Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace
Читать онлайн книгу.bewies das Paket Banknoten, das vor ihm auf dem Tisch lag.
Er legte seinen Rock ab und zog seine alte Samtjacke an. Dann ging er im Zimmer auf und ab und steckte die Hände in die Taschen.
»Margaret Vane«, sagte er leise. »Sie ist eine der wunderbarsten Frauen, die jemals gelebt haben, George. Schön, begabt – und doch, wenn sie wirklich das ist, als was sie heute abend auftrat, dann ist sie das verabscheuungswürdigste, gemeinste Wesen, das ...«
Er schüttelte traurig den Kopf.
»Spielt sie eine führende Rolle oder ist sie auch nur eine von den Betrogenen?«
Leon antwortete nicht gleich.
»Ich weiß es selbst nicht«, sagte er dann langsam. Er erzählte von seinem Erlebnis in dem Büro Mr. Birns, von dem Mann mit den roten Haaren und dem Streit der beiden.
»Ich zweifle keinen Augenblick, daß die Dame, von der er sprach, Margaret Vane war. Aber das allein würde meinen Glauben an ihre Schuld nicht erschüttert haben. Nachdem ich die Spielhölle in der Bayswater Road verließ, wollte ich erfahren, wo sie wohnte. Sie hatte alle Fragen darüber so schlau und geschickt umgangen, daß ich argwöhnisch wurde. Ich nahm ein Auto und wartete, bis sie herauskam. Als sie dann wegfuhr, folgte ich ihr. Sie hielt vor dem Haus Mr. Birns am Fitzroy Square. Dort wartete ein Mann auf sie, der ihren Wagen in Empfang nahm. Miss Vane ging direkt in das Haus und schloß die Tür selbst auf. Ich folgerte daraus, daß Mr. Birn und sie viel enger befreundet sind, als ich vorher dachte.
Ich entschloß mich, zu warten, und ließ den Wagen auf der anderen Seite des Platzes halten. Etwa eine Viertelstunde später kam sie wieder heraus, und zu meiner größten Überraschung hatte sie sich umgezogen. Ich bezahlte den Wagen und folgte ihr zu Fuß. Sie wohnt in der Gower Street.«
»Das ist wirklich sehr merkwürdig«, gab Manfred zu. »Da scheint irgend etwas nicht zu stimmen.«
»Das glaube ich auch. Ich werde morgen zur Gower Street gehen.«
Gonsalez brauchte nur wenig Schlaf. Am nächsten Morgen um zehn Uhr war er schon unterwegs.
Er brachte Manfred einen interessanten Bericht.
»Ihr wirklicher Name ist Elsie Chaucer, und sie wohnt mit ihrem Vater zusammen, der an beiden Beinen gelähmt ist. Sie haben eine kleine Wohnung, ein Dienstmädchen und eine Krankenschwester, die den Vater pflegt. Man weiß nicht viel von ihnen in der Nachbarschaft. Ich konnte nur so viel herausbekommen, daß es ihnen früher sehr gut ging. Der Vater beschäftigt sich den ganzen Tag mit Karten, er will ein neues System ausfindig machen. Das erklärt wahrscheinlich auch ihre Anmut. Sie empfangen niemals Besuch. Die Hausbesitzerin nimmt an, daß das junge Mädchen eine Schauspielerin ist. Es ist alles recht sonderbar«, sagte Leon nachdenklich. »Die Lösung finden wir natürlich bei Birn.«
»Wir werden die Sache schon aufklären, Leon.«
»Das denke ich auch. Seine Wohnung bietet keine unüberwindlichen Schwierigkeiten.«
*
Mr. Birn war am Abend fast immer zu Hause. Er saß tief vergraben in einem weichen Sessel, rauchte eine lange, teure Zigarre und las die »London Gazette«.
Um Mitternacht kam seine Haushälterin, eine ältere Französin, ins Zimmer. Sie führte seinen Haushalt schon lange und hatte sich ihm durch ihre Verschwiegenheit unentbehrlich gemacht.
»Alles in Ordnung?« fragte Mr. Birn gleichgültig.
»Monsieur, ich wünschte, Sie würden einmal mit Charles sprechen.«
Charles war der Chauffeur Mr. Birns, und zwischen ihm und der Haushälterin bestand eine dauernde Fehde.
»Was hat er denn wieder angestellt?« Mr. Birn runzelte die Stirn.
»Jeden Abend kommt er in die Küche und erhält dort sein Abendessen. Er ist angewiesen, die Tür zu schließen, wenn er fortgeht. Aber als ich um elf Uhr die Tür verriegeln wollte, stand sie offen. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, wäre sie offengeblieben, und man hätte uns vielleicht heute nacht umgebracht.«
»Ich werde morgen früh mit ihm sprechen«, brummte Mr. Birn. »Haben Sie die Tür zu Mademoiselles Zimmer aufgelassen?«
»Jawohl, der Schlüssel steckt.«
»Gute Nacht«.« Mr. Birn wandte sich wieder der Lektüre seiner Zeitung zu.
Um halb drei wurde die Haustür leise geöffnet, und Mr. Birn hörte leichte Schritte in der Eingangshalle. Er schaute auf die Uhr, steckte sich eine neue Zigarette an, erhob sich und ging mit steifen Schritten zu dem Geldschrank, der in die Wand eingelassen war. Er schloß ihn auf und nahm eine leere Stahlkassette heraus. Diese stellte er auf den Tisch, öffnete sie und setzte sich dann wieder in seinen Stuhl.
Gleich darauf klopfte es leicht.
»Kommen Sie herein«, sagte Mr. Birn.
Die junge Dame, die abwechselnd Vane und Chaucer hieß, trat in das Zimmer. Sie war sehr geschmackvoll gekleidet. In mancher Beziehung hob das schlichte Kostüm ihre ungewöhnliche Schönheit noch mehr. Mr. Birn betrachtete sie mit Genugtuung.
»Nehmen Sie Platz, Miss Chaucer.« Er streckte seine Hand nach dem kleinen Leinenbeutel aus, den sie in der Hand trug, öffnete ihn und nahm eine Perlenkette heraus. Er ließ sie durch die Finger gleiten und prüfte sie dann sehr genau.
»Ich habe kein Stück davon gestohlen«, sagte sie verächtlich.
»Das ist sehr leicht möglich, aber es sind schon die merkwürdigsten Dinge vorgekommen.«
Dann nahm er die Diamantnadel, die Ringe mit den großen Brillanten und die Smaragdarmbänder in die Hand und betrachtete alles genau und eingehend, bevor sie in den Beutel zurückwanderten, den er in die Stahlkassette legte.
Er sprach nicht, bis er den Kasten wieder in den Safe zurückgestellt hatte. »Nun, wie ist es heute gegangen?«
Sie zuckte die Schultern.
»Ich interessiere mich nicht für Glücksspiele«, sagte sie kurz.
Mr. Birn lachte.
»Sie sind wirklich töricht«, erwiderte er ganz offen.
»Ich wünschte, man könnte mir nicht mehr vorwerfen«, entgegnete Elsie Chaucer bitter. »Sie brauchen mich doch nicht mehr, Mr. Birn?«
»Setzen Sie sich doch«, befahl er. »Wem haben Sie heute abend Gesellschaft geleistet?«
Sie zögerte einen Augenblick.
»Dem Herrn, den Mr. Welby mir gestern abend vorstellte.«
»Ach so, dem Südamerikaner?« Mr. Birn machte ein langes Gesicht. »Von dem haben wir nicht viel Nutzen, das wissen Sie doch? Fast viertausend Pfund haben wir an ihn verloren!«
»Abzüglich des Diamantrings.«
»Sie meinen den Ring, den er Ihnen geschenkt hat? Nun ja, der ist vielleicht hundert Pfund wert, und ich will froh sein, wenn ich sechzig dafür bekomme«, sagte Mr. Birn achselzuckend. »Sie können ihn übrigens behalten, wenn Sie wollen.«
»Nein, danke«, erwiderte sie ruhig. »Ich brauche solche Geschenke nicht.«
»Kommen Sie einmal her«, sagte Mr. Birn plötzlich.
Widerstrebend erhob sie sich, ging um den Tisch herum und stand nun vor ihm.
Er stand auf und nahm ihre Hand in die seine.
»Elsie, ich habe Sie wirklich gern und bin immer Ihr guter Freund gewesen, wie Sie wissen. Wenn Sie mich nicht gehabt hätten, was wäre dann aus Ihrem Vater geworden? Man hätte ihn an den Galgen gehängt! Das wäre doch schrecklich gewesen, was?«
Sie antwortete nicht und löste nur behutsam ihre Hand aus der seinen.
»Sie hätten es wirklich nicht nötig, diese Schmuckstücke und diese schönen Kleider jeden Abend auszuziehen, wenn Sie vernünftig wären«, fuhr er fort, »und –«