Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace

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Edgar Wallace - Gesammelte Werke - Edgar Wallace


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nickte.

      »Ich habe niemals ganz verstanden, welche Zusammenhänge zwischen einer oberflächlichen, aber lebhaft in die Augen fallenden Form religiösen Gebarens und dem Verbrechen bestehen«, sagte Leon stirnrunzelnd. »Wahre Religion entwickelt natürlich nicht die schlummernde Veranlagung zum Verbrecher in einem Menschen, aber es ist eine bekannte Tatsache, daß gewisse Verbrecher in eine sonderbare religiöse Begeisterung geraten. Ferri, der zweihundert italienische Mörder befragte, mußte feststellen, daß sie alle gläubig waren. Und in Neapel, der frömmsten Stadt Europas, werden zugleich die meisten Verbrechen begangen. Zehn Prozent aller tätowierten Verbrecher in englischen Gefängnissen sind mit religiösen Symbolen geschmückt.«

      »Daraus könnte man aber doch nur folgern, daß ein wenig intelligenter Mann, der sich tätowieren läßt, nach Mustern und Bildern verlangt, die ihm vertraut und bekannt sind. Du denkst doch nicht etwa an Dr. Twenden?«

      Leon nickte langsam. »Ja, ich dachte an ihn.«

      Manfred lächelte.

      »Twenden wurde unter allgemeinem Beifall des Publikums freigesprochen, und man jubelte ihm zu, als er den Exeter-Gerichtshof verließ. Und doch war er schuldig!«

      »So schuldig, wie ein Mensch nur immer sein kann. Ich wundere mich, daß du an diesen Fall gedacht hast. Ich habe doch überhaupt nicht mit dir darüber gesprochen.«

      »Ist Dr. Twenden etwa religiös veranlagt?«

      »Das möchte ich gerade nicht behaupten. Ich dachte nur an den frommen Dankbrief, den er schrieb und der in den Zeitungen von Baxeter und Plymouth veröffentlicht wurde – er war so salbungsvoll wie eine Predigt. Von seinem Privatleben weiß ich nur das, was durch die Gerichtsverhandlung bekannt wurde. Du bist davon überzeugt, daß er seine Frau vergiftet hat?«

      »Ja«, antwortete Manfred ruhig. »Ich hatte sowieso die Absicht, heute abend mit dir darüber zu sprechen.«

      Der Prozeß des Dr. Twenden war in der letzten Woche die Sensation für die Zeitungen gewesen. Der Arzt war ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, seine Frau war siebzehn Jahre älter als er. Man nahm allgemein an, daß er sie nur ihres Geldes wegen geheiratet hatte – sie besaß ein jährliches Einkommen von zweitausend Pfund, das aber nur bis zu ihrem Tod gezahlt wurde. Drei Monate vor diesem Ereignis hatte sie dreiundsechzigtausend Pfund von ihrem Bruder geerbt, der in Johannesburg in Südafrika gestorben war.

      Twenden und seine Frau hatten nicht in bestem Einvernehmen gelebt. Die Differenzen zwischen ihnen kamen meistens daher, daß sie seine Schulden nicht länger bezahlen wollte. Nachdem sie die Erbschaft angetreten hatte, setzte sie ein Testament auf und schickte das Konzept zu ihrem Rechtsanwalt nach Torquay. Hierin bestimmte sie, daß ihr Mann nur die Zinsen von zwölftausend Pfund erhalten sollte, und auch das nur, falls er sich nicht wieder verheiraten würde. Den Rest ihres Vermögens wollte sie ihrem Neffen, Mr. Jackley, vermachen, der Ingenieur war.

      Der Rechtsanwalt bereitete ein Schriftstück vor, das all ihren Anforderungen entsprach, und sandte es ihr durch die Post zu. Sie sollte es durchsehen, bevor er das amtliche Dokument ausfertigte. Der Brief kam in Newton Abbott an, wo der Doktor mit seiner Frau wohnte und auch seine Praxis hatte, aber er wurde nicht wieder gesehen. Ein Postbeamter bezeugte, daß er den Brief auf seinem Rundgang etwa um acht Uhr morgens an einem Sonnabend abgegeben hatte. Gerade an diesem Tag wurde Dr. Twenden zu einer Kranken gerufen, die von einer Schlange gebissen worden war, und kehrte erst gegen Abend zurück. Er aß zusammen mit seiner Frau, und es ereignete sich nichts Ungewöhnliches. Der Doktor ging anschließend noch in sein Laboratorium, um die Giftdrüsen der Schlange zu untersuchen, die er herausgeschnitten hatte.

      Am nächsten Morgen war Mrs. Twenden schwer krank, und es zeigten sich bei ihr Symptome, die auf Blutvergiftung schließen ließ. Am Sonntag abend starb sie.

      Bei der Untersuchung fand man eine Stichwunde in ihrem Arm, die von einer Einspritzung herrühren mußte. Dr. Twenden hatte etwa zehn Spritzen in seinem Besitz.

      Sofort fiel ein schwerer Verdacht auf ihn, besonders da er keine anderen Ärzte zu dem Fall zugezogen hatte, bevor jede Hoffnung auf Rettung der unglücklichen Frau geschwunden war. Später wurde bewiesen, daß die Frau an Schlangengift gestorben war.

      Zugunsten des Doktors sprach allerdings die Tatsache, daß an keiner der Spritzen irgendwelche Spuren nachgewiesen werden konnten. Die Dienstboten sowie ein anderer Arzt sagten außerdem aus, daß auf seine Anordnung hin Dr. Twenden seiner Frau zweimal wöchentlich Einspritzungen machte, um sie von ihrem Rheumatismus zu heilen. Es wurde dabei ein neues Serum angewandt, das erst kürzlich entdeckt worden war. An jenem Sonnabend war eine solche Injektion fällig gewesen.

      Er wurde vor Gericht gestellt, aber schließlich freigesprochen. In der Zeit zwischen seiner Verhaftung und seiner Freilassung war er so bekannt geworden wie ein erfolgreicher Politiker oder ein grausamer Mörder. Nach seiner Freisprechung wurde er von begeisterten Leuten auf den Schultern aus dem Sitzungssaal getragen. Sie hatten allerdings weder eine bewundernswürdige Eigenschaft in seinem Charakter entdeckt, noch hatten sie ihn gekannt, ehe er plötzlich in diesen bösen Prozeß verwickelt worden war.

      Wahrscheinlich war die Begeisterung der Menge durch seine Ankündigung von der Anklagebank aus bis zum Siedepunkt erhitzt worden. Er hatte seine Verteidigung selbst geführt.

      »Ob ich nun verurteilt oder freigesprochen werde, nicht einen Pfennig des Vermögens meiner unvergeßlichen Frau will ich anrühren. Ich bin fest entschlossen, dieses unselige Geld den Armen des Landes zu geben. Ich selbst verlasse England und gehe in ein fernes Land, wo ich in einer fremden Umgebung unter Fremden das Andenken an meine liebe Frau, an die Gefährtin und Freundin meiner Tage, pflegen werde.«

      Hier war der Angeklagte mit einem Aufschluchzen zusammengebrochen.

      »Er will also in ein fernes Land gehen«, sagte Manfred, der sich an diese leidenschaftlichen Worte Twendens erinnerte. »Mit dreiundsechzigtausend Pfund kann man allerdings in der Fremde ganz gut leben.«

      Leon unterdrückte ein Lächeln.

      »Ich kann derartig zynische Bemerkungen von dir nicht hören. Hast du vergessen, daß die arme Bevölkerung von Devonshire sich zur Stunde noch den Kopf darüber zerbricht, wie man das Geld am besten anwenden könnte?«

      Manfred lachte verächtlich und las seine Zeitung weiter, aber Leon beschäftigte sich noch mit der Sache.

      »Ich würde doch diesem Twenden gar zu gerne einmal begegnen«, meinte er nachdenklich. »Kommst du mit mir nach Newton Abbott, George? Die Stadt an sich ist ja nicht besonders schön, aber wir haben von dort aus nur eine halbe Stunde Fahrt zu unserem alten Heim in Babbacombe.«

      George Manfred legte die Zeitung endgültig beiseite.

      »Es war ein gemeines Verbrechen«, sagte er düster. »Ich bin ganz deiner Meinung, Leon. Ich habe schon den ganzen Morgen darüber nachdenken müssen. Diese Tat muß irgendwie gerächt werden.

      Aber«, fügte er zögernd hinzu, »erst müssen wir klare Beweise in der Hand haben, die vor Gericht noch nicht vorgebracht wurden. Auf bloße Vermutung hin können wir nicht handeln.«

      Leon nickte.

      »Aber wenn wir Gewißheit haben, dann verspreche ich dir, Manfred, daß ich einen wunderbaren Plan zur Ausführung bringen werde.«

      Am Nachmittag machte er Mr. Fare einen Besuch. Als der Polizeidirektor seine Bitte hörte, war er nicht überrascht.

      »Ich war schon neugierig, wie lange es noch dauern würde, bis Sie sich unsere Gefängnisse einmal ansehen wollten. Ich kann die Sache leicht mit meinen Vorgesetzten besprechen. Welche Anstalt wollen Sie denn besichtigen?«

      »Ein typisches Gefängnis in der Provinz. Was meinen Sie zu Baxeter?«

      »Baxeter liegt aber doch sehr weit von London entfernt«, entgegnete der Polizeibeamte erstaunt. »Es unterscheidet sich auch sehr wenig von Wandsworth, das wir ganz in der Nähe haben, oder Pentonville, unserem Zentralgefängnis.«

      »Trotzdem möchte ich gerne Baxeter sehen. Ich habe nämlich die Absicht,


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