das Mädchen in der Garderobe hätte es ihr mitgeteilt.
»So, kommt sie?« antwortete Scroope gleichgültig. »Nun, solange du nur da bist, sind mir alle anderen gleichgültig.«
Dann sagte er ihr, daß er sie wunderschön fände. Er starrte sie so verzückt an, daß ich ein paar Schritte zurücktrat und mich in die Betrachtung eines Bildes vertiefte, einer Darstellung der Judith, die angestrengt damit beschäftigt schien, Holofernes den Kopf abzuhacken.
Dann wurden die Türen geöffnet, und der tadellose Wild, der so etwas wie den Zeremonienmeister repräsentierte, kündigte mit wohlerzogener, aber durchdringender Stimme »Lady Longden und das ehrenwerte Fräulein Holmes!« an. Ich starrte hin wie alle anderen, aber eine Zeitlang füllte nur ihre Ladyschaft meine Augen aus. Sie war eine korpulente und, wenigstens nach meinen Begriffen, schrecklich aussehende, in schwarze Seide gekleidete und mit großen Diamanten behängte Dame. Sie war Witwe. Ihr Haar war weiß, ihre Nase krumm, ihre dunklen Augen blitzten durchdringend, und sie schien bös erkältet. Ich hatte Zeit, das alles an ihr festzustellen. Dann kam ihre Tochter in meinen Gesichtskreis.
Sie war wahrhaftig eine liebliche Erscheinung von etwa zwei- oder dreiundzwanzig Jahren. Ihr nicht sehr großer Körper war weich und edel geformt, und ihre Bewegungen waren so anmutig wie die eines Rehes. Sie hatte überhaupt viel Ähnlichkeit mit einem Reh, besonders durch die graziösen Formen ihres Äußeren und durch ihre großen, feuchtschimmernden Augen. Sie war eine dunkle Schönheit mit reichem braunlockigen Haar, klarem Oliventeint, wunderschön geformtem Mund und sehr roten Lippen. Ihrem Äußeren nach schien sie mir mehr der italienischen oder spanischen als der angelsächsischen Rasse anzugehören, und ich glaube auch, daß sie von ihres Vaters Seite her wirklich etwas südliches Blut in den Adern hatte. Sie trug ein rosafarbenes Kleid, und ihre einzigen Schmuckstücke bestanden in einer Perlenkette und einer einzelnen roten Kamelie.
Nur einen einzigen Makel,