Traumafabrik. Robert Lorenz

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Traumafabrik - Robert Lorenz


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Als „the girl who has won the heart of Hollywood“ wird sie angekündigt, während ihre Limousine vorfährt und sie zu Applaus aussteigt. Dann nimmt sie all ihren Mut zusammen und sagt in das international vernetzte Mikrofon die Worte, die seitdem zum „A Star Is Born“-Kanon gehören: „Hello, everybody. This is Mrs. Norman Maine!“

      It Happened in Hollywood (1937)

      Eine Ladung Ponys ist angekündigt, für die neue Ranch, aus der Tim Bart ein Freizeitressort für Kinder machen will, die aber noch gar nicht abbezahlt ist. Bart (Richard Dix) ist der ultimative Westernheld im Zeitalter des Stummfilms, als nicht nur im Western Worte nichts zählten. Filmstar Bart ist auf einer „Personal Appearance Tour“ und beglückt gerade die kleinen Patient:innen eines Kinderkrankenhauses; es ist das Jahr 1928, als in den USA die Prohibition herrscht und den Menschen die Great Depression noch bevorsteht. Ein Stummfilm der Perfect Pictures Production läuft, das Publikum kreischt beim Helden und buht die Banditen aus. Einem kleinen Jungen haucht der Filmstar noch Mut für die anstehende Operation ein, indem er ihm eine Plakette anheftet. Die Kinder in ganz Amerika himmeln den Westernheroen Bart an; einem Fanbrief entnimmt er, dass ein Kind allein seinen neuesten Film zwanzigmal im Kino gesehen habe. Sein PR-Berater (Charles Arnt) würde Barts soziales Engagement liebend gern in den Medien ausbreiten, doch der Cowboy winkt ab. Wer so viel Anstand hat, geht oft unter, und so verliert Bart mit einem Mal seinen Star-Status, als die Schlagzeilen schreien: „First talkie a success“.

      Die Nachricht erschüttert Hollywood, ein Moment – zumindest hier in diesem Film –, in dem alle Karrieren und Gewissheiten urplötzlich zur Disposition stehen. Der Film, der diesen Epochenwandel damals auslöste, war „The Jazz Singer“ von Warner Bros. aus dem Jahr 1927. „It Happened in Hollywood“ spult die Ereignisse im Zeitraffer ab: Eine „School of Elocution“ öffnet ihre Pforten für die aufgeschreckten Schauspieler:innen, die jetzt Bücher wie „Voice Culture“ studieren und Dialoge aus dem Drehbuch auswendig lernen müssen; nun strömen auch die sprecherprobten Bühnendarsteller:innen in die verheißungsvolle Filmstadt mit dem vielen Geld („Stage Actors Trek to Hollywood!“ verkünden die Gazetten). Bart wird von seiner Publicity-Tour im eigenen Zug vom Studioboss Sam Bennett (Granville Bates) zurückbeordert. Der Star – ein waschechter Cowboy – gibt sich zunächst gelassen: „I ain’t an actor. I figure I’m just someone that the kids would like to be.“

      Die aufwendige Tontechnik hält jetzt überall Einzug in den Studios, Western mit Außenaufnahmen wie die Hits von Tim Bart lassen sich nicht mehr drehen, da die Tonaufnahmen in der Anfangszeit noch geschlossene Räume erfordern. Tatsächlich verlangte die Einführung von Ton den Studios viel Geld ab: Sie mussten in technisches Equipment investieren, vor allem sensible Aufnahmegeräte, oftmals sogar neue Studiogebäude errichten, die schalldicht und störungsfrei waren. „The day of Westerns is over. We have to make the pictures indoors from now on. And you know, if you take the horse and cowboy outfit away from Tim, why, he couldn’t get a job as an extra“, sagt Bennett zu Barts Leinwandpartnerin Gloria Gay (Fay Wray). „Now he’s through“, lautet das typische Studioboss-Verdikt – eine hemdsärmelige Bemerkung, die läppisch das Ende einer glorreichen Karriere kommentiert. Mit zwei Pinselstrichen ist Barts Studiokarriere ausgelöscht, als ein Studiomitarbeiter seinen Namen an der Tür der persönlichen Garderobe übermalt; überschüssige Werbeaufsteller werden im Ofen verheizt.

      Der Versuch, Bart zum dramatischen Schauspieler umzuschulen, misslingt. Der Actionheld beherrscht seine Zeilen nicht, überhaupt ist ihm ein Set, zumal mit Mikrofonen, unbehaglich. Jemand kommt auf die Idee, ihn zum Zwanzigerjahre-Ganoven zu machen: „All the big actors play gangsters now.“ Aber als Bart vor der Kamera einen Polizisten abknallen soll, verlässt er den Set, denn er will in seinen Rollen den Kindern ein Vorbild, kein Gauner sein. Wie zuvor stellt er seinen moralischen Anspruch über die kommerziellen Chancen, die ihm das Filmgeschäft bietet. Das hat durchaus eine reale Grundlage, schienen gerade damals doch viele Menschen die Leinwandfigur mit der echten Persönlichkeit zu verwechseln bzw. gleichzusetzen.

      Mit seinem Verschwinden vom Set begeht Bart freilich eines der größten Kapitalverbrechen der Hollywoodwelt: Er hält die Produktion auf, womit er in seinem Fall nicht nur unnötige Kosten verursacht, sondern auch das Ende seiner Schauspielkarriere besiegelt – „you’re done and forgotten as a hero on horseback“, redet ihm sein Agent Reed ins Gewissen. Vor seiner kleinen Mietwohnung begegnen Bart und Reed einer alten Dame, dem Symbol unzähliger Hollywoodkarrieren: „She was once the greatest actress on the American stage. Now look at her, a stand-in for Robson (Gemeint ist vermutlich May Robson (1858–1942), die 1934 für einen Oscar als Beste Hauptdarstellerin („Lady for a Day“, 1933) nominiert gewesen war und damals u.a. in „Anna Karenina“ (1935), „A Star is Born“ (1937) und „Bringing Up Baby“ (1938) mitgespielt hatte)“, warnt Reed seinen Noch-Klienten.

      „It Happened in Hollywood“ – ursprünglich hatte der fast zur selben Zeit veröffentliche „A Star Is Born“ so heißen sollen – ist kein außergewöhnlicher, schon gar kein spektakulärer Film. Wenn überhaupt wird er auf Watchlists eher selten in vorderen Positionen auftauchen. Aber der Clou von „It Happened in Hollywood“ besteht in Richard Dix und Fay Wray, denen die hastige Einführung von Tonfilmsystemen im Jahr 1928 nur allzu vertraut war – also ebenjene Situation, die sie hier vor der Kamera zu spielen haben. Dix war der Hauptdarsteller in „Warming Up“ (1928), Paramounts erstem Tonfilm (wenngleich sich dies nur auf Soundeffekte und die Musik, nicht aber auf Stimmen bezog). Fay Wray sollte einst bei Paramount Ende der Zwanziger neben Gary Cooper die andere Hälfte der „Glorious Young Lovers“ bilden und hatte sich ein paar Jahre vor „It Happened in Hollywood“ in „King Kong“ (1933) im Antlitz des mittlerweile ikonischen Riesenaffen die Seele aus dem Leib geschrien. Paramount-Angestellte wie Dix und Wray machten damals bei Stimm- und Mikrofonproben erste Erfahrungen mit der neuen Technologie. Für ihre Leinwandfiguren geht es in „It Happened in Hollywood“ zunächst anders aus als bei Dix und Wray: Auf einer Party von Gloria Gay (die plumpe Alliteration deutet auf ein vom Studio ausgewähltes Pseudonym hin) tuscheln die Gäste über den „cowboy hero of the silent films“, der offenkundig „all through“ sei; und nach dem Verlust ihres Filmpartners schlittert auch Gay in ein Karrieretief.

      Tim Barts vorläufiges Scheitern dokumentiert der Flyer des Immobilienmaklers, der Barts „Luxurious Western Ranch House“ zum Verkauf oder zur Miete anpreist: „Fully Furnished 19 Rooms : 500 Acres Formerly Owned by the Western Star, Tim Bart“. Der Westernstummfilmstar Tim Bart und sein Pferd Toby spielen natürlich auf den Westernstummfilmstar Tom Mix (1880–1940) und dessen Pferd Tony („The Wonder Horse“) an. Mix war ein Wild-West-Showman, der seine Stunts selbst ausführte und – aus heutiger Sicht – als Beispiel dient, wie einst ungemein bekannte Stars über die Unerbittlichkeit verstrichener Jahrzehnte nahezu völlig in Vergessenheit geraten können. Tom Mix, der zu den produktivsten und bestbezahlten Schauspielern der Filmgeschichte gehört, wird gespielt von Dix (im Unterschied zu Mix ein für die Filmkarriere erfundener Name), der seine Schauspielerlaufbahn ja ebenfalls zu Stummfilmzeiten begonnen hatte. Dix glückte indes der Übergang ins Zeitalter des Tonfilms zunächst, Anfang der 1930er Jahre war er sogar das kassenträchtige Zugpferd der RKO, bis kurz darauf sein Abstieg einsetzte – insofern dürfte ihm das, was im Film Tim Bart widerfährt, in mancher Weise vertraut gewesen sein. Dix verstarb 1949 mit Mitte fünfzig an den Folgen eines Herzinfarkts.

      Auch die Karriere von Tom Mix war mit dem Ende der Stummfilmära keineswegs vorüber, wie manchmal suggeriert wurde. Zu Beginn der 1930er Jahre drehte er noch eine ganze Reihe von Western, war aber irgendwann so ramponiert, dass der Westernstar und Reitvirtuose abdankte und zum Zirkus ging. Sein Tod im Oktober 1940 gehört zu den makabren Anekdoten der Hollywoodgeschichte: In Arizona, nördlich von Tucson, kam er mit seinem Cabrio von der Straße ab, wobei ihm ein Metallkoffer voller Bargeld, Travellerschecks und Juwelen ins Genick krachte.

      Ohne allzu viel Zeit darauf zu verwenden, zeigt „It Happened in Hollywood“, wie das Aufkommen des Tonfilms schlagartig die Voraussetzungen des Filmemachens verändert und manche Karriere auslöscht (wenngleich keineswegs in dem Ausmaß, das oft angedeutet wird). Die technische Infrastruktur der Studios wandelt sich: Tontechniker sitzen in einer Kabine, über dem Set wird mit einem Kran


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