Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace
Читать онлайн книгу.sein Gesicht zuckte vor Aufregung und Nervosität, aber er wagte keinen Widerstand, als Manfred ihm die Handfesseln anlegte.
Die beiden Freunde führten ihn zur Tür, wo der Kleiderhaken befestigt war. Leon steckte das lose Ende der starken Kordel durch die Ösen der Handfesseln und zog die Arme Lynnes straff nach oben über seinen Kopf.
»Nun können wir miteinander reden«, sagte Gonsalez. »Mr. Lynne, seit langer Zeit treiben Sie ein schreckliches und schändliches Gewerbe. Sie haben junge Mädchen, die in manchen Fällen noch Kinder waren, nach Südamerika geschickt. Die Strafe für ein derartiges Vergehen ist Zuchthaus, wie Sie wissen, und außerdem dies.«
Mit diesen Worten nahm er die Peitsche auf und schüttelte die neun Stränge. Mr. Lynne schaute sie entsetzt an.
Gonsalez ließ die »neunschwänzige Katze« durch die Luft sausen.
»Ich schwöre Ihnen aber, daß ich niemals wußte ...«, stieß Lynne hervor. »Sie können es nicht beweisen –«
»Es fällt mir auch gar nicht ein, es in der Öffentlichkeit beweisen zu wollen«, erwiderte Leon. »Ich bin nur hierhergekommen, um Ihnen den Beweis zu erbringen, daß Sie das Gesetz nicht ungestraft übertreten können.«
In diesem Augenblick stellte Manfred das Grammophon an, und das Schmettern der Trompeten und der Donner der Pauken füllten den Raum mit ohrenbetäubendem Lärm.
Der Polizist, der vor wenigen Tagen mit Manfred und Gonsalez gesprochen hatte, ging langsam am Haus vorbei und blieb grinsend stehen. Einer der Nachbarn Lynnes trat zu ihm.
»Was für einen abscheulichen Spektakel das Ding wieder macht«, sagte er verärgert.
»Ja, es ist fürchterlich. Ich glaube, der Mann müßte sich einmal eine neue Platte anschaffen«, meinte der Polizist. »Das klingt so, als ob man einer Katze auf den Schwanz tritt oder als ob jemand um Hilfe schreit.«
»Es hat noch niemals anders geklungen«, brummte der andere und ging weiter.
Auch der Polizist entfernte sich. Aus dem Schlafzimmer Mr. Lynnes aber tönten die sieghafte Melodie der Marseillaise, das Donnern der Kanonen und ein ängstliches Jammern und Schreien, für das man Tschaikowsky nicht verantwortlich machen konnte.
8 Der Mann, der sein Vermögen verspielte
Am Samstagabend ist der Martaus-Klub stets von den elegantesten Leuten besucht, die das Wochenende in der Stadt verbringen. Es gibt dort schöne Tischlampen, deren helles Licht durch farbige Seidenschirme abgedämpft ist, blütenweißes Tischzeug, blitzendes Silber, schöne Gläser und exotische Blumen. Die einzelnen Tische stehen an den Wänden, so daß in der Mitte ein freier Platz bleibt, in dessen glattem Parkettboden sich die Kronleuchter spiegeln.
Junge und alte Leute können sich im Martaus-Klub sehr wohl fühlen – wenn sie das nötige Geld dazu haben. Aber es ist nicht die Höhe der Rechnungen, die der Oberkellner Louis ausschreibt, noch sind es die Preise für den Wein oder das ausgezeichnete Stachelbeerkompott, die jemand ruinieren können.
Mr. John Eder konnte mit Leichtigkeit die Rechnung bezahlen für alles, was er bei Martaus aß. und trank oder rauchte. Und der Klub war wirklich ebenso unschuldig wie amüsant. Niemals wurden in den Räumen Kartenspiele geduldet. Der Oberkellner Louis kannte jedes Gesicht und auch die Geschichte jedes einzelnen Gastes. Mit größter Genauigkeit konnte er angeben, wie hoch die Bankguthaben der Gäste waren, die hier verkehrten.
Mr. John Eder kannte er noch nicht, er war das neueste Mitglied, aber er schätzte ihn vorsichtig und sachkundig ein.
John Eder hatte mit einer fremden Dame getanzt, was bei Martaus nicht üblich war. Es galt dort als Regel, daß man seine eigene Tanzpartnerin mitbrachte.
Aber an dem Abend war Mr. Welby dort. John kannte ihn oberflächlich, obwohl er ihn jahrelang nicht gesehen hatte. Mr. Welby war ein Muster von Eleganz und offenbar eine bedeutende Persönlichkeit. Als er durch den Saal auf ihn zuschritt, fühlte sich John ihm gegenüber wie ein armer Verwandter aus der Provinz. John war acht Jahre in Südafrika gewesen und kam sich jetzt etwas fremd in dem großstädtischen Leben und Treiben vor. Aber Mr. Welby war liebenswürdig und freundlich und bestand darauf, ihm Maggie Vane vorzustellen, eine hübsche junge Dame in prachtvollem Abendkleid. Sie trug reichen Schmuck – ihre Perlenkette kostete allein zwanzigtausend Pfund. Ihre Erscheinung raubte John den Atem, und als sie vorschlug, noch zu Bingley zu gehen, dachte er nicht im Traum daran, zu widersprechen.
Sie gingen durch die Vorhalle, wo sich der Oberkellner Louis zu schaffen machte. Mit einer kleinen Entschuldigung trat er an John heran und bürstete ein Stäubchen von dem Kragen seines tadellos sitzenden Fracks. Dabei flüsterte er ihm mit leiser Stimme etwas zu, so daß es seine Begleiter nicht hören konnten.
»Gehen Sie nicht zu Bingley.«
John sah ihn verwundert an, denn das Benehmen des Mannes erschien ihm ungehörig.
Bis sechs Uhr morgens blieb er bei Bingley und ließ dort Schecks zurück in einer Höhe, die seine gesamten aus Afrika zurückgebrachten Ersparnisse ausmachten, ja noch etwas mehr. Er war nach England zurückgekommen und hatte von einem kleinen Gut auf dem Land geträumt, wo er etwas angeln und auf die Jagd gehen konnte. Auch ein Buch über die Jagd auf Hochwild in Afrika hatte er schreiben wollen. Und alle diese Träume waren zu Ende, als der Croupier mit einem faden Lächeln auf den Lippen mechanisch die Karte umwandte:
»Le Rouge gagnant et couleur!«
Er hatte nicht geahnt, daß Bingley eine Spielhölle war. Zu Anfang hatte das Lokal auch nicht diesen Eindruck gemacht. Erst als ihn dieses schöne Mädchen in die inneren Räume führte, wurde er nervös, denn er sah, daß hier trente et quarante mit hohen Einsätzen gespielt wurde. Er saß an ihrer Seite am Spieltisch, setzte in bescheidenen Grenzen und gewann. Das dauerte an, bis er waghalsiger wurde und seine Einsätze erhöhte.
Man war sehr entgegenkommend bei Bingley. Als er kein Geld mehr zu verspielen hatte, nahm man seine Schecks an, ja man hatte sogar Formulare vorrätig, die er nur auszufüllen brauchte.
John Eder kam zu seiner Wohnung in der Jermyn Street zurück, die unmittelbar über Georges und Leons Zimmer lag, und schrieb einen Brief an seinen Bruder nach Indien ...
Manfred hörte den Schuß und wachte auf. Er kam im Pyjama in das Wohnzimmer und fand Leon bereits dort, der zur Decke emporstarrte.
Manfred eilte auf das Treppenpodest hinaus und fand dort den Eigentümer der Pension, nur mit Hemd und Hose bekleidet. Auch er hatte den Schuß in seiner unteren Wohnung gehört.
»Ich dachte zuerst, es wäre bei Ihnen gewesen«, sagte er. »Dann müssen wir bei Mr. Eder nachsehen.«
Als sie zusammen die Treppe emporstiegen, erzählte er, daß Mr. Eder erst vor kurzer Zeit wieder nach England zurückgekommen sei.
Die Tür war verschlossen, aber der Hausherr hatte einen Schlüssel, mit dem er öffnen konnte. Im Wohnzimmer brannte das Licht noch, und ein Blick sagte Manfred alles, was vorgefallen war. Eine zusammengesunkene Gestalt lag quer über dem Tisch, das Blut tropfte aus einer Wunde in der Brust auf den Fußboden, wo es sich in einer großen Lache angesammelt hatte. Gonsalez untersuchte ihn sofort.
»Er ist nicht tot«, sagte er, »und ich glaube auch nicht, daß die Kugel ein wichtiges Organ getroffen hat.«
Der Mann hatte sich in die Brust geschossen, aber aus der Richtung des Schußkanals sah Gonsalez, daß die Verwundung nicht lebensgefährlich war. Er verband ihn in aller Eile, so gut es ging, und sie legten ihn vorsichtig auf das Sofa. Als diese ersten notwendigen Handreichungen geschehen waren, schaute sich Gonsalez um und entdeckte den Brief, der alles erklärte.
»Mr. Pinner«, wandte er sich an den Hauswirt, »es liegt doch sicher in Ihrem Interesse, daß von dieser Sache nichts bekannt wird? Sie hätten nur Unannehmlichkeiten davon, wenn herauskäme, daß jemand in Ihrer Pension Selbstmord verüben wollte.«
»Das ist das Schlimmste, was mir passieren könnte.«
»Dann werde ich diesen Brief in Verwahrung nehmen. Rufen