Traumafabrik. Robert Lorenz

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Traumafabrik - Robert Lorenz


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Behlmer 2000, S. 104.)

      Und hatte Selznick mit seinem Blick für Talente wie Katharine Hepburn nicht schon oft selbst Momente erlebt, in denen er sagen konnte: „A star is born“?

      Jedenfalls: David O. Selznicks Mischung aus Nostalgie und Geschäftssinn hatten erst „What Price Hollywood?“ bewirkt und nun zu „A Star Is Born“ geführt. Als 1954 das gleichnamige Remake erschien, schrieb der US-amerikanische Edelkritiker Bosley Crowther in der New York Times über die 1937er Version: „probably the most affecting movie ever made about Hollywood“ (Crowther, Bosley: The Screen: ‚A Star Is Born‘ Bows, in: The New York Times, 12.10.1954.). Die Faszinationskraft dieses Films liegt vor allem in seiner geschichtlichen Aura; wie durch ein schummriges Zeit-Periskop blickt man in eine längst vergangene Epoche Hollywoods. Man muss sich das Alter dieses Films, das in den Interieurs und Lebensweisen der Menschen im Dreißigerjahre-Kalifornien gar nicht so drastisch zum Ausdruck kommt, einmal vor Augen halten: In Deutschland herrschten damals bereits seit Jahren Hitler und die Nationalsozialist:innen, steuerten auf einen neuen Weltkrieg zu; auf den Filmfestspielen von Venedig war „A Star Is Born“ für den Coppa Mussolini nominiert, Europa stand unmittelbar vor der Katastrophe. Das Kolorit dieser Zeit wirkt ungleich ferner von heute als der erstaunlich modern anmutende Selznick-Film.

      Die etwas dunkler ausgeleuchteten Räume – das Hotel-Foyer oder eine Bar – könnten so auch aus den 1950er oder 1960er Jahren stammen, wirken hier aber ungleich nostalgischer. Mit „A Star Is Born“ taucht man tief ein in die elitär-exaltierte Hollywoodsphäre, vermeint ein wenig von dem Klima, der Aura, dem Esprit jener fernen Zeit und Welt zu spüren. Durch implizite Annahmen, vage Andeutungen und hastige Streifzüge vermittelt der Film mehr, als seine Bilder tatsächlich zeigen. Esther Blodgetts Weg zum Ruhm beginnt denn auch am „Grauman’s Chinese“, einem Wahrzeichen des alten Hollywood mit seiner exotischen Architektur, den betonierten Hand- und Fußabdrücken der Stars im Gehweg. Jean Harlow, Harold Lloyd, Shirley Temple oder Eddie Cantor heißen die Stars damals – auch Norman Maine hat sich dort mit dem Spruch „Good Luck“ verewigt.

      Blodgetts Ankunft in Hollywood repräsentiert die Phase all der Träumer:innen, die nach Los Angeles gekommen sind in der Hoffnung auf Ruhm und Reichtum als Star eines der über die Stadt verteilten Studios. Das „Oleander Arms“, in dem Blodgett mit dem Geld ihrer Großmutter ein Zimmer mietet, ist wie später in „The Day of the Locust“ (1975) eine Heimstätte der Suchenden und Wartenden. Blodgett schreibt die Studios an, aber niemand mit ihrem Karrierestatus kommt an der Central Casting Corporation am Hollywood Boulevard vorbei; dort empfängt alle Karriereaspirant:innen eine große Tafel mit den entmutigenden Zahlen der Vergeblichkeit: 5.393 Frauen, 5.517 Männer und 1.506 Kinder haben sich als Extras eingeschrieben – das Sechzehnfache des Bedarfs. Im Büro sitzen ein halbes Dutzend Telefonistinnen, die wie verrückt unentwegt den Satz „Try later, thank you“ aufsagen, während kleine Lämpchen immer neue Anrufe ankündigen. „Every one of those little lights thought it was going to be a star“, sagt die Angestellte im Empfangsraum. Ein bisschen Hollywoodromantik wird sich nicht verkniffen, denn der Hotelbesitzer ist so gnädig, Blodgett trotz der säumigen Mietzahlungen nicht rauszuschmeißen und sie also auch nicht zur vorzeitigen Abreise zu bewegen. Im „Oleander Arms“ lernt Blodgett den Leidensgenossen Danny McGuire (Andy Devine) kennen, einen arbeitslosen Regieassistenten. Ihm verdankt sie letztlich ihre große Chance, einen Gelegenheitsjob: Sie hilft auf der Party eines Regisseurs als Kellnerin aus, einem für Hollywood typischen Umschlagplatz der Karrieren also.

      Jedes Mal, wenn sie den Gästen Horsd’œuvres von ihrem Tablett anbietet, imitiert sie eine berühmte Schauspielerin – erst Greta Garbo, dann Bette Davis, schließlich Mae West. Und dann trifft sie auf Norman Maine, ihren Leinwandhelden, der reichlich betrunken aufkreuzt und mit seinen Ausfällen gerade seinem Regisseur am Set das Leben zur Hölle macht. Maine interessiert sich nicht für die übrigen Hollywoodgäste, sondern für die Kellnerin – das erinnert an die Hollywoodlegende, demnach der spätere Star Colleen Moore als Dienstmädchen auf einer Party ihrer Tante ausgeholfen habe, wo sie dann der Regisseur D.W. Griffith entdeckt haben soll. Blodgett jedenfalls lässt sich von Maine nicht abschleppen, er findet sie „lovely“ und ruft noch in derselben Nacht seinen Boss an. Die Uhr zeigt zehn vor drei, als Oliver Niles (Adolphe Menjou), der Kopf an der Spitze des Oliver Niles Studio, aus dem Tiefschlaf heraus den Anruf entgegennimmt – offenkundig eine Maine-Marotte und ein Star-Prärogativ, bei Niles sporadisch Screentests für hübsche Frauen zu arrangieren. Die Begegnung zwischen etabliertem Star und unbekannter Aspirantin, der eine besoffener Gast, die andere eine schlagfertige Kellnerin, entspricht dem Beginn von „What Price Hollywood?“.

      Und wie fünf Jahre zuvor bei Constance Bennetts Mary Evans gelingen auch Janet Gaynors Esther Blodgett die Probeaufnahmen, sie wird unter Vertrag genommen. Das Studio promotet sie als „Cinderella of the Rockies“. Sie absolviert Trainings im Herabschreiten einer Treppe und geht zu einem Sprechcoach. Im Make-up-Department fragen sich die beiden Spezialisten: „Pretty small mouth, eh?“ – „Give her that Crawford smear.“ Wie später im 1954er Remake wird das ungeheuerliche Leid zahlloser Schauspielerinnen der Studio-Ära, dem Make-up-Department und den Studiomanagern ausgeliefert, humorvoll verkleidet. Doch wäre Blodgett noch lange kein Star, hätte sich für sie nicht abermals eine günstige Gelegenheit ergeben.

      Ebenfalls wie in der 1954er Version sucht Niles nach einer Besetzung für die vakante weibliche Hauptrolle, in diesem Fall für Maines neuen Film, „The Enchanted Hour“. Als Maine ihm Blodgett vorschlägt, die bis dahin noch keine einzige Rolle gespielt hat, ist Niles bereits mit dem gesamten Studioverzeichnis aller Vertragsschauspielerinnen durch und mit seinem Rat am Ende. Als Niles und sein PR-Chef Matt Libby (Lionel Stander) Blodgetts Namen erfahren, reagieren sie, als müssten sie einen Mord vertuschen. „Hey, we’ll have to do something about that, right away“, sagt Niles, während Libby den Namen voll fassungsloser Verachtung wiederholt. Niles: „Well, that Blodgett’s definitely out.“ In weniger als einer Minute ist ein neuer Name gefunden: Vicki Lester. Später im Film erfahren wir auch Maines echten Namen: Alfred Hinkel. Es ist sicher kein Geheimnis, dass ein karriereförderliches Pseudonym damals, in der Studio-Ära, zum üblichen Prozedere einer Star-Werdung gehörte – wenige, wie Ingrid Bergman, verweigerten sich dem Ansinnen der Filmemacher. Fast jeder Film über Hollywood spielt mit dieser Komponente der Star-Werdung. Dass in Hollywood nicht einmal die Namen echt sind, ist Teil der Illusionsmaschinerie. Und auch die Biografie wird nach allen Regeln der Marketingkunst frisiert. Libby fragt Blodgett nach ihrer Herkunft. In Filmore, North Dakota sei sie geboren. Libby an der Schreibmaschine: „Oh no. Grace saw light of day in a mountain cabin, a trappers hut high up in the rockies.“ Ihr Vater sei ein Farmer – Libby schnarrt verächtlich und tippt weiter: „There amidst the mountain flowers, he raised another blossom. His lovely little daughter …“

      Dann der Lackmustest: die Vorschau vor echten Zuschauer:innen; auf der Leinwand flackert ein Hinweistext: „You are about to see the Preview of a picture that has not been finally edited. Your opinion will be appreciated. Please mail comment cards.“ Niles und Libby lungern wie Spione vor dem Kino herum, um die Gespräche der herausströmenden Zuschauer:innen mitzuhören. Das Preview-Publikum ist begeistert, alle halten Lester für den nächsten großen Star – „That Lester kid’s a gold mine“, ruft ein Journalist Libby zu. „A star is born“, sagt Maine zu Blodgett, als sie sich unbemerkt davonstehlen.

      Wie sein Vorläufer „What Price Hollywood?“ nimmt der erste „A Star Is Born“ sein Publikum mit in eine Welt, die halb Märchenland, halb Hölle ist. Seinen Namen und Teile seiner Biografie aufzugeben, ist sicherlich nicht leicht, aber erscheint vor dem Hintergrund des eigenen Wollens der Star-Aspirant:innen noch vertretbar. Einen erheblich delikateren Punkt berührt indes die Szene, in der sich die Kosmetikexperten über Esther Blodgetts Gesicht beugen und darin herumpinseln, während sie über die idealen Augenbrauen grübeln. Dieser Vorgang, in der 1954er Fassung mit beinahe masochistischen Selbstbezügen Judy Garlands leicht abgewandelt, zielt auf die schmerzhaften, nicht zuletzt entwürdigenden Gesichtsoperationen ab, denen sich unzählige Frauen in der Studio-Ära zu unterziehen hatten, wollten sie ihre Chance wahren, ein Star zu werden. Und natürlich der Star-Status selbst, der neben seinen Privilegien auch verhängnisvolle Tücken birgt: die permanente Beobachtung durch unersättliche Paparazzi, die mit ihrer Hartnäckigkeit und ihrem Instinkt auf


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