Traumafabrik. Robert Lorenz

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Traumafabrik - Robert Lorenz


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abgerufen worden, als die delinquenten Jugendlichen aus „Rebel Without a Cause“ (1955) – einem der bloß drei James-Dean-Filme (zudem mit Natalie Wood und Dennis Hopper) – nachts die Villa erkunden und im leeren Pool unterwegs sind.

      Das Haus der Desmond im italienischen Renaissancestil ist allein von seiner Architektur und seiner schieren Größe her extravagant und hollywoodesk. Acht Schlafzimmer, im Keller eine Bowlingbahn, im Innern voller Säulen mit Kapitellen der korinthischen Ordnung; den ursprünglichen Holzboden im Foyer tauschte die Desmond gegen einen edlen Kachelboden aus, damit dort Valentino besser tanzen konnte; die Etagendecke wurde in Portugal gefertigt, hinter einem großen Gemälde verbirgt sich eine Heimkinoleinwand. Das Mobiliar verstärkt die bauliche Opulenz sogar noch: schwere, dunkle Holzmöbel, oft mit dicken Spiralsäulen verziert, vor dem Schreibtisch ein römischer Stuhl, auf dem Gillis einen Skriptauszug des Desmond-Drehbuches liest; ihr Bett ist einer griechischen Triere aus der Antike nachempfunden, ergänzt um eine kleine Engelsfigur am Bug (Dieses Bett hat eine bemerkenswerte Requisitengeschichte und tauchte u. a. 1934 in Howards Hawks’ Screwballklassiker „Twentieth Century“ auf) – von allem viel zu viel, ganz so wie beim Hype um die Hollywoodstars.

      Und wer die abgedrehte Statur eines Stummfilmstars aus den Zwanzigern an Haus und Mobiliar noch nicht ermessen kann, für den flechten Wilder, Brackett und Marshman Jr. immer wieder Hinweise auf Norma Desmonds Format ein: Im Studiogebäude der Paramount sei eine ganze Etage ihrer Garderobe gewidmet gewesen; 17.000 Fanbriefe habe sie jede Woche erhalten; ein indischer Maharadscha habe einen ihrer Seidenstrümpfe erbettelt und sich später damit erhängt. In der Garage parkt ihr handgefertigter Isotta-Fraschini mit Leopardenfellbezug und vergoldetem Telefonhörer, mit dem sie dem Fahrer unterwegs ihre Direktiven durchgeben kann. Ihre Star-Gagen hat sie offenbar nicht verprasst, sondern profitabel in Immobilien und Ölquellen angelegt – „I’m richer than all this new Hollywood trash“, sagt sie voller Verachtung für die ihr am Sternenhimmel über der Traumfabrik Nachgefolgten.

      Dass „Sunset Blvd.“ in Schwarz-Weiß gedreht ist, entsprach dem damaligen Standard, am Ende der 1940er Jahre. Aber man müsste ihn auch heute noch so drehen; denn jedwede bunte Farbe widerspräche zutiefst dem düsteren, pessimistischen, depressiven Unterton seiner Szenen und natürlich auch dem Stummfilm-Thema. Wilder versetzt sein Publikum in die beklemmende Villa, mitten hinein in die Desmond’sche Obsession. Man kann darin ihre am eigenen Ruhm erkrankte Seele regelrecht greifen. Und obwohl man den Ausgang dieser Manie ja von der ersten Szene an kennt, verfolgt man gebannt den Verlauf dieser vorherbestimmten Tragödie. Gillis und Desmond, der erfolglose Skriptschreiber und der erloschene Stern, gehen eine unheilvolle Symbiose zweier blockierter Menschen ein, der eine am Anfang, die andere am Ende der Karriere. Gillis quartiert sich also in der exzentrisch-morbiden Luxusvilla ein, in der bei leichten Windstößen eine Orgel schauerliche Töne von sich gibt, hunderte von Desmond-Porträts drapiert sind und die Schauspielerin in ihrem Privatkino an mehreren Abenden pro Woche die eigenen Filme abspielen lässt („So much nicer than going out, she’d say.“).

      Über diesem Arrangement schwebt ihre Comeback-Absicht wie ein Damokles­schwert. Denn der Profi Gillis ahnt natürlich, dass sich bei Paramount längst niemand mehr für sie interessiert und obendrein ihr Skript von peinlicher Qualität ist. Norma Desmond freilich ist ganz und gar unfähig, sich mit dem Bewusstsein einer glanzvollen Vergangenheit zu begnügen oder die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens zu erkennen, geschweige denn jemals zu akzeptieren. Um jeden Preis will sie, „still sleepwalking along the giddy heights of a lost career“, die einstige Größe zurückerlangen, ja noch steigern. Für ihre Tonfilm-Epigon:innen hat sie aus postpubertärem Selbstschutz nichts als Verachtung übrig („We didn’t need dialogue. We had faces. There just aren’t any faces like that any more. Maybe one, Garbo.“). „I can say anything I want with my eyes!“, lautet ihr Credo. Gleich bei ihrer ersten Begegnung echauffiert sie sich (in theatralischem Furor) gegenüber Gillis über die Filmbranche, die sie – die Größenwahnsinnige – des Größenwahns zeiht, neben dem Bild unbedingt auch noch den Ton bekommen zu müssen: „They took the idols and smashed them. The Fairbanks, the Gilberts, the Valentinos! And who have we got now? Some nobodies!“ Worte hätten die Branche stranguliert, „but there’s a microphone right there to catch the last gurgles, and Technicolor to photograph the red, swollen tongue!“ Mit dem Blick auf Norma Desmond lässt sich begreifen, wie gefährlich der Aufstieg zu Glanz und Gloria, zum Selbstzweck verkommen, sein kann.

      „Sunset Blvd.“ ist ein Film aus Hollywood über Hollywood. Mit tragikomischem Unterton wirft er einen überaus bitteren, seziererischen Blick auf das Filmbusiness im Allgemeinen, die Pathologien und Neurosen der „Traumfabrik“ im Besonderen – ein „Abgesang“, wie es oft heißt. Man soll sehen, wie verschwenderisch die Stars des frühen Hollywood in ihrem Geld schwelgten und in welch sinnlosen, kruden Luxus sie ihre immensen Gagen steckten. Glück kann man bekanntlich nicht kaufen. Man soll auch sehen, wie sich in den Besitztümern – megalomane Villen, kostspieliges Material für jedes noch so belanglose Accessoire – bereits die Entfernung von der Wirklichkeit andeutet. Vor allem aber soll man die schnelle Vergänglichkeit von Ruhm nachvollziehen, die sich in der stickigen Stratosphäre der Hollywoodstars mit menschlicher Eitelkeit und Geltungssucht zu einem fatalen Cocktail vermischt. Weil die Desmond mit ihrem Karriereende nicht klarkam, mehrere Suizidversuche unternahm, hat Butler Max der Diva eine schützende Scheinwelt errichtet (die sie als Kokon missverstand, für eine Metamorphose zu einem noch viel größeren Star-Leben).

      Was Wilder, Brackett und Marshman Jr. hier formulieren, ist eine Verantwortungsutopie, in der Produzent:innen und Regisseur:innen eine Verpflichtung gegenüber den Geschöpfen der Filmindustrie übernehmen: „I made her a star, and I cannot let her be destroyed“, erklärt Max sein Anliegen. Denn spät in der Handlung von „Sunset Blvd.“ entpuppt sich der unscheinbare, mimiklose Butler Max v. Mayerling als Ex-Regisseur, Entdecker der Desmond und deren erster Ehemann, einst neben D.W. Griffith und Cecil B. DeMille eine der großen Regiehoffnungen der damals noch blutjungen Filmbranche. Wegen ihrer „moments of melancholy“, wie der Butler die Selbstmordversuche der Desmond nennt, sind im ganzen Haus die Türschlösser entfernt worden, damit sich kein Raum mehr verriegeln lässt. Norma Desmonds Beschäftigung besteht nun darin, Porträts zu signieren; und sie prahlt mit ihrer Fanpost, die sie – wie Norman Maine 1937 in „A Star Is Born“ – als untrügliches Indiz für das Verlangen des Publikums wertet; doch sind es fingierte Zuschriften, geschrieben vom Butler. Desmonds Scheinwelt ist bedroht, als laut ihrer Astrologin die Sterne günstig stehen und sie daher beschließt, das Skript nun endlich an ihren alten Regisseur Cecil B. DeMille zu senden und sich die einstige Hollywoodikone dann eines Tages tatsächlich zu ihrem alten Studio aufmacht (die reale Paramount, wo zur selben Zeit „Sunset Blvd.“ entstand). In der festen Erwartung, dort wegen ihrer vermeintlich genialen Filmidee – in ihren Augen ein Coup sondergleichen – mit offenen Armen empfangen und auf der Stelle ins Rampenlicht gerückt zu werden, lässt sie sich mit ihrem Isotta-Fraschini majestätisch durch das berühmte „Bronson Gate“ des Studiogeländes chauffieren (in das der Fahrer v. Stroheim angeblich krachte, weil er kein Auto fahren konnte) – eben ganz wie eine Königin, die nach langer Zeit mal wieder eines ihrer Schlösser besucht.

      Allein was dort passiert, reicht aus, dem Film einen großen Sehenswert zu verleihen: Am Eingangstor weiß der jüngere Pförtner zunächst nichts mit ihrem Namen anzufangen („Norma who?“), aber sie kennt den älteren, der sie sofort einlässt, unendlich geschmeichelt, da sie seinen Namen nicht vergessen hat. Cecil B. DeMille (1881–1959), Mitbegründer Hollywoods und schon damals eine Regielegende – hier obendrein von sich selbst gespielt –, steckt inmitten der Dreharbeiten zu „Samson and Delilah“ (dem Bibel-Schinken, den DeMille damals im Jahr 1949 tatsächlich gerade für die Paramount drehte).

      Die Desmond, die mit dem Film-DeMille ihre großen Leinwandtriumphe gefeiert hat und ihn nun für ihr Comeback begeistern will, stört ihn natürlich bei der Arbeit. Als die Pforte die Crew in der Soundstage über Desmonds nahenden Besuch informiert, durchläuft die Nachricht zunächst die Befehlskette, bis sie irgendwann bei DeMille, dem Regisseur, ankommt. Der reale DeMille, so muss man bei dieser Szene wissen, hat mit der Desmond-Darstellerin Gloria Swanson (1899–1983) ein halbes Dutzend Filme gemacht, die wiederum Swansons große Stummfilmzeit begründeten, mit denen sie zum Star avancierte; im Film begrüßt er die


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