Wie das Leben so spielt. Karl Zbigniew Grund

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Wie das Leben so spielt - Karl Zbigniew Grund


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      Meine Schwarzwälder-Kirsch habe ich betont langsam entkleidet, von der sperrigen Verpackung befreit. Vorspiel muss eben sein und gehört einfach dazu. Das habe ich noch nicht verlernt. Jetzt muss meine Süße nur noch etwas auftauen und in Stimmung kommen. Allerdings braucht sie dafür ein paar Stunden. Aber ich habe die Geduld. Ich kann warten.

      Es ist wie beim ersten Mal. Die erste vorsichtige Berührung, der erste Kuss. Wenn plötzlich der Boden unter den Füßen wankt, das Blut zu kochen beginnt. Und wenn man dann endlich den letzten Halt verliert und sich einfach fallen lässt – in den Rausch hinein. Ach ja, das ist schon verdammt lang her. Es ist schon nicht mehr wahr. Tote Erinnerungen. Nichts mehr wert.

      Aber die Torte – die ist real.

      Jetzt ist es auch soweit. Sie hat sich erwärmt. Die erste kleine Probe lasse ich langsam und genüsslich auf der Zunge zergehen. Oje, die bringt es. Die reißt es aus. Ein Knaller von einer Torte. Es war die richtige Entscheidung. Ich bin stolz auf mich.

      Kurzfristig verliere ich dann jedoch wie immer die Beherrschung und hau‘ mir ein riesengroßes Stück auf hastig in den Bauch. Als ob mir das jemand wegnehmen könnte. Die nackte Gier. Gott sei Dank sieht mich hier keiner. Jetzt habe ich wieder alles unter Kontrolle. Alles im Griff. Es war nur ein kleiner Ausrutscher.

      Wie die Zeit vergeht. Die Monate und Jahre. Man wird ruhiger mit der Zeit. Es kann aber auch an der Umgebung liegen. An dem geregelten Tagesablauf.

      Hier gibt es keine dringenden Termine und Verpflichtungen. Auf die täglichen drei Mahlzeiten, auf das Duschen und den Wäschetausch zweimal in der Woche. Daran kann man sich relativ schnell gewöhnen. Das sind hier die Anforderungen des Lebens. In der übrigen Zeit kann man sich Gedanken machen. Man muss es nicht. Also, auf mich wirkt das alles sehr beruhigend. Ich kann nur müde lächeln, wenn ich den Fernseher einschalte. Da draußen ist ja nur noch Mord und Totschlag. Eine Katastrophe jagt die andere und was für Probleme die Leute so haben. Obdachlosigkeit zum Beispiel. Da haben einige noch nicht mal ein Dach über dem Kopf. Also echt, das kann hier wirklich nicht passieren. Hier hat man immer ein Dach über dem Kopf, feste Wände, ein stabiles Bett – und vor allem die Ruhe.

      Natürlich gibt es auch hier Verrückte, die das alles nicht zu schätzen wissen. Die sind mit nichts zufrieden, meckern über das Essen, über alles. Einige übertreiben dann auch noch maßlos, hängen sich auf, zerschneiden sich die Pulsadern oder schlucken Messer und Gabeln. Das ist ja nicht normal. Also, für mich sind das, wie gesagt, Verrückte und Versager. Wenn ich zu sagen hätte, ich würde die einfach rausschmeißen auf die Straße zu den Obdachlosen. Oder ab in die Psychiatrie, wo so etwas nicht weiter auffällt und wo man die Ruhe mit Medikamenten erzwingen kann. Ist ja auch wahr – die bringen wirklich nur Unruhe in den Laden. Vorige Woche hat sich einer sogar verbrannt. Der hat sich und seine Bude einfach abgefackelt. Ich meine, dem war echt nicht mehr zu helfen. Das war bestimmt wieder so ein Feuerteufel, ein „Pyromane“ oder so ähnlich. Man spricht nicht so gerne darüber, aber solchen Menschen darf man auch kein Feuerzeug in die Hand geben. Die können gar nicht anders, die sind krank. Ist auch nicht billig, so eine Bude wieder herzurichten. Hoffentlich hat es keine Auswirkungen auf den Verpflegungssatz.

      Überhaupt, man soll nicht so viel denken. So in Gedanken versunken habe ich jetzt tatsächlich die halbe Torte weg gearbeitet. Einfach weg gefressen. Das geht schon Richtung Verhaltensstörung. Daran muss ich noch arbeiten – unbedingt. Ist nicht zu fassen. Jetzt ist mir sogar richtig schlecht. Fühle mich wie im neunten Monat schwanger. Die armen Frauen, kann ich nur sagen. Aber was soll‘s, wenn es bald nicht besser wird, dann stecke ich mir zwei Finger in den Hals und dann ist wieder Ruhe. Darauf ist Verlass. Das hat sich schon immer bewährt.

      Und eine halbe Torte ist ja auch noch da.

       Freistunde

      

      

      

       Immer an der Wand lang

      

       Immer im Kreis

      

       In einer perfekten Stunde

      

       Alles gesichert

      

       Alles überwacht

      

       Freistunde

      

       Der Blick in die Wolken

      

       ist frei

      

      

      Petra

      Seit ein paar Tagen ist Petra hier. Eine Frau inmitten all der Psychopathen und gefährlichen Geisteskranken. Nicht wenige hier haben draußen ganz üble Sachen gemacht. Deshalb darf man sie auch nicht entlassen. In der Freistunde, wo sich viele der Bewohner des Hauses aufhalten, thront meine Petra oben in ihrem Stuhl. Von da aus kann sie alles sehen, hat sie alles im Blick. Gelegentlich kommt ein Pfleger hinzu, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Aber im Ernstfall kann er sie nicht wirklich beschützen.

      Viele, der hier untergebrachten Patienten haben absolut keine Hemmungen und kennen auch kein Mitgefühl. Und immer kann ganz schnell etwas passieren. Nur ich kann sie beschützen. So habe ich immer eine sehr scharfe Glasscherbe dabei in meiner Hosentasche. Damit kann ich jedem den Hals aufschlitzen, wenn ich es für angebracht halte. Keiner darf ihr auch nur ein Haar krümmen. Petra weiß nicht, dass sie einen Schutzengel hat. Wegen ihr laufe ich auch hier im Hof etliche Runden. Immer schneller und schneller. Das kann ihr eigentlich unmöglich entgehen. Und einmal flüsterte sie mir tatsächlich etwas Nettes zu. „Du bist ja wirklich fit“, sagte sie. Und sie ist schön. Hoch gewachsen, schlank und schönes langes Haar. Manchmal in einem Zopf gebunden. Sie gehört zu mir. Wir beide gehören zusammen.

      Inzwischen weiß ich auch, warum sie meistens so desinteressiert guckt. Damit keiner mitbekommt, dass wir eine intensive Beziehung haben. Wir brauchen nicht miteinander zu sprechen. Ich kann ihre Gedanken lesen und sie meine. Wir verständigen uns telepathisch.

      Vorgestern bekam ich zufällig mit, dass einer der verrückten Mitbewohner sie als Geisel nehmen wollte. Da musste ich sofort etwas unternehmen. Das habe ich über Egon klären lassen. Egon ist ein Riesen-Baby mit unglaublichen Kräften. Im Grunde ist er total sanftmütig – solange man nichts Schlechtes über seine Mutter sagt. Weil, dann dreht er durch und ist nur noch mit der Betonspritze oder einer Kugel im Kopf zu stoppen. Ich sagte Egon, dass der angebliche Geiselnehmer schlecht, sehr schlecht über seine Mutter gesprochen hätte. Das war gelogen, aber der Zweck heiligt die Mitteln – oder so ähnlich. Egon ging auf ihn zu und streckte ihn mit einem einzigen Schlag nieder. Dann schüttelte er ihn auch noch kräftig durch – als er wie eine Puppe leblos in seinen Armen hing. Leider spritzten sie Egon danach weg und der andere wurde bewusstlos oder tot weg getragen. Jedenfalls habe ich ihn danach nie wieder gesehen.

      Bald ist es auch soweit. Ich und Petra, wir werden hier verschwinden. Nach dem Vorfall wurde sie vorsichtshalber auf eine andere Abteilung versetzt, aber wir verständigen uns auf einer anderen Ebene. Sie wartet auf mich. Das weiß ich genau. Einen Plan habe ich mir auch schon ausgedacht. Bin ja auch nicht verrückt oder dumm. Das Haus wird plötzlich an mehreren Stellen in Flammen aufgehen. Chaos und Panik wird die meisten ergreifen. Und wenn viele


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