Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace
Читать онлайн книгу.das die einzige Nacht ist, in der Amelia Jones allein in dem Hause schläft. Sie hat noch zwei Untermieter, junge Leute, die bei der Eisenbahn beschäftigt sind, die haben am Dritten jeden Monats bis drei Uhr morgens Dienst.«
»Entspricht das den Tatsachen, oder hast du ihm das nur eingeredet?«
»Ich habe ihm natürlich ein Märchen erzählt, aber er nahm die Geschichte für bare Münze. Die beiden jungen Leute haben keinen Hausschlüssel und müssen durch die Küchentür hereinkommen, die Mrs. Jones für sie offenläßt. Zu der Küchentür kommt man dann durch einen engen Gang von der Little Mill Street aus, der an der Hauswand entlangführt. Er hat mich gleich mit Fragen bestürmt und mir auch gesagt, daß er niemals wieder ins Gefängnis kommen wird, höchstens auf kurze Zeit. Ein interessanter Mann. Es ist wohl das beste, daß er stirbt«, sagte Leon ernst und nachdenklich. »Denke daran, welches Unheil er anrichten kann, George. Das arme Mädchen, das nun glücklich und zufrieden bei ihren Freundinnen weilt – sie ist so wohlerzogen –«
»Wenn sie einen so gemeinen Verbrecher wie Bash Jones zum Vater hat?« fragte Manfred lächelnd.
»Ich wiederhole, sie ist wohlerzogen. Erziehung erwirbt ein Mensch durch langen Umgang mit vornehm denkenden Leuten. Nimm den Sohn eines Herzogs und lasse ihn in den Verbrechervierteln von London aufwachsen, und du wirst einen Verbrecher aus ihm machen. Denke doch einmal, wie entsetzlich es wäre, wenn man dieses Kind wieder in die traurige Umgebung von Deptford zurückversetzte! Das würde doch die Folge sein, wenn Bash Jones seine Frau nicht umbrächte. Wenn er sie auf der anderen Seite aber tatsächlich ermordet, dann kommt die ganze schreckliche Wahrheit ans Licht. Beides wäre nicht gut, und ich halte es für das beste, daß wir die Sache mit Bash Jones in Ordnung bringen.«
»Ich bin ganz deiner Meinung.« Manfred rauchte nachdenklich seine Zigarre.
Leon Gonsalez setzte sich an den Tisch, nahm einen Gedichtband von Browning und las darin. Ab und zu machte er eine Pause und sah gedankenvoll auf das Tischtuch, während er den Plan ausarbeitete, auf welche Weise Bash Jones sterben sollte.
Am Nachmittag des betreffenden Tages wurde Mrs. Amelia Jones durch ein Telegramm aus ihrer Wohnung gerufen. Sie traf Leon Gonsalez im Paddington-Bahnhof.
»Haben Sie Ihre Schlüssel mitgebracht, Mrs. Jones?«
»Ja«, erwiderte sie erstaunt. »Wissen Sie auch schon, daß mein Mann aus dem Gefängnis gekommen ist?«
»Es ist mir bekannt, und gerade weil er frei ist, möchte ich, daß Sie einige Tage verreisen. Ich habe Freunde in Plymouth, sie werden Sie wahrscheinlich an der Bahn abholen. Und wenn Sie sich verfehlen sollten, so wenden Sie sich an diese Adresse.«
Er gab ihr einen Zettel mit der Adresse einer Pension, die er in einer Zeitung von Plymouth gefunden hatte.
»So, und hier haben Sie auch einiges Geld. Ich bestehe darauf, daß Sie es annehmen. Meine Freunde wollen Ihnen sehr gern helfen.«
Sie vergoß Tränen der Dankbarkeit; als er sich von ihr trennte.
»Sind Sie auch sicher, daß Sie Ihr Haus abgeschlossen haben?« fragte Leon beim Abschied.
»Ich habe den Schlüssel hier.«
Bei diesen Worten öffnete sie ihre Handtasche, und er sah, daß ihre Hände zitterten.
»Lassen Sie einmal sehen.« Leon nahm die Handtasche.
Er schaute in seiner kurzsichtigen Art hinein. »Ja, ich sehe ihn, er ist da.«
Er faßte hinein, brachte seine Hand scheinbar leer wieder heraus und schloß die Handtasche.
»Auf Wiedersehen, Mrs. Jones. Lassen Sie den Mut nicht sinken.«
Als die Dunkelheit hereinbrach, begab sich Leon Gonsalez in die Little Mill Street. Er gelangte mit seiner schwarzen Tasche unbemerkt in das Haus, denn es war ein regnerischer und windiger Abend, und die Leute zogen es vor, am warmen Kamin zu sitzen und nicht auf die unwirtliche Straße hinauszugehen.
Er schloß die Tür hinter sich. Mit Hilfe einer Taschenlampe fand er den Weg zu dem einfachen Schlafzimmer von Mrs. Jones. Er schlug die Bettdecke zurück, öffnete vorsichtig die schwarze Tasche und nahm den wichtigsten Gegenstand, einen großen, runden Glasbehälter, heraus.
Nachdem er sorgfältig eine schwarze Perücke darübergezogen hatte, suchte er in dem Raum nach Kleidungsstücken von Mrs. Jones. Er rollte sie zusammen und machte eine Puppe daraus, die er ins Bett legte. Dann trat er einige Schritte zurück und betrachtete mit Genugtuung sein Werk. Als er mit allem fertig war, stieg er die Treppe hinunter und schloß die Küchentür auf, die ins Freie führte. Um seiner Sache ganz sicher zu sein, ging er den Gang am Hause entlang und sah nach, ob die Tür im Zaun offen war. Das Schloß schien in dauernder Unordnung zu sein, so daß es überhaupt nicht geschlossen werden konnte. Beruhigt kehrte er zurück.
In einer Ecke des Schlafzimmers befand sich ein Kleiderhalter, der durch einen billigen Kattunvorhang verdeckt war. Die Kleider hatte er schon vorher verwandt. Er holte sich einen Stuhl, setzte sich an den Tisch und wartete. Geduld, die ja auch andere große Wissenschaftler auszeichnet, gehörte zu seinen hervorragendsten Eigenschaften.
Die Kirchenglocken hatten eben zwei geschlagen, als er die Küchentür knarren hörte. Geräuschlos erhob er sich, nahm einen Gegenstand aus der Tasche und trat hinter den Vorhang. Es war ein altes, gebrechliches Haus, in dem man sich nicht bewegen konnte, ohne daß die Bodenbretter krachten. Aber der Mann, der Schritt für Schritt die Treppe heraufschlich, war gewandt und geschickt, und Leon vernahm erst wieder einen Laut, als sich die Tür langsam öffnete und eine Gestalt hereintrat.
Behutsam ging der Eindringling näher ans Bett und blieb dann einige Sekunden stehen. Vermutlich lauschte er, ob sich irgend etwas regte ... Dann sah Leon, wie er einen Stock hob und mit furchtbarer Gewalt auf die vermeintliche Frau im Bett einschlug.
Bash Jones hatte kein Wort gesprochen, bis er das Splittern des Glases hörte. Nun stieß er einen wilden Fluch aus und suchte in seinen Taschen nach Streichhölzern. Diese Verzögerung war sein Verhängnis, denn das unter einem Druck von vielen Atmosphären in der Gasflasche komprimierte Chlorgas erfüllte sofort den Raum. Er hustete, keuchte und wandte sich zur Flucht, aber nach einigen Schritten fiel er um. Das todbringende, gelbe Gas hüllte seinen Körper ganz ein.
Leon Gonsalez trat aus seinem Versteck hervor. Der sterbende Bash Jones starrte auf die ungeheuer großen Glasaugen einer Gasmaske, als er das Bewußtsein verlor.
Leon sammelte die Glassplitter vorsichtig und wickelte die einzelnen Stücke in eine Papiertüte, die er dann in seiner Tasche verwahrte. Mit der größten Sorgfalt hängte er die Kleider wieder an die Wand, entfernte die Perücke, brachte das Zimmer in Ordnung und öffnete Tür und Fenster. Dann ging er nach unten und öffnete auch dort alle Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Es wehte ein kräftiger Südwestwind, und am Morgen würde das Haus ganz von dem Gas gesäubert sein.
Erst als er durch die Küchentür das Haus verlassen hatte, nahm er die Gasmaske ab und legte sie ebenfalls in die Handtasche.
Eine Stunde später lag er in seinem Bett und schlief fest und ruhig.
Auch Mrs. Jones verbrachte eine friedliche, unbekümmerte Nacht, und in einem kleinen, prächtigen Schlafzimmer im Westen Englands schmiegte sich ein junges Mädchen in die weichen Kissen und seufzte glücklich. Aber Bash Jones schlief den tiefsten Schlaf, aus dem es kein Erwachen gibt.
6 Der Mann, der glücklich war
An einem schönen Frühsommerabend stieg Leon Gonsalez am Piccadilly Circus vom Autobus, ging mit energischen Schritten Haymarket hinunter und bog in die Jermyn Street ein, ohne scheinbar zu bemerken, daß ihm jemand wie ein Schatten folgte.
Manfred schaute von seiner Schreibarbeit auf, als sein Freund in das Zimmer trat, und nickte ihm lächelnd zu. Leon legte seinen leichten Überzieher ab, trat ans Fenster und sah auf die Straße.
»Wonach schaust du denn so ängstlich aus, Leon?«
»Nach Jean Prothero, der Barside