Traumafabrik. Robert Lorenz
Читать онлайн книгу.freigesprochen wurde). Allein in den Zwanzigern spielte Sherman in mehr als dreißig Filmen mit, ein Dutzend Rollen folgten zwischen 1930 und 1932; von 1928 bis 1935 hatte er bei 15 Filmprojekten Regie geführt, ehe er 1935 im Alter von 46 Jahren verstarb. Als Regisseur kannte er also die beruflichen und auch die meisten übrigen Aspekte seiner Figur des Max Carey in- und auswendig.
Die Figur des Max Carey ist angeblich nach Colleen Moores Partner John McCormick geformt worden – dem triumphalen Produzenten, der plötzlich im Alkohol versank, während seine Frau zum Star avancierte. Doch viele erkannten darin auch den Bühnen- und Leinwandstar John Barrymore und sahen die Vergeudung großer Begabung unter dem Druck ebendieser Begabung veranschaulicht. Barrymores Trinksprüche mit ihrem heiteren Fatalismus klangen wie die des Max Carey – etwa die Carey-Sentenz, demnach die Ehe eines Filmstars genauso lange halte wie Careys Leber. Zumal: Sherman kannte Barrymore, war sogar mit ihm verschwägert, und hatte sich für seine Carey-Darstellung einige Barrymore-Momente geliehen; und viele der Dialoge von „What Price Hollywood?“ entstammten der Schreibmaschine des Barrymore-Kumpels Gene Fowler. Aber auch Marshall Neilan (1891–1958) – ein vom Alkoholismus gezeichneter Stummfilmregisseur und Produzent, der als D.W. Griffiths Chauffeur begonnen, später etliche Kassenschlager gedreht und zwei Schauspielerinnen geheiratet hatte – scheint eine Carey-Blaupause gewesen zu sein.
Carey steht für all jene Schauspieler:innen und Regisseur:innen, die trotz oder wegen ihres Talents und ihres Scharfsinns sich mit Alkohol und Drogen zugrunde richteten. Noch im ersten Teil des Films sitzt im studioeigenen Vorführraum ein nüchterner Carey, dem sein Boss wegen der andauernden Saufeskapaden ins Gewissen redet: „Five years ago you were ten years ahead of the business and now you’re not quite even with it. And what’s the answer? Whiskey!“ Gleich Careys erster Auftritt im „Brown Derby“ erfolgt in hochaktiver Trunkenheit – aber im Unterschied zu allen anderen Darstellungen jener Zeit wird Carey nicht als lächerlicher Trunkenbold gezeigt, sondern als tiefgründige Figur. Carey ist keine Hollywood’sche Comic Relief-Schnapsdrossel, sondern steht für die düstere Seite Hollywoods, hinter der Glamourfassade. Als ihm zum Frühstück ein Whiskey serviert wird, mag das noch komisch sein; als er am Ende eines mehrtägigen Sauftrips verlottert im Knast landet, um voller Scham seinem einstigen Protegé Mary Evans gegenüberzutreten, die ihm nun als Retterin begegnet, liegt darin schon nichts Komödiantisches mehr. Als er dann ein Scherbengericht über sich hält, ist die Tragik des Max Carey – einst einer von Hollywoods schöpferischsten Regisseuren – schon kaum mehr auszuhalten:
„You mustn’t be unhappy over a man who doesn’t exist anymore. I’m not the Max Carey you once knew. All burnt out, Mary. Don’t you see I’m dead inside? […] I’m washed up in pictures, done for. I haven’t got it anymore.“
Und dann folgt eine Sequenz, die „What Price Hollywood?“ für sich allein genommen zu einem der interessantesten Hollywoodfilme überhaupt macht.
Nachdem Evans ihren Mentor Carey aus dem Gefängnis ausgelöst hat, glaubt sie, mit ihm die Vereinbarung getroffen zu haben, dass er fortan nüchtern bleibt. „All right. From tonight on I won’t cause you anymore trouble“, sagt er daraufhin. Als sie zur Tür schreitet, ruft er sie noch einmal: „Yes, darling?“ – „I just wanted to hear you speak again, that’s all.“ Als sie das Zimmer verlassen und die Tür geschlossen hat, fasst er sich voll innerem Schmerz ins Gesicht (so wie 22 Jahre später James Mason in „A Star Is Born“). Carey entsteigt dem Bett und als er den Raum verlassen hat, liegen die Schatten der Fensterrahmen über ihm wie die Gitterstäbe einer Gefängniszelle oder eines Käfigs. Auf der Suche nach einem Feuerzeug findet er in einer Schreibtischschublade eine Pistole, schließt die Schublade aber wieder. Als er kurz darauf ein gerahmtes Porträt seiner selbst – adrett und selbstbewusst – und im Spiegel darüber sein aktuelles Selbst mit der Suff-Visage sieht, gedeiht in seinem Gesicht das Entsetzen über seinen Niedergang – Cukor unterlegt diese Szene mit einem klaustrophobischen Surren –; daraufhin kehrt Carey zur Schublade zurück, nimmt die Waffe und erschießt sich. Im Unterschied zu den „A Star Is Born“-Epigonen sieht man hier den Suizid, sieht man die Leiche.
Das ist zugleich der Punkt im Film, an dem sich die hässliche Fratze des Starrummels offenbart: Die ominösen Umstände von Careys Tod im Haus der mittlerweile geschiedenen Evans, die einst Careys Schützling war und stets im Verdacht einer Affäre mit ihrem Förderer stand, werden jetzt von der Presse brutal ausgebeutet. Paparazzi belagern ihr Anwesen, Kinos zeigen ihre Filme nicht mehr, die Abgesandte des Fanmagazins beschimpft sie von der Haustür aus. „You are a motion picture star, you belong to the public – they make you and they brake you“, erklärt ihr Chef. Schon zuvor hatte ihr Ehemann Lonny geklagt: „No privacy, no home life“; zwei Szenen später, als ein sturzbetrunkener Carey in ihrem Schlafzimmer steht, ruft Lonny: „I’m going as far away from Hollywood and all its inmates as I can get.“ Hollywood ist für ihn – den Alien – „a world where people are cheap and vulgar without knowing it“.
Das Private am Privatleben gilt in der Hollywoodwelt ja in der Tat nicht viel. Und so zeigt es auch schon „What Price Hollywood?“. In einer Szene will die „awfully important“ Frau vom Fanmagazin (Josephine Whittell) ein Interview über das Liebesleben von Mary Evans führen, das sie gerade in dem Augenblick stört, als sich Mary und Lonny vergnügt auf dem Bett wälzen. Auch die Hochzeit der beiden Promis verkommt zum reinen PR-Stunt: „Little church nothing!“, ruft Saxe, als er von den Heiratsabsichten seines Stars erfährt. „The biggest church in Beverly Hills“ verlangt der Studioboss. „An outstanding wedding, it must be great!“, weist Saxe die Abteilungsleitungen seines Studios an. Aus der Hochzeit macht Saxe in der riesigen Hollywood United Methodist Church, am Fuße der Hollywood Heights gelegen, eine gigantische Marketingaktion, die jegliche Privatsphäre auflöst.
Vor laufender Kamera tritt das Brautpaar vor die am Kirchenausgang versammelte Masse, umringt von Reportern, mühselig beschützt von heillos überforderten Polizisten. Als sich das Brautpaar seinen Weg bahnen will, grapschen promigierige Hände nach dem Schopf der Braut und reißen an deren Schleier und Kleid, sodass sich die Hochzeitsgesellschaft zurück in die Kirche flüchten muss. Saxe triumphiert wie bei einem gelungenen Filmstart: „We broke all the house records for this church! It was terrific!“, ehe er dem sowieso schon völlig entnervten Brautpaar mitteilt, dass sich die Flitterwochen wegen eines Nachdrehs zu Evans’ neuem Film zu verschieben hätten („Darling, release dates are not waiting for honeymoons.“).
Obwohl die verblüffende Nähe von Bennett und Sherman zu ihren Filmfiguren fast das Niveau von Judy Garland als Esther Blodgett in „A Star Is Born“ (1954) oder Gloria Swanson und Erich v. Stroheim in „Sunset Blvd.“ (1950) erreichte, ragte „What Price Hollywood?“ der reinen Hollywoodformalität nach jedoch kaum aus der Mittelmäßigkeit heraus. Adela Rogers St. Johns und Jane Murfin waren bei den 1932er Academy Awards für das Beste Originaldrehbuch nominiert. Ansonsten musste der Film als Box-Office-Niederlage verbucht werden, da er unter Berücksichtigung von Vertrieb und Marketing kaum das Geld einspielte, das RKO für ihn ausgegeben hatte. Auch dass in ihm durchaus feministisch progressiv die Frau als andauernde Retterin des kaputten Mannes fungiert und sich als Alleinerziehende mit Karriere behauptet, verschaffte ihm später nicht die Beachtung, die man diesem vergessenen Werk inzwischen schenken sollte.
Die nachhaltigste Wirkung, die von „What Price Hollywood?“ ausging, war indes eine ganz andere: Der Film machte Selznick im Nachhinein zum Initiator des Quasi-Franchise von „A Star Is Born“, einer regelmäßigen Selbstreflexion der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Nur fünf Jahre später begann diese Serie – abermals mit David O. Selznick im Zentrum des Geschehens.1
A Star Is Born (1937)
Ein Stern geht auf
Ein Drehbuch mit dem Vermerk „Final shooting script“ wird aufgeschlagen, die erste Szene spielt im Mondschein, in dem sich in verschneiter Landschaft mit Wolfsgeheul das „isolated farmhouse“ der Blodgetts im Hintergrund abzeichnet. Dann sieht man die dazugehörige Einstellung, eine fast märchenhafte Szenerie, irgendwo im Nirgendwo von North Dakota. Esther (Janet Gaynor) kommt gerade mit ihrem kleinen Bruder Aleck (A.W. Sweatt) aus dem Kino, aus einem Norman-Maine-Film. „He never does anything