Traumafabrik. Robert Lorenz

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Traumafabrik - Robert Lorenz


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ist „The Day of the Locust“ (1975), die Verfilmung der über die Jahre zum Kultbuch gereiften Nathanael-West-Novelle gleichen Namens aus dem Jahr 1939, in der sich die Frustration der von Hollywood ausgeschlossenen und Blockierten am Ende in einem fürchterlichen Gewaltexzess entlädt und das Verträumte an der Traumfabrik – der Geist, in welchem die Protagonistinnen von „What Price Hollywood?“ oder „A Star Is Born“ einst voller Hoffnung in die Stadt kamen – jäh vergeht.

      Natürlich gibt es noch weitaus mehr Filme über Hollywood. Doch fällt eine Totalerhebung ab einem gewissen Ausmaß schwer, woraus stets der Zwang zur pragmatischen Eingrenzung – und somit Auswahl – folgt. Die hier versammelten Texte konzentrieren sich daher auf Filme, die erstens ein breites Spektrum an Perspektiven auf Hollywood eröffnen und in denen sich zweitens oft auch die Zeit ihrer Entstehung widerspiegelt, weshalb sie in vielen Fällen gleich zu mehreren Epochen des Hollywood’schen Filmemachens etwas zu berichten haben.

      What Price Hollywood? (1932)

      Mary Evans ist in die Stadt gekommen, die im Land der unbegrenzten Möglichkeiten noch ein paar Möglichkeiten mehr verspricht. Sie ist der Prototyp einer bestimmten Hollywoodspezies: der Aspirantin, der Star-Anwärterin ohne Anwartschaft. Es ist die Zeit, in der die Automobile vor dem Start noch angekurbelt werden müssen, in der Kinosäle etwas stärker als heute Portale zu anderen Welten sind. Das Aufkommen des Tonfilms liegt erst fünf Jahre zurück und auf dem Mount Lee schlängelt sich noch „Hollywoodland“ über den Hang. Evans (Constance Bennett) hat sich in einem kleinen Zimmer eingemietet und taktisch geschickt an einen der zentralen Umschlagplätze des Hollywoodbetriebs begeben; zwischen ihren ständigen Besuchen in den Casting-Büros kellnert sie in einer der angesagten Locations der Stadt, dem „Brown Derby“, das seinem Namen entsprechend die Form einer riesigen Melone hat und dessen Standort damals am Wilshire Boulevard lag. Dort verdient Evans nicht nur das Geld, um die Zeit bis zum Moment ihrer erhofften Entdeckung zu überbrücken, sondern sie kann dort genau darauf lauern: auf all die Produzenten und Regisseure, die sich an die Tische begeben, um Geschäftliches zu besprechen oder einfach nur um im ewigen Spiel des Sehens und Gesehen-Werdens mitzumischen. Das „Brown Derby“ ist eines von Hollywoods In-Restaurants, wo einen die Filmleute mit billigen Anmachsprüchen und profanen Tauschangeboten à la Körper gegen Karriere behelligen („Hello, sugar. Say, do you wanna go into pictures? There’s a great part for a girl like you.“). Zu Hause in ihrem kleinen Appartement übt sie vor dem Spiegel die Posen der Stars ein, die sie sich aus den Fanmagazinen abschaut. Mary Evans träumt den Traum, den Unzählige vor und nach ihr geträumt haben.

      Aber hatte sich dieser Traum nicht schon für so viele erfüllt? Waren nicht fast alle Hollywoodstars mit ihren Villen, Pools und Limousinen aus einfachen, nicht selten ärmlichen Verhältnissen hervorgegangen? Insofern träumt Mary Evans wohl nicht zu Unrecht. Und ihre spätere Entdeckung durch eine glückliche Restaurantbegegnung ist denn auch – zumindest im Film – der Beweis für den Hollywoodmythos, dass sich zu träumen lohnt; und sie zeigt die Macht und Bedeutung des Zufalls in der Filmbranche.

      Evans will also unbedingt entdeckt werden, hat sich mit ihren Hochglanzmagazinen auf die glamouröse Hollywoodwelt vorbereitet und tauscht eines Abends eilig mit einer Kollegin, damit sie den just hereinspazierten Regisseur bedienen – und hoffentlich beeindrucken – kann. Dieses berechnende Buhlen um die Aufmerksamkeit der Filmemacher mit fingierten Begegnungen in einem Restaurant, sich für einen kurzen, entscheidenden Moment zu zeigen und adrett zu posieren, das wird auch in einer Szene in „Variety Girl“ (1947) ausgebreitet, die sich in der 1929 eröffneten Hollywoodfiliale des „Brown Derby“ zuträgt: Darin fasst die Schauspielaspirantin Amber La Vonne (Olga San Juan) zwei Filmleute ins Auge, die gerade das Restaurant betreten haben, und lässt sich von der Rezeption aufrufen, dringend zum Telefon zu kommen (so wie dort tatsächlich damals Gäste bei Telefonanrufen ausgerufen wurden); zuvor passiert der Möchtegernstar La Vonne zuerst den Tisch der beiden Männer und spricht dann so laut in den Telefonhörer (in Wirklichkeit ist niemand dran), dass ihre Stimme zugleich vom Mikrofon der Rezeption erfasst und per Lautsprecher in den ganzen Saal übertragen wird – in ihrem Fake-Gespräch imitiert sie den Dialog des Drehbuchschreibers, der mit dem Regisseur am Tisch sitzt, den sie von sich begeistern will. In „A Star Is Born“ (1937), dem Quasi-Remake von „What Price Hollywood?“, versucht die Protagonistin Esther Blodgett (Janet Gaynor) auf einer Hollywoodparty, mit Mae-West- und Greta-Garbo-Imitationen die Filmschaffenden von ihrem Talent zu überzeugen. Auch Mary Evans übt sich in ihrer Wohnung in einer Imitation, in diesem Fall von Greta Garbo.

      Ist Evans mit ihrer Aufstiegs- und Entdeckungsambition ein typisches Hollywoodgeschöpf, so ist es der Mann, den sie bedient, erst recht: der berühmte Regisseur Maximilian Carey, der am Premierenabend seines neuen Films reichlich beschwipst erst einmal an alle Gäste im „Brown Derby“ Gardenien in Wassergläsern verteilen lässt, die er großmütig einer alten Frau an der Straße abgekauft hat. Zur Premiere fährt er nicht mit seiner Limousine vor (in der hat er die Gardenienverkäuferin nach Hause chauffieren lassen), sondern in einer Rostlaube, deren überhitzter Kühler bei der Ankunft am roten Teppich dampft. Und an seiner Seite: Mary Evans. Ihre Schlagfertigkeit hat ihm gefallen, außerdem hatte er seine ursprüngliche Verabredung ohnehin schon versetzt. In dieser Nacht muss es noch feuchtfröhlich zugegangen sein, denn als Max Carey am nächsten Morgen durch das Telefonklingeln verkatert im Bett seiner Villa in den Hollywood Hills erwacht, kann er sich an nichts erinnern. Auf dem Sofa in seiner Bibliothek schläft allerdings eine Frau, die ihn zusammen mit dem Taxifahrer ins Haus geschleppt hat, wie ihm sein Butler berichtet, während sich Carey bereits neuen Alkohol einflößt. Evans erzählt ihm von seiner Jodeldarbietung – und dass sie ihren Job im „Brown Derby“ für ihn geschmissen habe. Sie will eine Chance und er verschafft ihr einen Screentest am Set seines aktuellen Filmprojekts.

      Wie die Star-Aspirantin sich dann am Set als blutige Anfängerin erweist und ihren Screentest vermasselt, ist eine unterhaltsame Szene – selten ist Dilettantismus derart professionell gespielt worden wie hier von Constance Bennett (Bennett war von 1941 bis 1945 mit Gilbert Roland, dem „Gaucho“-Darsteller aus dem ebenfalls in diesem Buch besprochenen „The Bad and the Beautiful“ (1952), verheiratet). Bennetts Mary Evans gibt aber nicht auf und vermittelt dabei gleich noch eine weitere Hollywoodweisheit: Neben der Gnade des Zufalls bedarf es auch der Hartnäckigkeit und des Durchhaltevermögens, den Zufallsmoment abzuwarten und Rückschläge wegzustecken. So kommt Mary Evans jedenfalls doch noch zu ihrer Karriere – ein Siebenjahresvertrag wird ihr angeboten, wie es damals eben üblich war, um vielversprechende Talente möglichst risikofrei langfristig zu binden.

      Nachdem Carey ihr zum Einstieg verholfen hat, ist Evans nun in den Händen des Studiobosses der Saxe Productions. Julius Saxe, gespielt von Gregory Ratoff, ist eine schillernde Figur, ein jovialer Autokrat und umtriebiger Filmemacher, mehr Mann der Tat denn kontemplierender Grübler. Als er ihren Namen hört, will er ihn sofort ändern lassen, nur um in seinem stürmischen Vorwärtsdrang dies sofort wieder zu vergessen und „seine“ Neuentdeckung sogleich den versammelten Abteilungsleitern mit den Worten vorzustellen: „I want you to meet our new star.“ Die Star-Werdung par ordre du mufti. Ohne neben dem Namen auch nur ein weiteres Detail ihrer Biografie und Lebensweise zu kennen, ordnet Saxe als Nächstes eine landesweite Werbekampagne an, um der ganzen Nation seinen neuen Star als „a typical American girl“ zu präsentieren – nein, noch besser: als „America’s pal“ (eine Anspielung auf Mary Pickfords Status als „America’s Sweetheart“). Und wie als Beweis für die wundersame Macht Hollywoods leuchtet kurz darauf tatsächlich Mary Evans’ Name von den Portalen der großen Kinos, das Insigne eines gültigen Star-Status – a star is born.

      Als für einen ihrer Filme eine Partie auf dem Santa Barbara Polo Field gefilmt wird, trifft Evans auf den Polocrack Lonny Borden (Neil Hamilton) – es ist die Begegnung von West- und Ostküstenelite, von Homo novus und Patrizier, von neuem und altem Geldadel. Borden lädt Evans zum opulenten Luxusdinner mit Dienerschar und eigenem Orchester ein (genauer: Als sie ihn versetzt, fährt er zu ihrer Villa, bricht durch die Scheibe in ihr Schlafzimmer ein und verschleppt sie); anschließend schwelgen die beiden in Champagner und Kaviar.

      Will man die filmhistorische Dimension von „What Price Hollywood?“


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