Traumafabrik. Robert Lorenz

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Traumafabrik - Robert Lorenz


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Zehn Jahre lang nahm sie Schauspiel-, Sprech- und Tanzunterricht, und als dann bei ihrem Screentest die Nase nicht gefiel, da ließ sie sich für 300 Dollar operieren – aber genommen hat man sie trotzdem nicht.

      Betty Schaefer verkörpert damit die kleine Hollywoodexistenz zu Karrierebeginn, als sie sich noch die Miete mit einer Zimmernachbarin teilt und voller Elan an ihrem beruflichen Fortkommen arbeitet. Angeblich hat sie Wilder an seine zweite Ehefrau Audrey angelehnt, deren Mutter in der Columbia-Schneiderei gearbeitet hatte und deren Vater Setbauer war, weshalb sie von Kindesbeinen an den Studiobetrieb verinnerlichte und später unbedingt in der Filmbranche arbeiten wollte (ihr gelangen am Ende einige kleine Auftritte).

      Neben der Prekarität des Drehbuchschreibens zeigen Brackett, Marshman Jr. und Wilder auch einen der zentralen Lebensräume dieser Hollywoodspezies: „Schwab’s Pharmacy“ am Sunset Boulevard, eine Art Apotheke mit Tabakladen und Bistro, von den zahllosen Drehbuchleuten, die dort Zuflucht suchten, liebevoll „headquarters“ genannt, ein Ort voller Legenden: Der „The Great Gatsby“-Autor F. Scott Fitzgerald erlitt dort einen Herzinfarkt, Harold Arlen schrieb darin auf einer Serviette die Melodie für „Over the Rainbow“ und Lana Turner sei dort beim Genuss einer Limonade entdeckt worden (was gar nicht stimmte, aber die Legendenkraft des Geschäfts beweist). Und sie zeigen die Machtlosigkeit der Autor:innen über das eigene Material, sobald es erst einmal in Studiohänden ist und die Dreharbeiten beginnen (oder wie der Regisseur John Huston einmal sagte: „when the picture went on the floor, that was the end of the writer“ [John Huston zit. nach Ford, Dan: A Talk with John Huston (1972), in: Long, Robert Emmet (Hg.): John Huston: Interviews, Jackson 2001, S. 21–29, hier S. 26]). An einer Stelle sagt Gillis über seine Arbeit: „Last one I wrote was about Okies in the Dust Bowl. You’d never know it, because when it reached the screen, the whole thing played on a torpedo boat.“ In dieser Überspitzung steckt viel von Wilders eigenem Verdruss ob des Kontrollverlustes über sein Werk, der den Drehbuchautor einst von der Schreibstube auf den Regiestuhl trieb, in der Absicht (und Hoffnung), nun selbst für die originalgetreue Umsetzung seiner Skripte sorgen zu können.

      Als ihm dann endgültig sein Geld ausgeht und Gillis über eine Rückkehr nach Ohio, an seinen alten Schreibtisch bei der Dayton Evening Post, nachdenkt, erwischen ihn die Inkassoleute an einer Straßenkreuzung und setzen zur Verfolgung an. Während seiner Fluchtfahrt auf dem Sunset Boulevard platzt Gillis ein Reifen und er biegt flugs in die nächste Einfahrt ein, seine ahnungslosen Verfolger rauschen an ihm vorbei. Am Ende der Auffahrt des fremden Grundstücks steht ein Garagengebäude mit mehreren Stellplätzen, in dem Gillis sein Fahrzeug versteckt. Wie ein entflohener Häftling tastet er sich voran, als beträte er eine andere Wirklichkeit. „It was a great big white elephant of a place. The kind crazy movie people built in the crazy twenties.“ Das Nummernschild der aufgebockten Luxuskarosse, neben der Gillis in der riesigen Garage seinen Wagen abgestellt hat, datiert von 1932. Gillis’ sarkastische Beschreibung entpuppt sich unversehens als Realität. Bei der Erkundung des spektakulären Anwesens trifft er auf die Eigentümerin: Norma Desmond (Gloria Swanson), eine Frau in ihren Fünfzigern, vergessene Stummfilm-Queen, einst der größte Star der Welt. Sie verwechselt ihn mit dem Sargbauer, denn sie trägt gerade ihren Affen zu Grabe – das exotische Tier als Accessoire der Diva; und natürlich eine Allegorie der morbiden Atmosphäre, die in Desmonds egozentrischem Kleinuniversum vorherrscht. Die Hausherrin wünscht einen weißen Sarg mit Seidenpolsterung.

      Das ganze Haus der Desmond ist ein narzisstisches Museum ihrer selbst: In extravaganter Pose wirft sie sich auf ihr Seidenplüschsofa, das von lauter kleinen Desmond-Porträts umgeben ist. Ihre Vision, wieder vor die Kamera zurückzukehren, hat sich längst zur größenwahnsinnigen Obsession gesteigert: Besessen von dem Gedanken, erneut die Spitze Hollywoods zu erklimmen und damit einem mutmaßlichen Publikumsbedürfnis nachzukommen, schreibt sie an einem Skript zu dem Film, in dem sie die mythische Salome spielen will und der ihr sensationelles Comeback vollbringen soll. Doch ist ihr das Wort „Comeback“ verhasst, sie bevorzugt „return“.

      Als sie erfährt, dass Gillis professioneller Drehbuchautor ist, will sie ihn engagieren, damit er ihr bei der Fertigstellung ihres wahnwitzigen Projekts hilft, das sich in zusammengebundenen Papierstapeln auf ihrem Schreibtisch bereits als langwierige Angelegenheit manifestiert. Der völlig abgebrannte Autor blufft und gibt sich der Desmond gegenüber als viel beschäftigter und selbstverständlich hochpreisiger Mann aus, wissend, dass sie ihn in ihrer Eitelkeit und Not trotzdem anheuern wird. Ihre versteckte Verzweiflung zeigt sich auch daran, dass sie noch am nächsten Tag längst weiß, dass Gillis völlig mittellos ist, da sie eigenmächtig seine Schulden bezahlt und seine Habseligkeiten in ihr Haus beordert hat; zugleich weiß sie in diesem Moment, dass er käuflich und seinerseits von ihr abhängig ist.

      Schon in dem Moment, als sich Gillis auf ihren Stuhl gesetzt hat, spätestens aber jetzt, wird er von Norma Desmond und ihrer Villa absorbiert, zum Bestandteil von Desmonds entrückter Parallelwelt. Sie vereinnahmt ihn sofort, wie als Ersatz für den toten Affen, spricht nun auch konsequent von „wir“. Das letzte Quäntchen Autonomie spült schließlich der Dezemberregen hinweg, als es in Gillis’ kleinem Appartement über der Garage durch die Decke tropft und er deshalb in die Villa umzieht – Norma Desmond lässt ihn in das Zimmer ihrer drei Ex-Ehemänner einquartieren. Wie ein Vampir saugt sie sich neuen Lebenselan, will nun den stillgelegten Pool mit Wasser auffüllen lassen und ihr eingemottetes Malibu-Strandhaus wieder in Betrieb nehmen. Gillis lebt jetzt als ihr Schreibknecht und Gigolo – immer den Launen und Allüren der Diva unterworfen, manchmal im maßgeschneiderten Anzug, manchmal in Leoparden-Unterwäsche. In kurzer Badehose klettert er aus dem inzwischen wieder befüllten Pool, sie trocknet ihm den Rücken. Eigenes Geld hat er nicht, sondern steht finanziell komplett in ihrer Abhängigkeit; für jede noch so kleine Erledigung händigt sie ihm Geldscheine aus. Als „a long-term contract with no options“ beschreibt Gillis seine Situation.

      Bis zur Ankunft von Joe Gillis hat Norma Desmond das verwunschene Anwesen in tiefer Melancholie zusammen mit ihrem treuen Butler Max (Erich v. Stroheim) bewohnt. Von dem einstigen Glanz des Grundstücks zeugen der von Ratten bevölkerte und mit Laub bedeckte Swimmingpool mit Sprungbrett und drei Einstiegen oder die von Säulenbogen umgebene, nun mit verrottetem Netz längst verfallene Tennisanlage – einst Insignien sagenhaften Reichtums, liegen sie dort nun wie düstere Relikte einer untergegangenen Welt, „out of beat with the rest of the world“, wie Gillis das ganze Anwesen beschreibt. Der Anblick der Villa entfaltet umstandslos einen Lost Place-Charakter, auch die halb verdorrten Palmen im Vorgarten stehen dort wie Allegorien einer verblichenen Grandezza. Norma Desmond ist keineswegs arm – wer weiß schon, wie viel Geld sie zu ihrer Schauspielzeit verdient hat? Aber auf ihrer Psyche lastet ein tiefer Kummer ob des verblassten Starstatus, der hier schwerer wiegt als jeder finanzielle Bankrott.

      Ähnlich wie in Robert Aldrichs „What Ever Happened to Baby Jane?“ (1964) ist die Villa ein eigenständiger Charakter des Films, ihr „Casting“ genauso wichtig wie das von Desmond und Gillis. Das reale Gebäude, das für die Außenaufnahmen diente und dessen Interieur man im Studio weitgehend originalgetreu nachbildete, gehörte damals zu den interessantesten Häusern der ganzen Stadt und entfaltete maximales Hollywoodambiente. Erbaut zwischen 1922 und 1925 für eine damals stattliche Geldsumme von dem Geschäftsmann William O. Jenkins (1878–1963), der sein Vermögen ironischerweise in der mexikanischen Revolution gemacht hatte, stand die Villa nach nur einem Jahr wieder leer, ein ganzes Jahrzehnt lang, weshalb das „Jenkins House“ in der Nachbarschaft bald als „Phantom House“ bekannt war. Im Jahr 1936 kaufte es dann ein nochmals reicherer Mann, der Ölmagnat J. Paul Getty (1892–1976). Wiederum 13 Jahre später wurde das Haus an die Paramount vermietet, die den Pool buddelte – das einzige Luxusinsigne, das dem Anwesen bis dahin noch gefehlt hatte. Allein schon der historischer Kontext, dass das Grundstück vom reichsten Mann Mexikos an den reichsten Mann der Welt ging, gebührt dem Charakter der Norma-Desmond’schen Größe und Gigantomanie.

      Und wie als Parallele zum Schicksal der Desmond fiel das „Jenkins House“ einem Epochenwechsel zum Opfer. In den 1950er Jahren geriet es zu einer der skandalösen Bausünden von Los Angeles, da man Getty schließlich 1956 die mehrere Jahre lang beantragte Abrissgenehmigung erteilte. An seine Stelle trat das sechsstöckige „Tidewater Building“ (heute: „Harbor Building“, 640 Lorraine Boulevard), ein monumentaler Bau mit einer


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