Traumafabrik. Robert Lorenz

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Traumafabrik - Robert Lorenz


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Familie reüssierte John Barrymore im Theater und im Kino. Barrymore war ein Gigant, der Laurence Olivier seiner Generation, spielte die größten Rollen (u.a. Kapitän Ahab, Sherlock Holmes, Dr. Jekyll/Mr. Hyde), hatte die bekanntesten Leinwandpartnerinnen (u.a. Greta Garbo, Carole Lombard, Colleen Moore), aber Mitte der 1930er Jahre mochte ihn wegen seiner Trinkerei kaum mehr jemand engagieren. Zusammen mit anderen Topverdiener:innen der Dreißiger, etwa Errol Flynn, gehörte Barrymore, der neben seinen Frauen mit einem Äffchen und einem Geier zusammenlebte, zu den heftigsten und berüchtigtsten Trinker:innen von ganz Hollywood.

      Wie schon bei Carey sind auch die Maine-Dialoge mit reichlich Barrymore-Sentenzen garniert. Die Sprüche, Eskapaden und Situationen des Norman Maine könnten jedenfalls eins zu eins von dem einzigartigen Bühnen- und Leinwandstar stammen – und tun es teilweise sogar. Nach schlimmen Ausfällen landet Maine in dem Entzugsheim „Liberty Hall“. Als Niles ihn dort besucht, wird Maine – der einstige Weltstar – von einem Aufpasser namens Cuddles keine Sekunde aus den Augen gelassen. „It’s positively luxurious. Hey, they even have iron bars on the windows to keep out the draft“, sagt Maine zu dem ob dieser puritanischen Umgebung merklich perplexen Niles. George Cukor hat genau diese Szene angeblich mit John Barrymore erlebt.

      „A Star Is Born“ hat noch weitere Barrymore-hafte Momente in petto: Einmal liegt Maine im Anzug mit einer riesigen Champagnerflasche im Bett, ein andermal bestellt er auf einer Hollywoodparty Whisky Soda und bedeutet dem Barkeeper mit einem „Come on, come on, come on“ gegen jede Etikette, das Glas vollzumachen, ehe er kurz vor dem Rand noch „Soda“ gestattet (ebenfalls eine überlieferte Barrymore-Marotte). Als ihn seine Freundin auf ebendieser Party anherrscht, trotzt ihr Maine: „I think I shall get very drunk indeed.“ Seinen schleichenden Untergang begleitet er mit selbstironischen Kommentaren: Ob er nicht vermisst werde, auf der Party, fragt ihn die kellnernde Esther in der Küche, wo Maine ihr in Flirtlaune seine Hilfe beim Tellereinräumen anbietet. „Oh no, no, they’ll just look under the table and when they see I’m not there, they’ll forget the whole matter“, lallt er. Bei einem Boxkampf fragt er Esther, ob sie ihn heiraten wolle. Während er maskuline „Finish him!“-Schreie in Richtung Boxring ausstößt, zählt sie in liebevollem Spott seine Schwächen auf – er sei unzuverlässig, werfe sein Geld zum Fenster raus und trinke zu viel. Er fragt, ob sie ihn denn heiraten werde, wenn er all das aufgebe. „Would you do all that for me if I said I’d marry you?“, fragt sie – „Well, certainly not! I was just supposing.“ Und als sich Niles seinem Protegé Maine gegenüber um dessen Gesundheit sorgt, reicht der ihm eine kleine Automatenmünze, deren Gravur später seine Grabinschrift sein solle: „Good for amusement only“. Später wird Niles mitgeteilt, Maine sei sturzbetrunken in einem Krankenwagen mit Blaulicht den Wilshire Boulevard hinuntergerast.

      Auch zwischen March und Barrymore bestehen gewisse Parallelen, die sich nicht darin erschöpfen, dass er rund zehn Jahre nach Barrymore ebenfalls Dr. Jekyll und Mr. Hyde spielte oder wie Barrymore mit Greta Garbo, Mary Astor und Norma Shearer vor der Kamera stand. (Mit Norman Maine verband March wiederum die Ehe mit einer Schauspielerin.) Auch nicht, dass March wie Barrymore vom Theater nach Hollywood gekommen oder dass seine erste Frau mit Barrymore befreundet gewesen war. Fredric March selbst war gewissermaßen ein ausgewiesener Barrymore-Experte. Er hatte 1928 mit großem Erfolg in dem Stück „The Royal Family“ eine John-Barrymore-Parodie auf den Bühnen von San Francisco und Los Angeles gespielt (Barrymore hatte angeblich im Premierenpublikum gesessen). Der verklausulierte Bühnen-Barrymore war für March ein Karrieretriumph, der ihm kurz darauf einen Vertrag bei Paramount einbrachte – die Bühne blieb für March ein Sehnsuchtsort künstlerischer Selbstverwirklichung, das Filmstudio verführte indes mit Gagen, die in der Theaterwelt unvorstellbar waren. Die Leinwandadaption unter dem Titel „The Royal Family of Broadway“ (1930) gilt als der Film, mit dem March zum Hollywoodstar avancierte.

      Ohnehin weist „A Star Is Born“, wie bereits sein Vorläufer „What Price Hollywood?“ eine manchmal tragische, manchmal komische Nähe zur Wirklichkeit auf. Selznick schwor Stein und Bein, dass 95 Prozent der Dialoge dem wahren Leben in Hollywood entstammten, „straight ‚reportage‘, so to speak“ (David O. Selznick zit. nach Behlmer 2000, S. 104.). Dazu dürfte auch die Szene gehören, in der Oliver Niles seinem inzwischen rausgeschmissenen Ex-Star dem neuen Star Vicki Lester zuliebe einen Job anbietet. Als Maine fragt: „Who plays opposite me?“, und Niles ihm antwortet: „Well, it is not exactly the lead“, da zerschlagen sich für Maine ein für alle Mal die Hoffnungen auf eine Wiederkehr alter Größe. Was hilft es da, dass Niles ihm sagt: „[…] but I tell you frankly I consider your part better than the lead“ – „one of those parts that make an impression on you: They’ll be thinking about you all through the picture.“ Wer sich im Status eines Stars wähnt und so etwas hört, weiß in der Regel, dass ihn die Branche längst abgeschrieben hat. Wieder ist es Pemberton, der Maines Platz eingenommen hat. Und wieder reagiert Maine wie ein kleiner Junge, mit kindlicher Hochstapelei: Er sei bei einem anderen Studio unter Vertrag, dürfe darüber natürlich noch nichts sagen. „But it’s a big picture. It’s one of the biggest of the year … and the part! Every actor in Hollywood would give his teeth to play it.“

      Sowohl „What Price Hollywood?“ als auch die „A Star Is Born“-Ahnen gehen erstaunlich aggressiv mit der massenmedialen Berichterstattung um – mit der Sensationsgier der Presse, von der nicht zuletzt Hollywood selbst profitiert. Für die Öffentlichkeit werden mutmaßlich publikumstaugliche Namen erfunden und simple Viten zu klangvoller Fantasie aufgebauscht. Der Primat der Presse scheint jedenfalls allgegenwärtig: Als Oliver Niles auf einer Party erfährt, dass Norman Maine volltrunken am Steuer einen Autounfall hatte, ist die erste Sorge des Studiobosses: „Will it be in the papers?“ Aber Troubleshooter Libby hat bereits alles gefixt, niemand wird darüber schreiben. Später stehen Esther und Norman in Niles’ Büro und teilen ihm ihre Absicht mit, heimlich heiraten zu wollen. Nichts soll zunächst an die Öffentlichkeit dringen, so ihr Wunsch. In diesem Moment platzt Libby herein: „It will be the biggest elopement this town ever saw. We’ll get a tie-up with the army and have you escorted all the way down to Yuma, by twenty of their new bombing planes.“ Libby fantasiert weiter – eine Kirche sei als Ort der Hochzeit zu abgegriffen („It’s been done.“), stattdessen schlägt er einen Strand vor: „I can visualize it. The bridesmaids in bathing suits. Twenty thousand Santa Monica school children, spelling out the word ‚love‘.“ Sie tricksen Libby dann aber aus, indem sie einfach in einer Kleinstadt außerhalb von L.A. heiraten, wo niemand sie erkennt. Als Libby sie dort doch noch aufspürt, brausen sie davon und ihr Trauzeuge McGuire sagt zu dem wütenden PR-Chef: „Well, they’ve got a right to get married haven’t they?“ Libby entgegnet: „[…] they haven’t got any right to double-cross the public.“

      Lionel Stander spielt den Presseexperten des Oliver Niles Studio als knallharten Hund, mit seiner penetranten Stimme und der hohen Sprechgeschwindigkeit eine infernalische Version eines Screwballcharakters. Er erledigt für Niles die Drecksarbeit, muss die Eskapaden der Stars ausbaden und Skandale abwenden. Die fieseste Szene hat er in der Aufenthaltshalle einer Pferderennbahn. Ein trockener Norman Maine bestellt gerade zur Verwunderung des Barkeepers ein Ginger Ale und begrüßt den PR-Mann, der Scotch ordert. Nach dem Sanatoriumsaufenthalt scheint er stabil zu sein. Libby nutzt die Begegnung als Ventil seiner aufgestauten Verachtung für Norman Maine. Mit seiner schnarrenden Stimme geht er Maine an, nun, da er nichts mehr zurückzuhalten braucht:

      „Say listen, I got you out of jams because I had to, it was my job, not because I was your friend. I don’t like you and I never have liked you. Nothing made me happier than to see all those cute little pranks of yours finally catch up with you and land you on your celebrated face!“

      Maine verpasst ihm daraufhin einen Fausthieb ins Gesicht, Libby lässt ihn zu Boden gehen. Ein kleiner Tumult, der Maine inmitten einer Menschentraube als Loser dastehen lässt – er schleicht zur Bar zurück: doppelter Scotch, die Flasche könne gleich dableiben.

      In ihrer exklusiven Malibu-Villa geht Vicki Lester auf und ab, Norman ist seit vier Tagen spurlos verschwunden. Dann klingelt das Telefon, Maine ist im Nachtgericht, festgenommen wegen Trunkenheit. Lester und Niles nehmen im Gerichtssaal Platz; die Leute, die zusammen mit Maine dem Richter vorgeführt werden, sind allesamt notorische Trunkenbolde, bemitleidenswerte Gossenexistenzen. Die Anschuldigungen werden verlesen: Maine sei


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