Wie das Leben so spielt. Karl Zbigniew Grund
Читать онлайн книгу.Früher war das alles viel klarer. Da gab es auch noch nicht so viele Weicheier. Und auch nicht so viele von den Hasch-Typen, die sich das Zeug da spritzen. Da gab es einfach den richtig Selbstgebrannten, Hausmarke: „Treppenstürzer“. Der hatte auch reichlich Umdrehungen. Ging zwar tierisch auf die Augen mit der Zeit, aber was gibt es im Knast schon groß zu sehen. Tja, das waren noch Zeiten. Da sind einige gepudert und geölt mit selbst gemachten Damentaschen im Bau herum spaziert. Da gab es noch Freundschaften fürs Leben. Intern war auch alles geregelt. Unstimmigkeiten wurden noch unter sich ausgetragen. Mit der Faust, aber auch mit Messer. So echte Kriminelle, echte Verbrecher mit festen Grundsätzen, findet man heute kaum noch. Der allgemeine Werteverfall hat sich leider auch in den Knästen niedergeschlagen. Traurig ist das, richtig traurig.
Aber wo war ich stehen geblieben? Ach ja, bei den Schnürsenkeln. Eigentlich müsste ich dem Typ sogar dankbar sein, sonst wäre ich da vermutlich nicht so schnell weg gekommen. Und man soll auch nicht so schlecht über Vollzugskollegen sprechen. Wahrscheinlich ist für ihn die Verhandlung auch dumm gelaufen und am Anfang ist das alles noch ziemlich aufregend. Und wer weiß, was der Typ für Probleme hatte. Später legt sich das alles. Man entdeckt die Langsamkeit und die Ruhe. Ich bin schon froh, wenn ich mich überhaupt noch aufregen kann. Um die Zukunft mache ich mir keine Sorgen. Arbeitslosigkeit – das ist für mich kein Thema. Darüber kann man auch später nachdenken. Also, hier hat man, wenn überhaupt, ganz andere Probleme. Alles kann passieren, nur der Fernseher darf nicht plötzlich den Geist aufgeben. Einmal ist es mir schon passiert. Und es war echt schlimm. Hätte nicht gedacht, dass mich das so mitnehmen könnte. Also echt, das sind hier die wahren Schicksalsschläge des Lebens. Da bin ich auch das erste Mal schwach geworden und habe mir dieses Haschzeug besorgt, weil ausnahmsweise nichts anderes da war. Hab mich vorsichtshalber aufs Bett gelegt, weil ich dachte, jetzt kriegst du den Freiflug oder Abflug. Aber so schlimm war das gar nicht. Es war sogar echt lustig. Vorher war es ja für mich kein Thema, aber inzwischen sehe ich das nicht mehr so eng. Außerdem ist auch der Fernseher daran schuld. Was soll‘s , von all den Neuerungen, die es heute so gibt, ist das etwas, womit ich was anfangen kann. Da macht auch „French Open“ viel mehr Spaß. Wenn die sich da die Bälle um die Ohren knallen. Allerdings gucke ich mir am liebsten die Mädels an. Die stöhnen auch so schön und optisch sieht es einfach geil aus. Ist angenehmer für die Augen. Nur die Stefi braucht mir nicht mehr zu kommen. Die ist jetzt bei mir unten durch. Außerdem hat sie zu dicke Oberarme. Die Beine sind allerdings in Ordnung. Die neue Russin, die Anna, die könnte noch was werden. Arrogantes Luder, aber gnadenlos unterwegs. Die kennt keine Zurückhaltung und da stimmt auch sonst alles. Die Optik, der Kampfgeist und die innere Einstellung. So kommt sie bestimmt weiter. Ab heute ist sie für mich der neue Star. Morgen spielt sie wieder. Hoffentlich muss ich mich da nicht erneut aufregen. Also, wenn die Anna mich jetzt auch noch enttäuscht, dann weiß ich nicht mehr weiter. Vielleicht mache ich mich dann auch weg. Aber ganz bestimmt nicht mit Schnürsenkeln. Und vorher haue ich noch auf jeden Fall den Scheiß-Fernseher kaputt.
Freundschaft
Mit der Zeit
nach all den Jahren
bin ich mir
ein guter Freund
geworden
Stille
Ich sitze auf meinem Bett vor der grauen Wand und versuche nichts zu denken. Keine einfache Übung, weil irgendwas denkt man ja immer. Aber in dieser engen Umgebung habe ich viel Zeit. Es ist eine besonders gesicherte Einzelzelle, die ich vorerst unbefristet bewohnen darf. Kein Kontakt zu Mitinsassen, keine Teilnahme an irgendwelchen Freizeitveranstaltungen. Täglich darf ich auch exakt eine Stunde lang in einem kleinen Hof alleine im Kreis gehen. Es bleibt mir überlassen, ob ich von links nach rechts oder von rechts nach links gehe. Ebenso darf ich auch stehen bleiben und in den Himmel schauen. Der Blick in die Wolken ist frei.
Bewegung ist jedoch wichtig für das Wohlergehen und überhaupt. Duschen darf ich natürlich auch alleine und völlig ungestört. Fernseher und Radio sind mir allerdings auch abgenommen worden. Diese totale Ruhe und Stille kann man auch als Isolation bezeichnen. Immerhin darf ich Bücher lesen. Ich lese auch meistens laut, um das Gefühl für die eigene Stimme nicht zu verlieren. Manchmal führe ich auch Selbstgespräche und erzähle mir Geschichten.
Jeden Tag öffnet sich dreimal die schwere Eisentür, wo mir ein Beamter das Essen aushändigt. Noch nicht mal die Hausarbeiter bekomme ich zu sehen. Mit den Beamten rede ich nicht. Kein einziges Wort. Seit 6 Monaten läuft bereits diese besondere Maßnahme, die für mich nach drei gescheiterten Fluchtversuchen in drei Monaten und dem Besitz einer Säge angeordnet wurde. Besonders die Säge muss die Anstaltsleitung verärgert haben, weil die in einer Anstalt mit der höchsten Sicherheitsstufe nichts zu suchen hat. Die Säge habe ich aufgrund ungewöhnlicher Umstände praktisch geerbt. Derjenige, der damit flüchten wollte, wurde plötzlich und unerwartet entlassen, weil seine Akten verschlampt wurden. Ich war mit ihm auf einer Zelle untergebracht, weil die Anstalt total überbelegt ist. Er konnte es zuerst kaum fassen, dass er plötzlich seine Sachen packen durfte. So etwas passiert auch höchst selten, ähnlich wie ein Hauptgewinn im Lotto.
Danach wurde ich von einem anderen Mithäftling verraten, mit dem ich den kleinen Haftraum weiterhin vorübergehend teilen musste. Der Typ bekam die Säge rein zufällig zu sehen, als sie aus dem Versteck zwischen der Sichtblende heraus fiel. Er ging kurz danach in die übliche Freistunde. Ich verzichtete auf den Hofgang, weil ich eine ungute Vorahnung hatte. In dieser Stunde versteckte ich die Säge an einer anderen schwer zugänglichen Stelle im Bettgestell, das mit Eisen verstärkt war. So konnte sie nur sehr schwer gefunden und geortet werden. Mein Mitbewohner kam aus dem Hofgang auch gar nicht zurück. Dafür erschienen mehrere Beamte, die nach der Säge suchten. Immerhin brauchten sie ca. 7 Stunden, bis sie das Teil dann doch fanden. Mein Verräter wurde danach sofort in eine andere und bessere Anstalt verlegt. Seinen Namen habe ich mir extra notiert. Eines Tages möchte ich mich auch bei ihm angemessen bedanken. Ebenso habe ich die zuständigen und verantwortlichen Beamten, Staatsanwalt und Richter, denen ich die Inhaftierung und diese strenge Einzelhaft zu verdanken habe, besonders in mein Herz geschlossen.
Als mir ein Beamter auch noch meinen Fernseher und Rekorder aus meiner neuen Sicherheitszelle heraus tragen wollte, verlor ich kurz die Beherrschung und warf ein massives und schweres Kaffee-Kännchen mit voller Wucht nach ihm. Da war er schon an der Tür und schaffte es, seinen Kopf noch rechtzeitig abzuwenden. Die Kanne zerschellte direkt neben seinem Kopf, wobei er noch einige Splitter in seinem Gesicht abbekam.
Dann verbrachte ich eine Nacht nackt und mit Handschellen versehen in einer besonderen Arrestzelle. In diesen Zellen ist oft nur eine Matratze und sonst gar nichts. Damit man sich schnell beruhigen kann. Natürlich mit Kameras überwacht.
Seltsamerweise wurde eine Anzeige wegen versuchtem Totschlag fallen gelassen. Wahrscheinlich, weil dann auch die Säge zur Sprache gekommen wäre und das hat kein Anstaltsleiter gerne. Es hätte eine Sicherheitsüberprüfung nach sich gezogen. Im Gegenzug musste ich weiterhin auf meine Geräte verzichten. Und so habe ich jetzt die absolute Ruhe und Stille, mit der ichirgendwie klar kommen muss. Viel Zeit, um sich Gedanken zu machen.
Diese tödliche Monotonie hat es in sich. Kann inzwischen gut nachvollziehen, dass einige dabei irgendwie verrückt werden. Habe mir auch schon schön ausgemalt, was man