Skizzen aus dem Londoner Alltag. Charles Dickens

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Skizzen aus dem Londoner Alltag - Charles Dickens


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Unwille gegen die drei Miß Browns noch ausgebrochen wäre, hätte nicht die Vorsehung einen Zufall herbeigesandt, der dem Strom der öffentlichen Meinung eine andere Richtung gab.

      Frau Johnson Parker nämlich, die Mutter von sieben ausgezeichnet hübschen und sämmtlich unverheirateten Töchtern, hinterbrachte eiligst mehreren andern Müttern hübscher und unverheiratheter Töchter, daß fünf alte Männer, sechs alte Frauen und unzählig viele Kinder jeden Sonntag ohne Bibel und Gebetbuch zur Kirche kämen. Hatte man je so etwas in einem civilisirten Lande gehört? Konnten solche Dinge in einem christlichen Lande geduldet werden? Nimmermehr! Alsbald wurde ein Damen-Bibel- und Gebetbuchs-Vertheilungs-Verein gebildet. Zur Präsidentin wurde Frau Johnson Parker ernannt, die Schatzmeisters-, Controleurs- und Secretärsstellen aber den Misses Johnson Parker übertragen; es wurden Subscriptionen eröffnet; Bücher angekauft, und alle Bedürftigen damit versorgt, und als diese Bibeln und Gebetbücher am nächstfolgenden Sonntag nach diesen Vorfällen zum ersten Male in Anwendung kamen, gab es ein solches Auf- und Zuklappen der Bücher, ein solches Rasseln mit den Blättern, daß es fünf Minuten lang lediglich unmöglich war, auch nur ein Wort von der Liturgie zu vernehmen.

      Die drei Miß Browns und ihre Partei sahen die herannahende Gefahr und versuchten sie dadurch abzuwenden, daß sie die Gesellschaft durch Spott lächerlich machten. »Weder die alten Männer, noch die alten Frauen könnten die Bücher lesen, die ihnen geschenkt worden seien,« sagten sie. – »Hat nichts zu sagen; sie können's lernen,« erwiederte Mrs. Frau Johnson Parker. »Auch die Kinder können nicht lesen,« sagten die drei Miß Browns.– »Thut nichts; man kann sie auch lehren,« entgegnete Frau Johnson Parker. Man wog die Wichtigkeit der beiden Parteien gegeneinander ab, und die Parteien waren einander gleich. Die Miß Browns veranstalteten eine öffentliche Prüfung – die öffentliche Meinung neigte sich auf die Seite des Kinderprüfungs-Vereins. Die Johnson Parker's vertheilten öffentlich Bibeln und Gebetbücher – und es fand eine Reaction zu Gunsten des Bibel- und Gebetbuchs-Vertheilungs-Vereins statt. Eine Feder würde die Wagschale geneigt haben, und eine Feder neigte sich wirklich.

      Ein Missionär kehrte aus West-Indien zurück; er sollte, bei Gelegenheit seiner Vermählung mit einer reichen Wittwe, der Dissenters-Missions-Gesellschaft für die Ausbreitung des Christenthums unter den Heiden vorgestellt werden. Den Dissenters wurden durch die Johnson Parkers Anerbietungen gemacht. Ihre Zwecke waren ja dieselben, warum sollte also nicht eine vereinigte Zusammenkunft beider Gesellschaften statt finden können? Der Antrag wurde angenommen, der Tag der Versammlung durch öffentliche Ankündigungen im Voraus gehörig ausposaunt, und der Saal war bis zum Ersticken voll. Der Missionär erschien auf der für ihn erbauten Rednerbühne und wurde mit Enthusiasmus empfangen. Er gab ein Gespräch zwischen zwei Negern zum Besten, das er mit angehört haben wollte; sie hatten hinter einem Gartenzaune über die Vertheilungs-Gesellschaften unterredet – der Beifall wurde zum Toben. Nun ahmte er vollends das englische Kauderwälsch der beiden Neger nach, und das ganze Haus erbebte von stürmischem Beifallsgeschrei.

      Von diesem Tage an war die Popularität der Bibel-Vertheilungs-Gesellschaft in stets wachsendem Zunehmen begriffen, das durch die schwache und ohnmächtige Opposition der Prüfungs-Partei nur noch mehr gefördert wurde.

      Was nun den wichtigen Punkt der Kindbetts-Weißzeug-Monats-Leih-Vereine betrifft, so beruht seine Bedeutsamkeit hauptsächlich darauf, daß er weit weniger dem Schwanken der öffentlichen Meinung unterworfen ist, als der Bibel-Vertheilungs- und der Kinder-Prüfungs-Verein; und mag es kommen, wie es will, so wird es ihm nie an Veranlassung zur Wohlthätigkeitsübung fehlen. Unser Kirchspiel gehört, wie bereits früher erwähnt worden, zu dem volkreichsten, und wenn irgend eines zur Vermehrung der Gesammtzahl der Hauptstadt und ihrer Umgebungen beiträgt, so möchten wir fast behaupten zu dürfen glauben, daß unseres eher mehr leistet, als seine gerechte Schuldigkeit ist. Die Folge davon ist, daß der Kindbetts-Verein blüht, und seine Mitglieder bedeutenden Einfluß ausüben. Der Verein (dessen Gebrauch, seine Geschäftszeit in Monate einzutheilen, ihr den Namen gegeben hat) hält monatlich große Thee-Gesellschaften, bei denen der Monatsbericht verlesen, eine Sekretärin für den folgenden Monat gewählt und das in diesem Monat nicht ausgeliehene Weißzeug sorgfältig gestürzt wird. Wir waren nie bei einer dieser Versammlungen zugegen, denn Herren sind, wie wir kaum bemerken zu müssen glauben, völlig ausgeschlossen; allein Herr Bung ist ein paar Mal zu den Sitzungen berufen worden; und wir können auf seine Autorität hin versichern, daß es bei den Verhandlungen mit großer Ordnung und Regelmäßigkeit zugeht, indem unter keinerlei Vorwand gestattet wird, daß mehr als vier Mitglieder zu gleicher Zeit sprechen.

      Der regelmäßige Ausschuß besteht ausschließlich aus verheiratheten Damen, dagegen wird eine ganze Legion junger, unverheiratheter Damen von achtzehn bis fünfundzwanzig Jahren als Ehrenmitglieder zugelassen – theils weil sie sich durch ihre Beiträge und Besuche der Kindbetterinnen sehr nützlich machen, theils weil es von großem Interesse ist, sie schon bei Zeiten in die ernsteren Pflichten ihres späteren Lebens einzuweihen, und endlich, weil kluge Mütter nicht selten Gelegenheit gefunden haben, die Erfahrung zu machen, daß ihnen dieser Umstand bei Heirathsspeculationen wundervolle Dienste geleistet hat.

      Außer den Monats-Weißzeug-Körben (die alle blau gemalt sind, und auf deren Deckel der Name des Vereins mit großen, weißen Buchstaben prangt) vertheilt der Verein zuweilen unter seine Kindbetterinnen auch Bouillon und eine Art warm Bier, mit Gewürze, Eiern und Zucker, gewöhnlich unter dem Namen »Caudle« bekannt, wozu die Dienste der Ehrenmitglieder abermals in Anspruch genommen und auch mit großer Bereitwilligkeit geleistet werden. Deputationen von zwei oder drei werden ausgesendet, um die Kindbetterinnen zu besuchen, und bei dergleichen Besuchen sieht man ein solches Kosten von Caudle und Bouillon, ein solches Vertheilen in kleine Portionen und Umrühren in kleinen Gefäßen, ein solches An- und Auskleiden der Kleinen und ein solches Binden und Halten und Heften, ein solches Pflegen und Wärmen kleiner Beine am Kamine, einen so fröhlichen Wirrwarr von Geplauder und Kochen, Lärmen, Wichtigthun und Geschäftigkeit, wie man es in seinem Leben nicht lustiger gesehen hat.

      Im Bestreben, diesen beiden Anstalten nachzueifern, und um noch einen letzten Versuch zu machen, sich in der verlorenen Gunst des Kirchspiels wieder festzusetzen, beschlossen die Mitglieder des Kinder-Prüfungs-Vereines vor einigen Tagen, eine große öffentliche Prüfung mit den Waisen zu veranstalten, wozu der große Unterrichts-Saal des National-Seminars, mit Zustimmung der Kirchspiels-Autoritäten, eingeräumt wurde. Einladungs-Circulare wurden bei allen angesehenen Kirchspiels-Angehörigen herumgeschickt, und dabei natürlich die Häupter der andern beneideten Vereine nicht vergessen, da das Ganze zu ausgedacht war; man erwartete mit Zuversicht eine zahlreiche Versammlung. Der Fußboden wurde den Tag zuvor unter der unmittelbaren Oberaufsicht der drei Miß Browns mit großer Sorgfalt gescheuert; Bänke wurden zur Bequemlichkeit der Zuhörer rings um den Saal aufgestellt und die besten Schreibbücher sorgfältig ausgelesen und so lange durchgegangen, verbessert, und zugestutzt, bis selbst die Kinder, die sie geschrieben hatten, noch mehr darüber erstaunt waren, als es allem Vermuthen nach die sein konnten, die sie lesen sollten. Zusammengesetzte Rechnungs-Exempel wurden eingeübt, wiederholt, und so lange wiederholt, bis sämmtliche Schüler die Facits vollständig auswendig wußten; kurzum, die Vorbereitungen waren so umfassend und mühselig, als es nur immer möglich sein konnte.

      Der Morgen kam; die Kinder wurden mit Oelseife geseift, mit Flanell gerieben, und mit Handtüchern abgetrocknet, bis ihre Gesichter glänzten; man kämmte eines jeden Waisen Haar sorgfältig gegen seine Augen hin; die Mädchen wurden mit schneeweißen Halskrägen geschmückt, und ihre Hüte mit einem einfachen, purpurfarbenen Bande festgebunden, die Hälse der Knaben aber in eine Halsbinde von ungeheurer Höhe gezwängt. Als sich die Thüren aufthaten, erblickte man die Miß Browns und Comp. in einfachen, weißen Mousselinkleidern und ditto Hauben – die Kinderprüfungs-Uniform. Der Saal füllte sich; man grüßte sich laut und herzlich; die Austheilungspartei zitterte, denn ihre Popularität stand auf dem Spiele.

      Der älteste Knabe trat vor und stotterte eine auswendig gelernte Anrede aus seiner Halsbinde hervor, worin er die Anwesenden um ihre Gunst bat. Sie war aus Herrn Henry Brown's Feder, der Beifall allgemein, und die Johnson Parkers voller Bestürzung und banger Erwartung. Die Prüfung hatte den besten Fortgang und endigte mit einem vollkommenen Triumphe. Der Kinderprüfungs-Verein hatte also für dieß Mal den Sieg erlangt, und die Johnson Parkers


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