Der leuchtende Schlüssel. Edgar Wallace

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Der leuchtende Schlüssel - Edgar Wallace


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      »Und warum haben Sie sich nach Mr. Lyne erkundigt?« fragte sie hartnäckig.

      »Ich wollte nur wissen, ob Sie den Alten etwas besser kennen. Mir hat er niemals Geld geliehen, darüber können Sie beruhigt sein. Er will immer solche Sicherheiten haben, die ich ihm nicht geben kann. Moran ist sein Bankier.«

      Wenn Mike von sich aus nichts sagen wollte, blieb jeder Versuch, ihn zum Reden zu bringen, vergeblich. Mary sah auf ihre kleine Armbanduhr.

      »Wird Mr. Wirth sehr ärgerlich sein, wenn ich etwas früher gehe? Ich habe nämlich versprochen, noch in den Gesandtschaft-Klub zu kommen.«

      Er schüttelte den Kopf, nahm sie freundlich am Arm und führte sie zu dem Gastgeber.

      »Meine kleine Freundin muß sich leider verabschieden, Mr. Wirth. Sie hat morgen eine wichtige Probe und möchte sich noch darauf vorbereiten.«

      »Ich verstehe vollkommen«, erwiderte Mr. Wirth mit ausgesuchter Höflichkeit. »Ich hoffe auch bei meiner nächsten Einladung das Vergnügen zu haben, Sie bei mir zu sehen, Miss Lane. In drei Wochen bin ich aus dem Ausland zurück.«

      Mike begleitete sie zum Ausgang und half ihr in den Mantel.

      »Ich bleibe noch eine Stunde hier, dann drücke ich mich auch. Um ein Uhr ist gewöhnlich Schluß, länger bleibt Mr. Wirth auch nicht. Die Handtasche mit dem Goldbügel bringe ich Ihnen ins Theater mit.«

      Mary hatte Mike gern – alle Leute hatten Mike gern. Fast alle Schauspieler und Schauspielerinnen in London waren bereit, um halbe Gage für ihn zu spielen. Wenn er in einer Geldklemme oder nahezu ruiniert war, konnte er virtuos mit schmerzlichem Blick zum Himmel schauen und bittere Tränen über seine Wangen rinnen lassen. Und er war immer ruiniert, wenn hartherzige Gläubiger ihn mahnten, seine Schulden zu bezahlen. Ein angenehmer, liebenswürdiger Mensch, aber wenig zuverlässig, Niemand wußte, was er mit all dem Geld machte, das andere Leute ihm auf Nimmerwiedersehen liehen.

      »Ich weiß nicht, was mit unserem letzten Stück los ist«, meinte er, als er mit Mary den Gang entlangging. »Vielleicht ist es der Titel ›Klippen des Schicksals‹. Darunter kann sich doch kein Mensch etwas vorstellen. Ich habe das Stück vierzigmal über mich ergehen lassen und weiß immer noch nicht recht, was der Autor eigentlich damit sagen will.«

      Sie sah ihn verblüfft an. »Aber Sie haben es doch ausgesucht!«

      Er schüttelte den Kopf.

      »Nein, das hat er getan.« Er zeigte mit der Hand zurück auf den Gastgeber. »Er hat mir sogar gesagt, er fühle sich in seinem Gewissen beruhigt, wenn er das Stück lese. Auf mich macht es nicht den geringsten Eindruck.«

      Er wartete vor dem Hoteleingang, bis Mary mit einem Taxi abgefahren war. Als er sie das erste Mal zum Abendessen ausführte, gab er ihr ein paar gute Ratschläge, wie eine hübsche Schauspielerin Karriere machen könne. Sie hatte ihm darauf sehr vernünftig und taktvoll geantwortet, so daß er sich nicht verletzt fühlen konnte. Seitdem hatte er sie wirklich gern, während seine zahlreichen Liebesabenteuer ihn wenig berührten.

      Langsam ging er in den Festsaal zurück, wo Mr. Wirth gerade die Geschenke für die Damen verteilte.

      Er war in ungewöhnlich heiterer Stimmung. Im allgemeinen trank er nur wenig, aber an diesem Abend hatte er versprochen, eine ganze Flasche Sekt auszutrinken, wenn jemand sein Alter raten würde. Zufällig hatte eine der Damen die Zahl zweiunddreißig genannt und damit die Wette gewonnen.

      »Großer Gott!« sagte Mike, als er die Geschichte hörte.

      Sobald es ihm möglich war, nahm er Mr. Wirth beiseite.

      »Es ist wohl Zeit, daß wir Schluß machen«, meinte er.

      Mr. Wirth lächelte nicht gerade sehr intelligent, und seine etwas sonderbare Erwiderung verriet, daß er dem Wein reichlich zugesprochen hatte.

      »Mein lieber – lieber Junge! Ich stehe immer noch ganz fest auf den Beinen – um mich brauchen Sie keine Angst zu haben – ich komme noch sehr gut in meine Wohnung.«

      Das war ja ein ganz neuer Mr. Wirth! Mike runzelte die Stirn, denn er fürchtete, diesen unschätzbaren Protektor zu verlieren. Es war, als ob der Besitzer einer verborgenen Goldmine plötzlich eine Fahne hißte, um die Lage der Mine öffentlich bekanntzumachen.

      »Sie müssen etwas Kaltes trinken, Mr. Wirth, das die Hitze niederschlägt. Warten Sie einen Augenblick, ich werde etwas bringen.«

      Mike eilte hinaus, traf den Oberkellner und kam gleich darauf mit einer kleinen blauen Flasche zurück. Er schüttete eine Anzahl weißer Körner in ein Weinglas und goss Wasser hinzu, dann reichte er den schäumenden Trank dem Gastgeber.

      »Nehmen Sie das.«

      Mr. Wirth gehorchte und trank zwei kleine Schlucke. Zwischendurch atmete er schwer.

      Die letzten Gäste waren gegangen.

      »Nun, wie fühlen Sie sich?« fragte Mike ängstlich.

      »Vollkommen in Ordnung«, erklärte Mr. Wirth.

      Er schien plötzlich wieder nüchtern geworden zu sein. Auf jeden Fall ließ sich Mike täuschen. Er brachte seinen Freund nicht zum Auto, weil er das sonst auch nicht tat. Mr. Wirth schlug den Kragen seines schweren Mantels hoch und setzte den Zylinder nach vorn, als er zur Garage des Hotels ging und den Wagen vorfahren ließ. Er stieg gerade ein, als ein Mann an ihn herantrat.

      »Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?« fragte der Fremde.

      Mr. Wirth sah ihn mit verglastem Blick an, kletterte dann auf den Führersitz und ließ den Wagen anspringen.

      »Kann ich Sie einen Augenblick –«

      Im nächsten Moment schoß das Auto vorwärts, und der Mann, der einen Fuß auf das Trittbrett gesetzt hatte, wurde zu Boden geschleudert. Rasch erhob er sich wieder und lief zur Belustigung des Garagenpersonals hinter Wirth her. Gleich darauf wurden Wagen und Mann von der Dunkelheit verschluckt.

      2

      Mr. Tickler, so hieß der Verfolger, konnte dem Auto nur bis zur Oxford Street auf der Spur bleiben. Niedergeschlagen wanderte er auf den Regent's Park zu und bog dann zum Naylors Crescent ein. In dieser Seitenstraße war es sehr still; die kleinen hübschen Häuser lagen alle in tiefer Nachtruhe.

      Mr. Tickler blieb vor Nr. 17 stehen und sah zu den Fenstern hinauf. Die weißen Jalousien waren heruntergelassen, und das Haus sah vollkommen tot aus. Dann musterte er die grüne Haustür, die er so gut kannte, die drei ausgetretenen Stufen, die hinaufführten, das kleine eiserne Geländer und die Stahlschienen, die in die Stufen eingelassen waren, damit man einen Rollstuhl leicht hinunterbefördern konnte.

      In diesem Haus herrschte Reichtum. Ein begüterter Mann wohnte hier, der dem Grab sehr nahe war. Ein Gefühl der Bitterkeit stieg in Mr. Tickler auf. Er dachte an die harte Behandlung im Gefängnis von Pentonville. Es ging zu ungerecht im Leben zu.

      Der alte Lyne schlief im ersten Stock, sein Bett stand zwischen beiden Fenstern. Das kleine niedrige Fenster gehörte zu seinem Arbeitszimmer, in dem er tagsüber saß.

      Dort befand sich auch ein Safe, aber es lagen nur alte Papiere darin. Der alte Lyne war schlau und hatte niemals Geld im Hause, wie er ständig betonte. Ein oder zwei Einbrecher, die ihm nicht geglaubt hatten, mußten ohne Beute wieder abziehen.

      Und dieser alte Geizhals schlief nun in einem luxuriösen Zimmer unter Daunendecken, und hier draußen stand Horace Tom Tickler mit ein paar Silbermünzen in der Tasche.

      Aber vielleicht war der Alte überhaupt nicht zu Hause. Es gehörte zu seinen Tricks, sich anderswo aufzuhalten, wenn man ihn in seiner Wohnung vermutete.

      Tickler wanderte eine Stunde in der kleinen Sackgasse auf und ab, dachte über zahlreiche Pläne nach, von denen sich die meisten nicht ausführen ließen, und schlich sich dann nach den breiten Straßen zurück, wo die vielen Cafés mit den hell erleuchteten Fenstern lagen. Schließlich ging er durch


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