Eine Studentin. Peter Schmidt

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Eine Studentin - Peter Schmidt


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lachte und legte vorsichtig sei­nen Arm um ihre Hüf­ten.

      Dann steuerte er zielstre­big auf einen Tisch na­he der Ve­ran­da zu, dessen Blick in Rich­tung Tal ­ging.

      „Ich liebe Palisanderholz“, sagte er und strich mit der Hand­fläche über die röt­li­che Tisch­plat­te. „Mög­lichst mas­siv.“

      Während des Essens war er aus­ge­spro­chen char­mant. Ein rich­ti­ger Dampf­plau­de­rer, dach­te Ca­ro­lin. Was für ein Mann! Ge­bildet, zu­vor­kom­mend, auf­merk­sam, ein­fühl­sam. Falls die Frauen bei ihm Schlange stan­den, dann ließ er sich das nicht an­mer­ken.

      „Haben Sie eigentlich nie daran ge­dacht zu hei­raten, Pro­fessor?“

      „Die Ehe ist wohl eher so etwas wie ein Trick, eine Irre­füh­rung der Natur, um Nach­kom­men zu zeu­gen, indem sie uns über net­te Bezie­hungsge­fühle moti­viert. Die nut­zen sich al­ler­dings schnell ab – an­ders als Angst vor Ein­sam­keit …

      Aber je nach­dem, wie Sie als Mensch emo­tional ge­strickt sind, lenkt die Tan­dem- statt Single-Vari­ante uns leicht von wich­tigen Zie­len ab, erst recht, wenn man einen in­ter­es­san­ten Job hat. Statt­des­sen müs­sen wir stän­dig Aus­kunft ge­ben, ob Sauer­braten oder Nu­deln, Meer oder Berge, Mallorca oder Bayern. Das ver­braucht Ener­gie und kostet Kraft.“

      „Es gibt bisher vier Opfer“, sagte Carolin, als ih­nen der Wirt Grappa zum Nach­tisch reichte, und brei­tete ein paar Fo­tos auf dem Tisch aus. „Eli­sa­beth Her­schel, Nonne, in­zwi­schen ver­stor­ben, Va­nes­sa Roth, Man­ne­quin, Eri­ka Haard, Frau­en­recht­lerin und Manu­ela Win­ters, eine Kom­mi­li­to­nin – alle oh­ne Gedächt­nis. Doch so weit ich mich auch in der ein­schlä­gi­gen Lite­ra­tur umse­he, finde ich kei­nen Hin­weis da­r­auf, wie man ge­zielt das Ge­dächt­nis aus­lö­schen kann, oh­ne da­bei auch die Sprach­fä­hig­keit und an­dere kog­ni­tive Funk­tio­nen zu be­ein­träch­ti­gen.“

      Professor Hollando nahm jedes Bild ein­zeln zur Hand.

      „Nicht besonders aussagekräf­tig“, sagte er. „Bes­ser wäre es, wenn ich die Op­fer mal per­sön­lich in Augen­schein neh­men könn­te.“

      „Das würden Sie für Ro­bert tun?“, fragte Ca­ro­lin. „Seine Ermitt­lun­gen tre­ten näm­lich auf der Stelle.“

      „Prinzipiell gibt es zwei Mög­lich­kei­ten, ent­we­der phy­sisch auf das Ge­dächt­nis ein­zu­wir­ken – das setzt spe­zielle Kennt­nis­se und Fä­hig­kei­ten vor­aus – oder men­tal.

      Bei einer professionellen Ge­hirn­wä­sche wird die Iden­ti­tät des Op­fers ausge­löscht, es soll jede Er­in­ne­rung an sein frü­he­res Le­ben ver­ges­sen. Das ge­schieht durch Iso­la­tion, feh­lende Reize der Au­ßen­welt, Dun­kel­heit, stän­di­ge Fol­ter und De­mü­ti­gungen. Das Krank­heits­bild ent­spricht da­nach einer disso­zi­a­tiven Stö­rung.“

      „Forscht man nicht inzwischen auch daran, durch Sti­mu­la­tion be­stimm­ter Hirn­be­reiche völ­lig neue Er­in­ne­run­gen zu schaf­fen?“

      „Richtig, ja. Aber bisher ist das erst bei Mäu­sen ge­lun­gen. Die hat­ten da­nach Vor­lie­ben für einen be­stimm­ten Ort. Und sol­che künst­lich ge­schaffe­nen Er­inne­run­gen blie­ben ebenso sta­bil wie ech­te Er­fah­run­gen.“

      „Glauben Sie, dass der Täter den Frauen nur des­halb ihr Gedächt­nis ge­nom­men ha­ben könn­te, um sie nicht tö­ten zu müs­sen?“, frag­te Ca­rolin.

      „Damit es keine Zeugen für seine Tat gibt? Ja, das wä­re denk­bar, un­ge­wöhn­lich zwar, aber mög­lich.“

      „Und warum sollte er Skrupel ha­ben, sie zu tö­ten?“

      „Keine Ahnung, gute Frage …“

      Carolin nahm Erika Haards Foto zur Hand. „Schau­en Sie mal, wenn man das Bild schräg ins Licht hält, sieht man an der Haut über ih­rem rech­ten Ohr einen schwa­chen bläuli­chen Strei­fen. Könn­te der von einer Schä­del­öff­nung her­rüh­ren?“

      „Möglicherweise, ja. In der Vertie­fung hin­ter dem Ohr ist ein leich­te­rer Zu­gang zum Ge­hirn.“

      Professor Hollando winkte dem Kell­ner und zahl­te. We­nig spä­ter kam der Chef des Re­stau­rants mit zwei in Ge­schenk­pa­pier ein­ge­schla­genen Fla­schen Grap­pa an ih­ren Tisch.

      „Sonderabfüllung als kleines Dan­ke­schön, dass wir heute einen so be­rühm­ten Gast bei uns be­grü­ßen durf­ten …“

      Draußen am Wagen öffnete Hol­lando die Tür, ver­beug­te sich und küss­te ga­lant Caro­lins Hand – nur so leicht, dass seine Lip­pen ge­rade ih­ren Hand­rü­cken be­rühr­ten. Beim Ein­stei­gen beug­te er sich zum Fah­rer hin­über und flüs­terte ihm et­was zu, das sie nicht ver­stand.

      Fahren wir zu dir oder zu mir, Ce­sare?, dachte sie. Mal se­hen, was er sich ein­fal­len lässt …

      Während der Fahrt saß er ruhig ne­ben ihr und blick­te ge­dan­ken­ver­loren hi­naus in die Dun­kel­heit. Ob­wohl sie kei­nen Kör­per­kon­takt hat­ten, war es, als spü­re sie Cesa­res Herz­schlag …

      Dann tauchte auch schon wie von Geis­ter­hand das Haus ihrer El­tern vor ih­nen auf. Sie konnte sich nicht erin­nern, die Ser­penti­nen zum Berg hoch­ge­fah­ren zu sein. Ein selt­sam un­wirk­li­ches Erleb­nis, als sei die Zeit plöt­zlich ste­hen ge­blie­ben.

      „Sagen Sie Ihrem Bruder, er soll mich an­rufen, da­mit ich mir die Frau­en mal ge­nauer an­se­hen kann“, bat Hol­lando und stieg aus, um Caro­lin die Bei­fah­rer­tür zu öff­nen.

      Was zum Teufel sollte das denn be­deu­ten? Sie klet­terte irritiert aus dem Wa­gen.

      Hol­lando war wieder ein­ge­stie­gen und reichte ihr die Fla­sche aus dem herun­ter­ge­kur­bel­ten Fens­ter. Er hob grü­ßend die Hand – dann gab er dem Fah­rer ein Zei­chen. Wenig später bog sein Wa­gen auch schon in Rich­tung See­ufer ab.

      Carolin starrte ratlos den Rück­lich­tern nach.

      Dann at­mete sie zwei, dreimal tief durch, holte weit aus und schleu­der­te die Fla­sche den Hang hin­un­ter …

      In der Dunkelheit hör­te sie Glas zer­sprin­gen.

      Nach diesem desaströsen Abend hatte sie wieder ihr mor­gend­liches Lauf­trai­ning auf­ge­nom­men. Vor dem Früh­s­tück musste sie erst ein­mal Dampf ab­las­sen, Sport war dafür ein ausgezeichnetes Mittel.

      Über dem Flusstal lag noch Ne­bel. Carolin mied den Rad­weg un­ter­halb der Stau­mauer und lief den Tram­pel­pfad am Was­ser ent­lang, manch­mal auch in den schma­len Gras­nar­ben seit­lich da­von – wie, um sich selbst zu be­wei­sen, dass sie sich un­ter Kon­trol­le hatte.

      Schweißperlen liefen ihr übers Gesicht, das Blut pochte in den Adern und mit jedem Meter spürte sie, dass es ihr schon bes­ser ging.

      Mach dich nicht lächerlich, dachte sie, wäh­rend sie am Ufer ent­langtrabte. Du bist wie ein ent­täusch­tes Ka­nin­chen, das die Mohr­rü­be nicht be­kom­men hat …

      Einen Augenblick später entdeckte sie das Mädchen auf dem Stau­wehr …

      Es moch­te etwa zwölf oder drei­zehn Jah­re alt sein. Trotz der mor­gend­li­chen Kälte trug es nicht viel mehr als ein dün­nes wei­ßes Un­ter­hemd, das knapp zum Knie reichte.

      An der Art, wie das Kind sich bewegte, er­kannte Ca­ro­lin, dass ir­gendet­was nicht stimm­te. Es


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