Der Weg nach Afrika - Teil4. Helmut Lauschke

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Der Weg nach Afrika - Teil4 - Helmut Lauschke


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dass er jedesmal etwas Neues sehen konnte, wenn er die Augen nur weit genug aufmachte.

      Drei Wochen waren fast vergangen, als die Zweierdelegation aus ärztlichem Direktor und dem Superintendenten aus Deutschland zurückkehrte. Sie kamen eine Woche früher als geplant zurück, weil sie vom schwarzen Freitag mit den vielen Toten und Schwerverletzten und dem Zwischenfall mit dem Stromausfall erfahren hatten, als sie Dagmar, die deutsche Studentin, die hier ihr dreimonatiges, klinisches Praktikum abgeleistet hatte, in Lübeck besuchten. Da kürzten sie den Deutschlandbesuch ab, um an den Ort zurückzukehren, wo sie nach den Ereignissen wie diesen hingehörten. Sie erzählten von den Interviews, die sie mit den jungen Ärzten in verschiedenen, westdeutschen Städten geführt hatten. Sie waren durch die Gespräche auf Kollegen und Kolleginnen gestossen, die interessiert und geeignet erschienen und ihr Kommen nach Oshakati zugesagt hatten. Dr. Witthuhn, der ärztliche Direktor, hatte eine amüsante Geschichte zu erzählen: Am deutsch-deutschen Grenzübergang von Ostberlin nach Westberlin schaute der ostdeutsche Grenzkontrolleur mit ostdeutschem Grenzkontrollblick ins Auto, verlangte im sächsischen Dialekt nach den Durchreisedokumenten, sah das Gesicht von Dr. Nestor und sagte erstaunt, dass er so ein schwarzes Gesicht noch nicht gesehen hätte. Dr. Nestor, dem Dr. Witthuhn die deutsch-deutsche Grenzbemerkung aus dem Sächsischen ins Englische übersetzte, lachte und gab dem erstaunten Grenzer recht, als er sagte, dass er auch zum ersten Mal in Deutschland sei. Da lachte auch der Grenzer, sprach sein "nu nuu" und wünschte den beiden Afrikanern eine gute Fahrt. Sie hatten von etwa vierzig Bewerbern, die von den einhundertzweiunddreissig Briefschreibern in die engere Auswahl genommen wurden, fünfzehn ausgesucht, von denen dreizehn zusagten. So war ihr Deutschlandbesuch ein voller Erfolg, und Dr. Nestor schwärmte von der Schönheit und Sauberkeit der Städte, vom Fleiss und Leben der Menschen. Die Kleinanzeige im Deutschen Ärzteblatt hatte sich gelohnt.

      Vom Kommen der deutschen Jungsärzte nach Oshakati unweit der namibisch-angolanischen Grenze

      Es waren noch keine zwei Monate vergangen, da traf der erste Deutsche, ein Riesenkerl, ein, der Aachener war und dort studiert hatte. Die anderen zogen nach, so dass es wenige Monate später dreizehn junge Ärzte und Ärztinnen am Hospital mehr gab, unter denen auch ein Facharzt für Frauenheilkunde war, der gleich mit Frau und zwei kleinen Kindern kam. Das brachte eine spürbare Entlastung bei der Bewältigung der Arbeit, und Dr. Nestor übte seine ersten deutschen Worte ein. Ausser den Jungärzten und dem Facharzt kam auch Hans, ein motivierter Physiotherapeut von kräftiger Statur, der den zart gebauten, begabten und gebildeten Etienne, der die Barockmusik liebte und sensibel auf der Gitarre spielte, ablöste, der nach Paris zurückgekehrt war, wo sein Vater als Internist und Gastroenterologe praktizierte. Hans brachte seine Verlobte Maria und auch eine Gitarre mit und war voller Tatendrang. Die Ärzte wurden dorthin verteilt, wo sie am dringendsten gebraucht wurden, so in die innere Medizin, die Kinderheilkunde, die Gynäkologie und Geburtshilfe, sowie die Anästhesie. Nach kurzer Zeit bekam das Hospital ein frisches Gesicht in der Ärzteschaft, von dem noch vor Monaten keiner geträumt hatte. Die Matronen und Schwestern konnten es zunächst nicht fassen, dass es nun soviel mehr Ärzte gab, die es über die Jahre zuwenig gegeben hatte. So war es auch verständlich und schön, dass der Superintendent und der ärztliche Direktor wieder lachen konnten. Sie waren stolz auf den Erfolg, den ihr Deutschlandbesuch gebracht hatte.

      Am Hospital begann eine neue Ära der Zusammenarbeit, die Dr. Ferdinand die deutsch-namibische nannte, eine verheissungsvolle Ära, wo Ärzte aus dem Land der Ärzteschwemme den zu wenigen Ärzten am Oshakati Hospital aus der Not halfen. Sie waren motiviert und theoretisch gut ausgerüstet. So sammelten sie in kurzer Zeit die notwendigen, klinischen Erfahrungen, die sie in die Lage versetzten, Untersuchungen an den Patienten vorzunehmen, bis zur Diagnose vorzudringen und kleinere Wunden in örtlicher Betäubung selbständig zu versorgen. Sie lernten, den Atemtubus in die Luftröhre vorzuschieben, und die Hantierung des Narkosegerätes. Die Grundbegriffe des EKG-Lesens brachten sie mit, so dass ihnen das Geben von Narkosen nach wenigen Wochen, zunächst unter Anleitung der Narkoseärzte, dann allein anvertraut wurde. Sie assistierten bei Kaiserschnitten und grossen Operationen und wiederholten nun am lebenden Körper die Anatomie des Menschen. Operativ schafften sie es bis zum Kaiserschnitt und der Entfernung des Wurmfortsatzes (Appendektomie), wobei ihnen die Erfahrenen assistierten. Sie führten unter Anleitung eine Grosszahl von Geburten durch und waren aktiv in die Repositionsmanöver von Knochenbrüchen einbezogen. Die jungen, deutschen Ärzte hatten begriffen, dass es in Afrika etwas zu holen gab, was die praktisch-klinischen Erfahrungen betraf, und sie waren eifrig, diese Erfahrungen zu sammeln, die sie später in der Ersten Welt gut gebrauchen konnten. Einer der Kollegen, Dr. Christian, beteiligte sich an der Forschung über die Hintergründe der hämatogenen Osteomyelitis bei Kindern und wurde so Mitautor der umfassenden, klinischen Arbeit: "Hematogenous Osteomyelitis in Infants and Children in the Northwestern Region of Namibia", die in dem angesehenen US-amerikanischen 'The Journal of Bone and Joint Surgery' 1994 publiziert wurde. So erklomm das Hospital unweit der angolanischen Grenze die Höhe bis zu diesem Spitzenjournal, in dem sein Name international gelesen wurde. Klinik und Forschung von solcher Intensität war das afrikanische Gold für Mediziner, die grosse Chance auf dem schwarzen Kontinent, die die jungen Ärzte in Deutschland erhofften und in Oshakati beim Schopfe packten. So hielt das Hospital sein Versprechen der klinischen Frühreifung, und die deutsch-namibische Zusammenarbeit zahlte sich für beide Seiten aus. Daran änderte auch der Krieg nichts mit seinen fürchterlichen Erfahrungen und dem inständigen Hoffen auf sein baldiges Ende.

      Diese Ära half den kranken Menschen, die im Denken und Handeln ganz oben standen. Sie war hilfreich und produktiv. Sie öffnete den jungen Deutschen die Augen auf die natürlich afrikanische Weise, was Armut wirklich war, was diese jungen Ärzte ebenso wenig vergessen würden wie die reichen Pfründe aus ihren eingesammelten Erfahrungen. Sie waren charakterlich sauber, sahen den Schwarzen als Menschen wie sich selbst, waren pünktlich und gewissenhaft bei der Arbeit und freuten sich, die Arbeit am kranken Menschen zu tun. Sie hatten die Möglichkeit, aus dem Elend der Menschen die Lehren zu ziehen, die zum Zusammenleben nötig waren. So war das Hospital klinisch wie menschlich ein Augenöffner, den es so in Deutschland nicht gab. Denn ausgemagerte Kinder mit den grossen Augen und ausufernden Wasserbäuchen oder Kinder mit amputierten Armen und Beinen nach Minenexplosionen hatten diese Ärzte in ihrer Studienzeit noch nicht gesehen. Dafür mussten sie nach Afrika kommen, um sich ein Bild dieser Wirklichkeit zu machen. Es war fürs Leben, wenn einer begriffen hatte, um was es hier ging. Der Uringeruch auf dem Vorplatz musste eingeatmet werden, um zu wissen, unter welchen Umständen hier die Arbeit geleistet wurde, um den Menschen der Armut und des Elends zu helfen. Da gab es kein Verdrückenwollen, und die jungen deutschen Ärzte taten es erfreulicherweise nicht, dass Dr. Ferdinand so etwas wie Stolz empfand, dass aus dem Land, in dem er geboren war, solche Menschen kamen, um mit anzupacken, und es bei der Vorrede nicht beliessen. Da lernte er, dass der Wertebegriff des Menschen noch nicht verkommen war, wenn auch gewisse Vorstellungen vom Leben afrikanisch nicht zu verwirklichen waren.

      Die Übergangsperiode

      Es war weniger als ein Jahr später, als das Anlegemanöver mit der neuen, schwarzen Besatzung konkrete Formen annahm und mit den Blauhelmen, der multinational zusammengesetzten Beobachtertruppe den Anfang machte beziehungsweise eingeleitet wurde, wie es die UN-Resolution 435 vorsah. Da rief der Superintendent an einem Dienstagmorgen gegen elf Dr. Ferdinand aus dem Op, um in sein Büro zu kommen. Dort machte der Superintendent ihn mit zwei anders uniformierten Militärs bekannt, von denen einer ein Schweizer im Range eines Hauptmanns und der andere, etwas ältere, ein Malaysier im Range eines Majors war. Dr. Ferdinand machte grosse Augen, grösser als die andern ihre Augen gross machen konnten, weil er nun mit den eigenen Augen sah, dass das Anlegemanöver in Gang kam. Die beiden Offiziere, von denen der Jüngere Chirurg, der Ältere Orthopäde war, erklärten ihren Auftrag und ihre Bedürfnisse im Falle von Verletzten. Da gab es rasches Einvernehmen auf der Basis der Gegenseitigkeit, dass Dr. Ferdinand im Ernstfall für Operationen zur Verfügung stehe. Der Superintendent stellte der medizinischen Abteilung der Schweizer Blauhelme den neu errichteten, psychiatrischen Saal zur Verfügung. Die Malaysier richteten sich in einem Militärcamp ein, das vom südafrikanischen Militär noch zu räumen war,


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