Traumafabrik. Robert Lorenz

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Traumafabrik - Robert Lorenz


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(Hollywood-)Film über Hollywood, der in Optik und Stimmung wie ein Gegenstück zu „The Bad and the Beautiful“ anmutet: „Singin’ in the Rain“, das ultimative Hollywoodmusical. Er spielt in den späten 1920er Jahren und befasst sich – wie „The Artist“ (2011) – mit dem Aufkommen des Tonfilms als Herausforderung für Studios und Künstler:innen. Im Frühjahr 1928 triumphierte Warner Bros. mit „The Jazz Singer“ (1927) als erstes Studio, das Tonfilme drehte (mit dem „Vitaphone“-System). Als „The Jazz Singer“ zum Kassenkracher geriet, dämmerte – wie in „Singin’ in the Rain“ – selbst den störrischsten Technikskeptiker:innen, dass sich dieses neue Verfahren nicht mehr länger ignorieren ließ. An diesem Punkt steigt „Singin’ in the Rain“ ein: Beim Dreh eines Kostümstreifens wird gezeigt, wie die Techniker und der Regisseur mit der neuen Dimension des Tons hadern, indem sie erst mit der geeigneten Position für das Mikrofon experimentieren müssen und die Hauptdarstellerin ständig die geeignete Position vergisst, um eine brauchbare Aufnahme zu erzielen. Das bunte Technicolor-Spektakel sprüht vor Elan und Heiterkeit – die Strapazen, die mit dem perfektionistischen Dreh der furiosen Tänze verbunden waren, bleiben darunter völlig verborgen. Von der Transitionsphase mit dem Übergang vom Stumm- zum Tonfilm erzählt auch „It Happened in Hollywood“ (1937), dessen zwei Stars Richard Dix und Fay Wray diesen technologischen Gezeitenwechsel rund zehn Jahre zuvor selbst miterlebt hatten.

      Welchen Größenwahn und unerhörten Reichtum die Stummfilmära in Hollywood gebar und was das unfreiwillige Karriereende aus den einstigen Stars machen konnte, hat wohl kein Film so kunstvoll und tragikomisch beschrieben wie Billy Wilders „Sunset Blvd.“ aus dem Jahr 1950. Der Film zeigt das Schicksal eines Ex-Stars, Norma Desmond, einer in Vergessenheit geratenen Schauspielerin, die von ihrer Rückkehr auf die Leinwand träumt und daran zerbricht. Dieser Aspekt der Ruhmsucht und des Bedeutungsverlustes durchströmt auch Robert Aldrichs „What Ever Happened to Baby Jane?“ (1964) – nicht nur durch die Story um zwei ungleiche Has-beens, sondern allein schon verkörpert von den beiden Hauptdarstellerinnen Joan Crawford und Bette Davis, die damals alle Studios bereits abgeschrieben hatten und denen gegen alle Erwartungen mit diesem Film ein phänomenales Comeback gelang. Apropos Bette Davis: Sie spielt die Protagonistin von „The Star“ (1952), eine einstmals erfolgreiche Darstellerin, deren Ressourcen versiegt und Reserven aufgebraucht sind. Der Film zeigt die Rückkehr zur Normalität als weitaus größeres Problem als die Star-Werdung.

      Ein Vierteljahrhundert nach „Sunset Blvd.“ griff Wilder das Thema der Star-Pathologien erneut auf, in seinem vorletzten Film „Fedora“ (1978), diesmal allerdings aus einer Position, die unweigerlich an Norma Desmond erinnerte: eine einstmals gefeierte Hollywoodgröße, die niemand mehr engagieren will. Wilder war damals bekümmert, dass seine Filme im Hollywoodkino der Siebziger keinen Platz mehr hatten, dass er nach Europa gehen musste, um sich von steuersparenden Zahnärzten finanzieren zu lassen. Die Siebziger müssen für Wilder eine ungemein morbide Dekade gewesen sein, in der seine Art des Filmemachens – eine ganze Kultur und Philosophie – verblichen schien; und diese Verbitterung reflektiert letztlich „Fedora“.

      Der Billy Wilder, der in den späten Siebzigern „Fedora“ drehte, war vor dem Hintergrund, dass sich Filme wie „Earthquake“, „The Towering Inferno“ (beide 1974) oder „Jaws“ (1975) an den Kinokassen als gigantische Hits erwiesen hatten, ein konsternierter Mensch, der nicht glauben konnte, dass audiovisuelle Effekte – eine Hai-Attrappe! – den gleichen Stellenwert haben konnten wie ausgefeilte Dialoge. Hatte Wilder 38 Jahre zuvor in „Sunset Blvd.“ (1950) die drastische Vergänglichkeit des Starruhms und die brachiale Verdrängung einer ganzen Schauspielgarde am Ende der Stummfilmära ergründet, lag sein Fokus in „Fedora“ auf dem paranoiden Schönheitswahn und Perfektionsstreben des Showgeschäfts – und wie diese ewige Pathologie der Unterhaltungsbranche eine ganze Kette von Schicksalen im Umfeld des Stars ruiniert. In keinem Film ist Hollywood so präsent, ohne eigentlich jemals wirklich gezeigt zu werden, wie in „Fedora“ – worin sich ausdrückt, dass Hollywood mehr mentaler Topos denn geografischer Ort ist.

      Dass auch eine scheinbar intakte Star-Karriere nicht automatisch Glück zu bringen vermag, damit befassen sich „The Goddess“ (1958) und „Inside Daisy Clover“ (1965). „The Goddess“, mit Kim Stanley in der Hauptrolle als Rita Shawn, ist der ultimative Film über die Leere der Fülle, wenn der maximale Leinwanderfolg mit völliger Vereinsamung und Ziellosigkeit einhergeht und tief reichende Probleme lediglich verdeckt. Auf dem Weg einer jungen Frau zum Hollywoodruhm bleiben erst ihre Tochter, dann ihr zweiter Ehemann und schließlich sie selbst auf der Strecke. „Inside Daisy Clover“ handelt von einem Mädchen, das in den 1930er Jahren beim Aufbruch nach Hollywood sein Glück kaum fassen kann, später dann seinen Kopf in den Gasofen steckt, um sich umzubringen: von der frechen Autogrammfälscherin Daisy Clover, die dank eines Talentwettbewerbs selbst zum Star wird. Das Mädchen, das nach Hollywood geht und berühmt wird – es ist die Geschichte von Natalie Wood selbst, die Daisy Clover spielt.

      Die autokratischen Studiobosse, die Daisy Clover ausbeuten und mit Norma Desmond, Fedora oder Rita Shawn Millionen scheffeln – die berüchtigten Hollywoodmoguln –, tauchen in fast allen Filmen auf, am stärksten jedoch in „The Last Tycoon“ (1976). Die Literaturverfilmung des unvollendeten letzten Romans von F. Scott Fitzgerald zeigt einen nur schwach kaschierten Irving Thalberg, das legendäre Wunderkind der US-amerikanischen Filmbranche in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren. Auf wenige Menschen der Hollywoodhistorie sind derart grandiose Elogen gehalten wurden wie auf Thalberg, „possibly one of the greatest geniuses ever in the picture business“ („The Wizard of Oz“-Produzent Mervyn Leroy 1974 zit. nach Stevens, Jr., George: Conversations with the Great Moviemaker’s of Hollywood’s Golden Age at the American Film Institute, New York 2006, S. 146.). Thalberg, so Howard Hawks, einer der bedeutendsten Regisseure aller Zeiten, habe „more brains than anybody else in the picture business“ gehabt (Howard Hawks zit. nach Lehman, Peter/Staff: Howard Hawks: A Private Interview (1976), in: Breivold, Scott (Hg.): Howard Hawks. Interviews, Jackson 2006, S. 159–192, hier S. 169). An der fiktiven und doch eben realen Figur des Monroe Stahr, gespielt von einem jungen Robert De Niro, werden Magie und Härte des Filmemachens in der Studio-Ära des Golden Age von Hollywood sichtbar. Der von Elia Kazan erdachte Schluss drückte indes weniger Monroe Stahrs als seinen eigenen, Kazans, Abgang am Ende des Films aus – „The Last Tycoon“ war Kazans letzte Regiearbeit, die letzte Szene des Films zugleich Kazans letzter Regiemoment.

      Die Thalberg-Romantik wurde indes auch oft kontrastiert, vielleicht am stärksten in den beiden Aldrich-Filmen „The Big Knife“ (1955) und „The Legend of Lylah Clare“ (1968), die den Studioboss jeweils mit starken Anspielungen auf reale Persönlichkeiten als cholerischen, bisweilen psychopathischen Tyrannen zeigen. Darin reflektierte sich sicherlich auch Robert Aldrichs Meinung über die Studiodiktaturen. Noch etwas weiter ging Blake Edwards, der sich von Studiolenkern beinahe in den Tod getrieben fühlte und sich gleich mit zwei Filmen an Hollywood rächte: In „S.O.B.“ (1981) zeigt er den an reale Vorbilder angelehnten Studiochef in Strapse, in „Sunset“ (1988) – angesiedelt im Hollywood der späten Dreißiger – macht er den Studioboss sogar zum sadistischen Mörder.

      Zu was sich Hollywood in den Jahrzehnten nach den großen Studiobossen, die in den 1960er Jahren quasi buchstäblich ausstarben, entwickelte, inszenierte Robert Altman 1992 in „The Player“ mit satirischer Schärfe. Die Yuppie-Produzenten scheinen hier nur noch auf den Box-Office-Appeal prominenter Namen zu achten – das taten die Cohns, Mayers und Warners des alten Hollywood natürlich auch, doch waren sie daneben von erstaunlicher Leidenschaft und bemerkenswertem Sendungsbewusstsein getrieben. Nachdem sie abgetreten waren und an ihrer statt nun Geschäftsleute mit meist kurzlebigen Karrieren an den Studiospitzen regierten – ein Hollywood, das „What Just Happened“ (2008) zeigt –, schuf Peter Bogdanovich mit „Nickelodeon“ (1976) eine Slapstickhommage, die sogar gleich in die Hollywood-Inkunabeln der 1910er Jahre abtauchte, als das Filmemachen so spontan und fluide war, dass man notfalls auf einer Straußenfarm drehte.

      „Postcards from the Edge“ (1990) indes kreist um eine Showbusiness-Familie, in der die Kinder mitunter drohen, an der Prominenz der Eltern zugrunde zu gehen. Romanvorlage und Drehbuch stammen von Carrie Fisher, Tochter der berühmten „Singin’ in the Rain“-Aktrice Debbie Reynolds und des gleichfalls prominenten Entertainers Eddie Fisher, die


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