Traumafabrik. Robert Lorenz

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Traumafabrik - Robert Lorenz


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auf, aber Vicki Lester schreitet ein und übernimmt die Verantwortung für ihn. Während der Richter sie hinsichtlich der Konsequenzen belehrt, sieht man einen völlig aufgewühlten Maine, der sich bewusst wird, in was für eine Lage er seine Frau gerade gebracht hat und wie sie sich trotzdem für ihn einsetzt. Es ist eine der wenigen Szenen, die Fredric March berührender spielt als 17 Jahre später James Mason in der ansonsten haargenau gleichen Szene. Als Lester ihn kurz darauf am Gefängnistor abholt, sind die Paparazzi schon zur Stelle – die Titelseite der Zeitung berichtet vom „Night court drama“ – William Wellman, dem Regisseur und Drehbuchautor selbst, sei dies angeblich widerfahren.

      Von seinem Bett aus hört Maine anschließend ein Gespräch zwischen seiner Frau und Niles mit. Sie will für ihn ihre Karriere aufgeben, um für ihn da sein zu können. „Then there’ll be no more … Vicki Lester“, sagt sie mit Tränen in den Augen – eine unmittelbare Anspielung auf die Beziehung von Frank Fay und Barbara Stanwyck. Nachdem Niles gegangen ist, tritt Maine ihr im Bademantel gegenüber. Sie scherzen, eine romantische Szene, großes Potenzial für ein Happy End. Aber als sie sich umarmen, weiß man durch die ergriffene Mimik des Fredric March im Close-up eigentlich sofort, dass es nicht gut ausgehen wird. Ein Gegenschnitt zeigt, wohin er blickt: auf den in das Abendrot getauchten Pazifik. Kurz bevor Vicki den Raum verlässt, ruft Norman: „Hey! Do you mind if I take just … one more look?“ – einer der zentralen Sätze des „A Star Is Born“-Kosmos („I just wanted to hear you speak again, that’s all“, sagte Max Carey kurz vor seinem Selbstmord in „What Price Hollywood?“ zu Mary Evans). Dann geht Maine hinaus – der Strand ist nur wenige Meter von ihrem Haus entfernt –, schreitet hinein ins Meer und schwimmt der untergehenden Sonne entgegen, seine im Sand abgelegte Kleidung wird weggespült.

      Die letzten Momente, vielmehr: die letzten Blicke des Max Carey/Norman Maine/John Norman Howard/Jackson Maine gehören stets zu den stärksten Szenen der gesamten Reihe. 1937 wirft Fredric March mit einem herzzerreißenden Gesicht des abgestürzten Sterns, der sich gegen eine Wiederkehr entschieden hat, seiner Frau (und Entdeckung) ein letztes Mal ein bescheidenes Lächeln zu. Wie auch später in der 1954er Version zeigt die Kamera auf die übersättigte Strandidylle mit den sanften Wellen – aber niemals zuvor oder danach hat das kalifornische Abendrot so intensiv, so ergreifend geleuchtet wie hier. Maines Selbstmord – die Supernova, eine Konstante aller „A Star Is Born“-Filme –, so hieß es oft, lehne sich an den Tod von John Bowers (1885–1936) an, einem Stummfilmstar, dessen Karriere mit dem Aufkommen der Talkies abrupt endete und der im Pazifik ertrank – manche sagten, er sei einfach ins Meer hineingelaufen. Der Filmhistoriker Ronald Haver hat jedoch darauf hingewiesen, dass John Bowers erst nach dem Dreh der Selbstmordszene verstarb; aber die Geschichte mit Bowers’ Tod im Pazifik als Vorlage für die Leinwand klingt eben besser – print the legend.

      Als eine weitere Maine-/Suizid-Folie wird indes John Gilbert (1897–1936) gesehen, „the maddest, most lovable guy who ever lived“ (Rogers St. Johns, Adela: Love, Laughter and Tears. My Hollywood Story, New York 1978, S. 246). Der Metro-Star Gilbert hatte 1928 den lukrativsten Vertrag aller Hollywoodschauspieler, kam anschließend aber mit dem Tonfilm nicht zurecht, war Alkoholiker, heiratete eine aufstrebende Schauspielerin (Virginia Bruce), während seine Karriere in die Brüche ging, er schließlich von Clark Gable als Metro-Topstar beerbt wurde und 1936, also im unmittelbaren zeitlichen Umfeld von „A Star Is Born“, mit 38 an einem Herzinfarkt verstarb. Doch ist die Selbstmordszene viel zu sehr an diejenige aus dem Jahr 1932, in „What Price Hollywood?“ angelehnt, als dass sie mit Hollywoodtoden des Jahres 1936 in Verbindung gebracht werden müsste. Der Selbstmord des Norman Maine macht dem klassischen Hollywood-Happy-End jedenfalls einen Strich durch die Rechnung (gemäß Selznicks Realitätsanspruch) und dient zugleich als Metapher für das Selbstzerstörungspotenzial großen Talents und die Gnadenlosigkeit des Schicksals (gemäß Selznicks sentimentaler Hollywoodnostalgie).

      Einen eher ironischen Wirklichkeitsbezug hat hingegen die Besetzung von Esther Blodgett/Vicki Lester mit Janet Gaynor (1906–84). Gaynor war 1929 die allererste Oscarpreisträgerin gewesen, prämiert für ihre Hauptrollen in drei Filmen – das erste und einzige Mal, dass die Academy eine Schauspielerin für mehrere Performances auszeichnete. Für „A Star Is Born“ erhielt Gaynor eine Oscarnominierung, aber als sie gecastet wurde, war Gaynors Stern bereits am Sinken, war sie im echten Leben mehr bei Maine als bei Blodgett/Lester. Selznick hatte wohl zuerst auch an die Exil-Wienerin Elisabeth Bergner (1897–1986) gedacht, aber am Ende wurde es eben Janet Gaynor, eine der besten Freundinnen von Selznicks Frau Irene.

      Wie in jedem „A Star Is Born“-Film findet sich auch bei Gaynor eine ordentliche Portion biografischer Verbundenheit mit der weiblichen Hauptfigur (Constance Bennett hatte, wie gesagt, vieles ihrer „What Price Hollywood?“-Protagonistin am eigenen Leib erfahren, auch die Sängerinnen Judy Garland, Barbra Streisand und Lady Gaga konnten sich durch ihre eigene Vita in ihre Charaktere hineinfühlen – wenngleich die biografische Nähe nirgendwo sonst eine solch masochistische Nähe erreichte wie bei Garland). Wie ihr Leinwandcharakter kam auch Gaynor einst auf gut Glück nach Hollywood, um ins Filmgeschäft einzusteigen; mit hartnäckiger Geduld wartete sie auf ihre Chance, schlug sich mit diversen Jobs und kleinen Rollen durch, bis dann tatsächlich jemand sie entdeckte und förderte (respektive kommerzialisierte). Als sie Selznick besetzte, befand sich Gaynors Karriere bereits im freien Fall; sie drehte anschließend lediglich noch zwei weitere Filme, ehe sie noch einmal zwanzig Jahre später in „Bernardine“ (1957) auftrat.

      Betrachtet man das Hollywoodbild in „A Star Is Born“ – einem der ultimativen Filme, die Hollywood über sich selbst gedreht hat –, so schwankt der Film bemerkenswert ambivalent zwischen schwülstiger Propaganda und schonungsloser Vivisektion, wie man sie dem eitlen, narzisstischen Hollywood gar nicht zugetraut hätte. Da ist zum Beispiel der freimütige Umgang mit dem systematischen Betrug der Öffentlichkeit durch professionelle Meinungsmacher:innen. Libbys Job besteht in der euphemistischen Manipulation von Viten und Persönlichkeitsprofilen, auch in der Vertuschung kleinerer und größerer Fehltritte der Studioangestellten – insgesamt also in der Herstellung und Verteidigung von Prominenz und Prestige. Allerdings ist Libby dann auch wieder, in klassischen, archaischen Kategorien gedacht, eine Art Bösewicht, jedenfalls die mit Abstand unsympathischste Figur im ganzen „A Star Is Born“-Universum. Als Maine gestorben ist, schnarrt Libby an einer Bar: „First drink of water he had in twenty years. How do you wire congratulations to the Pacific Ocean?“ Und Libbys PR hat wieder einmal ganze Arbeit geleistet: Der Suizid wird in den Zeitungen als Unfall dargestellt. Natürlich war das auch eine Konzession an den Production Code und das Hays Office, die Hollywood-eigene Zensurbehörde. Max Carey erschoss sich am Ende von „What Price Hollywood?“ noch in der Pre-Code-Ära, als noch niemand den freiwilligen Moralkodex der Filmindustrie sanktionierte. Als Norman Maine sich in die Wellen des Pazifik stürzte, da war jedoch klar, dass so etwas nicht mehr geduldet wurde; überdies existierte mit Will H. Hays als Präsidenten der Motion Picture Producers and Distributors of America (MPPDA) nun auch ganz offiziell ein oberster Moralwächter, da Filme vor ihrem Erscheinen erst durch die MPPDA zertifiziert werden mussten. Hollywood hatte sich diese Selbstzensur auferlegt, um eine Gesetzgebung durch den Staat abzuwenden, sich wenigstens einen gewissen Einfluss auf die Freiheiten (und eben Einschränkungen) des Filmemachens zu bewahren. Insofern stand sogar zu befürchten, dass manche Zuschauer:innen Maines buchstäblichen Untergang in „A Star Is Born“ gar nicht als Selbstmord deuteten.

      Dann gibt es noch die Einsamkeit in der Hollywoodcommunity, die bloß den Erfolg, nicht aber die Niederlage prämiert. Im Santa Anita Park, der Pferderennbahn nordöstlich von Los Angeles, grüßt Norman Maine nach seiner Rückkehr aus dem Entzugsheim drei Bekannte, die zögerlich den Gruß erwidern und denen die Begegnung mit dem gefallenen Star ohne Studiovertrag sichtlich unangenehm ist. „How I hate to run into these has-beens. They give me the creeps“, sagt einer von ihnen. Auch auf den von Hollywood selbst beförderten Starrummel wird ein kritisches Licht geworfen. Nicht nur, dass er anscheinend generell dazu beiträgt, Menschen wie Norman Maine zu zerstören; überdies wird der Verlust jeglicher Privatheit in den Fokus gerückt: Da sind zum einen die Paparazzi, die Maine belauern und im Zeitalter der massenmedialen Schlagzeilenhysterie ihr Geld mit dem Unglück anderer Menschen verdienen; und zum anderen der erbarmungslose Voyeurismus der einfachen Leute, denen Hollywood seine Märchen und Mythen verkauft.


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