Traumafabrik. Robert Lorenz

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Traumafabrik - Robert Lorenz


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Während Bart seinen Überfall vorbereitet, fährt draußen eine Limousine vor – der Fluchtwagen echter Gangster, die zum Bankschalter schreiten und Bart zuvorkommen. Der genuine Cowboy Bart zückt daraufhin seinen silbernen Revolver und erledigt mit drei präzisen Schüssen die türmenden Gangster, deren Fluchtwagen in ein geparktes Fahrzeug kracht – die eben noch als Verbrecherwerkzeug vorgesehene Waffe wird so zum Instrument einer Heldentat, der potenzielle Täter eines bewaffneten Raubüberfalls zum Mann der Stunde. „Film hero real hero in gun battle“ jubiliert die Abendzeitung.

      Weil Bart nun im ganzen Land auf den Titelseiten als Ganovenkiller und Polizistenretter gefeiert wird, beeilt sich das Studio, seinen geschassten Star so schnell wie möglich zurückzuholen. Als er wieder unter Vertrag genommen werden soll, da das Kinopublikum nun unmissverständlich nach Tim Bart und „outdoor pictures“ zu verlangen scheint, da hängen im Büro des Studiobosses plötzlich überall gerahmte Tim-Bart-Aufnahmen, wo noch zuvor, als man ihn fallen ließ, die Porträts anderer Darsteller die Wände zierten. „It’s grand to see you again“, wird er in Sam Bennetts Büro, dem Entscheidungszentrum von Perfect Pictures, empfangen, wo man ihn längst abgeschrieben hatte. „You know how we’ve always felt about you around here“, heuchelt man ihm – „Just like home, isn’t it, Tim, huh?“

      Diese Szene, in der sich oberflächlich alles in Wohlgefallen auflöst, zeigt in Wirklichkeit die Studios – und ihre Angestellten – als Sklaven von Medienkonjunkturen und Nachrichtenwerten. Als der Westerndarsteller seiner Filmfantasie entschlüpft und wie ein echter Revolverheld die Banditen zur Strecke bringt, avanciert er mit einem Mal zum Medienereignis, das die PR-alerten Studioprofis sofort kommerziell ausbeuten wollen. Analog zu Fullers unvermitteltem Engagement, als Drehbuchnovize einen Film zu schreiben, manifestiert sich im Finale ebendieses Films die Kurzlebigkeit von Entscheidungen und Prämissen, der spontaneistische Charakter Hollywoods. Der eben noch mit der Begründung, niemand wolle mehr Western sehen, fallengelassene Bart wird nun mit der gegenteiligen Aussage – das Publikum lechze nach Outdoor-Filmen wie eben Western – zurückgeholt und erneut zum Star aufgebaut. Auf der Plakatwand rufen dicke Lettern: „Tim Bart Rides Again!“

      Sunset Blvd. (1950)

      Boulevard der Dämmerung

      Ein Leichnam wird in den fensterlosen Raum geschoben, an den Wänden sind wie in einem Parkhaus bereits ein Dutzend andere Verstorbene abgestellt. Weiße Tücher bedecken sie, um den großen Zeh ein Etikett gehängt, die Zusammensetzung ein Spiegel der Gesellschaft – Kinder und Alte, Weiße und Schwarze. Das Licht geht aus, aber plötzlich scheinen die Toten halbtransparent unter den Abdeckungen hervor. Jemand beginnt zu reden und mit einem Mal tauschen sich die Verstorbenen in der Leichenhalle von Los Angeles über ihre Todesursachen aus. Einer von ihnen ist Joe Gillis, ein Drehbuchschreiber, offensichtlich deutlich vor seiner Zeit verblichen, da ihn der damals Anfang dreißigjährige William Holden verkörpert. Gillis’ Geschichte beginnt damit, wie er den Sunset Boulevard hinabfährt.

      Das ist das Intro von „Sunset Blvd.“, das es gar nicht gegeben hat. Denn das Testpublikum zweier Previews brach dabei jedes Mal in schallendes Gelächter aus, was dem im Kern finsteren Drama eine völlig andere Richtung gab; viele hielten das spätere Meisterwerk am Ende für totalen Quatsch – Billy Wilder, der Regisseur und Co-Autor des Films, war am Boden zerstört. So änderte er den Anfang und ließ William Holden per Voiceover aus dem Off – in diesem Fall sogar dem Jenseits – sprechen, während die Leiche seiner Filmfigur in einem Pool treibt und von Polizisten aus dem Wasser gefischt wird. Die Anfangsszene mit der Leiche im Pool geriet dann schnell zum markanten Merkmal des Films und gilt längst als dramaturgischer Coup. An ihr lässt sich auch die Bedeutung der ersten Szene ermessen – denn hier lachte keiner mehr.

      Dieses alternative Intro von „Sunset Blvd.“ ist inzwischen legendär: Mit bedrohlichen Orchesterklängen schwenkt die Kamera langsam herab auf einen Bordstein, auf dem in weißer Schrift mit fetten Lettern „Sunset Blvd.“ geschrieben steht. Dann schwebt sie, völlig ohne Schnitt, über den Asphalt, während der Cast eingeblendet wird; sie schwebt rückwärts, als würde man einen Zeitsprung zurück in die Vergangenheit vollführen. Als sie dann wieder aufblickt, erstreckt sich eine Straße, an deren Horizont sich gleißende Scheinwerfer abzeichnen; dann Sirenengeheul, eine Polizeikolonne rast um fünf Uhr morgens den Sunset Boulevard in Los Angeles hinab. Aus dem Off spricht die Stimme eines Mannes; er erzählt von seiner eigenen Ermordung, während die Leiche ebenjenes Mannes im Pool einer Villa treibt (eine raffinierte Einstellung, für die Wilder viel Aufwand betreiben ließ). William Holden, bald darauf eines der berühmtesten Filmgesichter der Fünfziger, später aber auch von den tragischen Gesichtszügen eines schweren Alkoholikers gezeichnet, spricht und spielt diese Figur: Joe Gillis, einen von vielen hundert Drehbuchschreiber:innen, die in L.A. ihr Glück (ver-)suchen.

      Es gibt Filme, die sind so klug, so wunderbar, so zeitlos, dass man sich noch lange nach dem Abspann daran erfreut. „Sunset Blvd.“ ist so ein Film: Billy Wilder (1906–2002), der schon bald in den Status eines der größten Regisseure aller Zeiten aufrücken würde, am Ende seiner Karriere ein sechsfacher Oscarpreisträger und unbestrittene Hollywoodinstanz, inszenierte diesen Film mit messerscharfem Zynismus gegenüber dem überdrehten Star-System der Traumfabrik mit ihren ambivalenten Mechanismen, die gleichermaßen schöpferisch wie zerstörerisch wirken. „Sunset Blvd.“, der vom (ultimativen) Ende aus erzählte Film, beschreibt Gillis’ Untergang, wie drei Kugeln in ihn gerieten und seinen toten Körper in den Pool schmetterten.

      „Sunset Blvd.“, der vom (ultimativen) Ende aus erzählte Film, beschreibt Gillis’ Untergang, wie drei Kugeln in ihn gerieten und seinen toten Körper in den Pool schmetterten. Schon einmal hatte Wilder einen Film mit der Voiceover-Rückblende aufgebaut, doch ist im ausgekochten Film noir „Double Indemnity“ (1944) der Versicherungsvertreter Walter Neff (Fred MacMurray), wenn auch angeschossen, noch am Leben, als er mit seiner Erzählung beginnt. Und Jahrzehnte später würde Wilder sie bei einer weiteren Begegnung mit den Abgründen der Filmwelt, in „Fedora“ (1978), wiederholen (abermals mit William Holden als Off-Erzähler). In „Sunset Blvd.“ umfasst die Rückblende ein halbes Jahr. Joe Gillis sitzt in einer der oberen Etagen des „Alto Nido“-Appartementhauses im nördlichen Teil der Ivar Avenue, einem Bau im kalifornisch-spanischen Eklektizismus. Billy Wilder und seine beiden Co-Autoren Charles Brackett und D.M. Marshman Jr. haben Gillis als typische Hollywoodexistenz angelegt und nutzen „Sunset Blvd.“, um darin sporadisch das Mysterium des beim fertigen Film stets unsichtbaren Drehbuchschreibers zu konturieren, einer dem Publikum tendenziell eher unbekannten Figur (an einer Stelle lassen Brackett, Marshman Jr. und Wilder ihren Protagonisten sagen: „Audiences don’t know somebody sits down and writes a picture. They think the actors make it up as they go along.“).

      Gillis ist ein Journalist aus Ohio, der wie viele andere Presseleute in die große Filmstadt gekommen ist („Just a movie writer with a couple of B pictures to his credit.“), aber bloß auf der Stelle tritt. Sein Leben besteht aus dem unablässigen Schreiben von Geschichten, „that may sell and very possible will not“. Seit geraumer Zeit ist er keines seiner Skripte mehr an ein Studio losgeworden und nun sitzen ihm Geldeintreiber (Larry J. Blake und Charles Dayton) im Nacken, die sein Plymouth Cabriolet abschleppen wollen – seit Monaten ist Gillis mit den Raten im Rückstand. Sein wohlsituierter Agent (Lloyd Gough), den Gillis auf dem Golfplatz anpumpt, will ihm kein Geld leihen, da doch die besten Stoffe mit leerem Magen entständen; dabei rekurriert er auf die teuren Sündentempel und Genussstätten der Reichen und Schönen: „Once a talent like yours gets into that Mocambo-Romanoff rut, you’re through.“

      Bei Paramount – für das Wilder „Sunset Blvd.“ drehte – gewährt einer der Produzenten (Fred Clark) – „a smart producer, with a set of ulcers to prove it“ – Gillis schließlich einen Fünf-Minuten-Pitch. Als die Frau aus der Drehbuchabteilung, Betty Schaefer (Nancy Olson), sein Skript für schlecht befindet, belächelt Gillis sie als eines dieser „message kids“, denen eine Handlung allein nicht genüge.

      Auch Betty Schaefer dient neben Gillis als Repräsentantin der Heerscharen in den Drehbuchabteilungen der Studios. Gillis: „She was so like all of us writers when we first hit Hollywood, itching with ambition, planning to get your names up


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