Traumafabrik. Robert Lorenz
Читать онлайн книгу.Als sich die Star-Aktrice beklagt, dass ihr Make-up geändert wird, erwidert jemand: „I don’t know, Miss Gay. The talkies are changing everything.“
In den späten 1930er Jahren, als „It Happened in Hollywood“ herauskam, mochte die Entstehung eines Films noch etwas Mystisches gewesen sein. Jedenfalls zeigt der Film die Routinen und Prozeduren des Filmemachens in Hollywood: das hektische Treiben am Set, wo gerade eine neue Szene vorbereitet wird; wie der Kamerawagen auf einem Gleis gezogen wird; wie die professionellen Kommandos lauten („Speed“, „Cut“, „Print that one“); oder wie der Regisseur (William B. Davidson) sich passende Vogellaute vorpfeifen lässt und die Windstärke des großen Gebläses reguliert, das eine sanfte Brise statt eines Orkans erzeugen soll. In einer Szene trägt er, als Repräsentant der Regiezunft, ein kurzärmeliges Hemd, Krawattenschal und Baskenmütze. Zwischen zwei Szenen entscheidet der Regisseur kurzerhand, vom Drehbuch abzuweichen („who wrote this junk anyway?“), und denkt sich spontan etwas Neues aus. Das sind Akte, denen die Filmgeschichte einige ihrer größten Regisseur:innen verdankt – weil sie als Drehbuchschreiber oft genug erlebt hatten, die Kontrolle zu verlieren, und dann hofften, auf dem Regiestuhl die Umsetzung ihrer Skripte überwachen zu können.
Dass etliche Stummfilmstars im Tonfilm scheiterten, ist ein Klischee. Aber wenn jemand scheiterte, konnte es ihm ergehen wie Tim Bart. Dass das Studio sämtliche Starprivilegien entzieht und die Prominenz verfliegt, das hat viele Hollywoodianer:innen kaputtgemacht – den seinem ganzen Naturell nach bescheidenen Tim Bart lässt das weitgehend kalt. Nur dass er seine Ranch verliert, bekümmert ihn dann doch, da er dort ja ein kleines Paradies für Kinder schaffen wollte. An diesem Punkt steuert die Handlung des Films denn auch auf ihren dramatischen Wendepunkt zu: Billy (Bill Burrud) steht plötzlich vor der Tür von Tim Barts Appartement – gerade als der gescheiterte Schauspieler die Zelte abbrechen und Hollywood verlassen will. Der Junge, den er einst beim Krankenhausbesuch auf seine Ranch einlud, ist nun genesen und fordert Barts Versprechen ein. Bart will den Jungen nicht hängen lassen und holt sich Hilfe: Die zum Verkauf stehende Ranch wird einfach für eine spontane Party requiriert; und um dem kleinen Billy ein unvergessliches Hollywooderlebnis zu bescheren, bestehen die Gäste aus der Crème de la Crème der Stars: Charlie Chaplin und W.C. Fields, Greta Garbo und Marlene Dietrich, Joan Crawford und Mae West, Bing Crosby singt. Der Clou von Barts Show – und des Films – besteht freilich darin, dass dies allesamt bloß Doubles sind, quasi Illusionen der Illusionen.
„It Happened in Hollywood“ verblasst vor unzähligen anderen Filmen; bereits im Ausstoß seiner Zeit war er ein allenfalls durchschnittlicher Film – schon allein, weil kurz zuvor „A Star Is Born“ (1937) im Subgenre des Hollywoodfilms die ganze Aufmerksamkeit von Publikum und Kritiker:innen auf sich zog. Heute erinnert man ihn vor allem als die erste veritable Drehbucharbeit des späteren Regisseurs Sam Fuller (1912–97), Schöpfer des verstörenden „Shock Corridor“ (1963, eines der besten Psychiatriefilme), des feministischen Western „Forty Guns“ (1957, eines der besten Western) oder des epischen „The Big Red One“ (1980, eines der besten Antikriegsfilme) – ein Filmemacher, dem wie Robert Aldrich oft der Beiname „Maverick“ angeheftet worden ist, da er sich von Hollywood nicht verbiegen ließ. Aber wie bei Aldrich begann auch Fullers Filmkarriere natürlich nirgendwo anders als in Hollywood. Als 1936 in der Komödie „Hats Off“ das erste Mal Fullers Name als Drehbuchautor über die Kinoleinwände flimmerte, da war von seinem ursprünglichen Skript kaum etwas übrig geblieben, weshalb Fuller „It Happened in Hollywood“ als seine erste ernst zu nehmende Drehbucharbeit betrachtete.
Als Fuller das Skript zu „It Happened in Hollywood“ verfasste, war der Journalist und spätere Filmemacher noch ein Hollywoodgreenhorn. In New York hatte er als Kriminalreporter gearbeitet, hatte über Morde und Exekutionen berichtet. Bereits 1931 wollte ihn MGM als Drehbuchschreiber anheuern, weil er der Autor einer Reportage über den seltsamen Doppelmord an einem Geschäftsmann und seinem Sekretär (beide starben durch dieselbe Kugel) war – nur sollte sich Fuller ein passendes Ende für den ungelösten Fall ausdenken. Viele Journalist:innen verließen damals den Big Apple in Richtung Kalifornien; Fuller indes lehnte ab und reiste lieber durch die USA. Er sah in Sing Sing Leute auf dem elektrischen Stuhl verrecken, sah die elendigen Lebensbedingungen der Great Depression-Opfer oder in Chicago Al Capone mit seinen Schergen Poolbillard spielen. Aber von Hollywood verstand er nichts. Zumindest nicht viel: Anlässlich eines Besuchs in L.A. traf Fuller ein paar Drehbuchautor:innen, die in ihren stattlichen Honoraren schwelgten, und schaute sich Studios von innen an. In seinen Schreibarbeiten vermischten sich nun immer stärker Realität und Fiktion, sodass sich der Journalist allmählich zum Romanautor wandelte.
Wenngleich die Geschichte von Myles Connolly stammt und Fuller in Ethel Hill sowie Harvey Fergusson noch zwei Co-Autor:innen hatte, ist „It Happened in Hollywood“ letztlich auch das Resultat eines kurzen, aber intensiven Reifeprozesses. So kam der jahrelang auf Wahrheitssuche und Realitätstreue gedrillte Fuller schnell zu der ernüchternden Erkenntnis: „The only truth that mattered in the movie business was selling a helluva lot of tickets to see your finished film.“ (Fuller, Samuel: A Third Face. My Tale of Writing, Fighting, and Filmmaking, New York 2002, S. 86.) Als ihn Hollywood das erste Mal rief, war Fuller noch nicht reif für die Fließbandarbeit in der Traumfabrik gewesen. Bis er dann selbst den Mut fasste und an die Westküste reiste, vergingen noch ein paar Jahre. In New York engagierte ihn dazwischen ein Verleger als Ghostwriter für einen Bestsellerautor, der nicht so viel liefern konnte, wie die Leserschaft abzunehmen bereit war. Fuller wich also als Bestandteil eines kleinen Fakes selbst etwas von seinem Wahrheitspfad ab und schärfte zugleich seine als Reporter ohnehin schon geschulte Fähigkeit, unter Zeitdruck schnell und effektiv Geschichten zu verdichten.
Fullers Einstieg in die Hollywoodwelt ist ein Paradebeispiel für die Spontaneität und Geschwindigkeit, mit der damals Filme entstanden. Der Freelancer Fuller war nur wenige Tage in der Stadt, besaß keinerlei Drehbucherfahrung, da arbeitete er bereits für Columbia an seinem ersten Film. Durch seinen alten Mentor Gene Fowler, den Fuller als 16-Jähriger bei der Zeitung kennengelernt hatte, war er mit einem Columbia-Produzenten zusammengekommen, der ihn sogleich mit zum Studio nahm und gemeinsam mit dem Neuankömmling eine Filmidee ventilierte. Myles Connolly saß gerade an einem Film über Tom Mix.
Fuller und Connolly machten den Protagonisten quasi zu einer Anti-Hollywoodfigur, indem sie jemanden erschufen, der bereit war, seine Integrität gegenüber seinen Kinderfans über seine Karriere und sein Bankkonto zu stellen. „It Happened in Hollywood“ markierte damit den Beginn der Karriere eines der originellsten US-amerikanischen Regisseure – gleich nach dem Kinostart des Films erhielt Fuller das Angebot, für komfortable Honorare anonym Skripte zu verfassen. Bis das erste Drehbuch entstand, das Fuller als sein eigenes Werk betrachtete und auch als solches präsentieren konnte, vergingen allerdings noch ein paar Monate (der Krimi „Gangs of New York“ von 1938); und seine erste Regiearbeit ließ noch bis 1949 auf sich warten (der historisch inspirierte Western „I Shot Jesse James“).
„It Happened in Hollywood“ hieß zuerst „Once a Hero“, aber Columbia sah im späteren Titel wohl eine zugkräftigere Variante, welche die Leute mit dem „Hollywood“-Label an die Ticketschalter locken sollte; der ursprüngliche Titel ist im Vorspann unterhalb des neuen als Alternative aufgeführt – vermutlich, da mit „Once a Hero“ die Credits in Form eines seitenweise geblätterten Buches bereits eingespielt worden waren.
Der stärkste Teil des Films – er strahlt weit über die übrigen Sequenzen hinaus und macht „It Happened in Hollywood“ dann doch sehenswert – ist sein Finale, dem ein bemerkenswerter Sarkasmus innewohnt. Der pleitegegangene Tim Bart, der seiner ebenfalls bankrotten Liebe, Gloria Gay, helfen und mit ihr ein unbeschwertes Leben führen will, erinnert sich an den Gangsterfilm, in dem er mitspielen sollte und der ihm die Karriere hätte retten können. Bart beschließt, die Szene des fiktiven Raubüberfalls einfach in die Tat umzusetzen, und begibt sich mit seinem Revolver in die Bank. Als ihm diese düstere Idee kommt, die seine ganze bisherige Moral mit einem Mal korrumpiert, da blicken seine entschlossenen Augen aus dem Fenster und man hört den Donner grummeln, während es zu regnen beginnt – Karrieretiefpunkte in Hollywood scheinen hier selbst den wahrhaftigsten Charakter verderben zu können.
Die folgende Sequenz am verregneten Bankgebäude atmet all die triste Kriminalstimmung