Ingenieure - Status und Perspektiven. Armin Odoleg

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Ingenieure - Status und Perspektiven - Armin Odoleg


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dass sich die meisten „echten“ Probanden der falschen Mehrheits-„Meinung“ anschlossen. Der Effekt war umso stärker, je größer die Gruppe war, die die falsche „längste Linie“ identifiziert hatte. Gehirnuntersuchungen im Computertomographen zeigten danach, dass die falschen Bewertungen unter „Gruppendruck“ tatsächlich als „wahr“ empfunden wurden (so viel zum Thema „Wahrheit“!).

      Der Physiker und Kabarettist Vince Ebert schreibt in einem seiner Bücher im Kapitel: „Warum schließen wir uns so gerne der Mehrheitsmeinung an?“ folgendes: „Offenbar ist der Drang nach Konformität bei uns Menschen so stark ausgeprägt, dass normale, intelligente und aufgeschlossene Menschen unter bestimmten Bedingungen glauben, dass eine blaue Wand grün ist und dass zwei plus zwei fünf ergibt. Deswegen kommen wahrscheinlich in vielen politischen Ausschüssen oftmals so absurde Entscheidungen zustande.“

      In einem anderen Kapitel, die Modeerscheinungen behandeln, welche auch nur „Konformität“ darstellen, schreibt er: „Wir verhalten uns - bewusst oder unbewusst - so, dass unsere Handlungen mit unseren Erwartungen übereinstimmen. So bitter das jetzt ist: unser Gehirn ist gar nicht so sehr an Wahrheit interessiert, sondern es will sich in erster Linie wohl fühlen. Und da wir die Tendenz haben, uns für allwissend zu halten, versucht unser Gehirn im Zweifel alles, um dieses Weltbild zu bestätigen. Deshalb neigen wir dazu, Unsinn zu glauben.“ Zitate Ende.

      Die Versuche zeigen somit, dass das Gehirn darauf programmiert ist (nicht nur „in der Lage“!), eindeutige Fakten zu ignorieren. Es sucht sich immer die „bequemste“ Lösung aus. Unter Anderem zu diesem Zwecke findet man sich in Bürgerinitiativen und Parteien zusammen, denn dort ist es am bequemsten, sich mit Gleichgesinnten die Wahrheit „zurechtzubasteln“. Die Konsequenz findet man u.a. auch im Buch von M. Lütz, mit dem Titel „IRRE – Wir behandeln die Falschen; Unser Problem sind die Normalen“. Auch im Hinblick auf banale Fakten (also nichts hoch psychologisches, das man nicht „greifen“ kann) hat der Autor somit recht.

      Die kognitive Dissonanz treibt seltsame Blüten: Beispielsweise fand ich einen schweren Fehler an einem Bauteil, der sich mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit katastrophal auswirken hätte können. In jedem Falle benötigte ich eine andere Person, die den Sachverhalt unabhängig kritisch prüft und ihn eventuell bestätigt. Zunächst erklärte sich über mehrere Stunden niemand bereit, dies zu tun, obwohl es sich um ein sicherheitsrelevantes Problem (Glossar) handelte und Zeitdruck vorhanden war. Daraufhin hörte ich nach stundenlanger Diskussion darüber das „Argument“: „Das wurde von einer externen Firma gemacht, das kann nicht falsch sein".

      An diesem Argument kann man die unterschiedliche Interpretierbarkeit von Fakten darstellen: Dieses Pseudoargument (Wer diese Arbeit ausgeführt hat, spielt für die korrekte Ausführung keine Rolle) stellt für den Sprecher der Beleg dar, alles richtig gemacht zu haben. Für mich hingegen bestätigte es, dass tatsächlich ein Fertigungsfehler vorlag: Denn ich wusste, dass diese Arbeit sehr komplex war. Und ich wusste auch, dass meine Firma extreme Kommunikationsprobleme hat und somit diesen Arbeitsgang einem Unterauftragnehmer niemals korrekt kommunizieren kann. Was aber für das Thema wichtig ist, dass das Gehirn versucht, Vorurteile „mit Gewalt“ aufrecht zu erhalten und eigene Fehler zu vermeiden, obwohl sie vorhanden sind.

      Mit welcher Vehemenz das Gehirn dies macht, mag folgendes Beispiel verdeutlichen: Ein Freund berichtete, dass es in seiner Firma immer Probleme mit elektrischen Signalen der Sensoren gäbe, die letztendlich die Leistungsabgabe dieser Maschine regeln. Gleichzeitig erklärte er mir, dass die Sache eindeutig ist: Es wurden diese Signalleitungen direkt neben Kabeln verlegt, die mehrere 100 Ampere Strom führen und die mit Frequenzen bis zu einigen Kilohertz „gepulst“ sind. Und da diese Ströme immer den elektrischen und elektromagnetischen Gesetzmäßigkeiten folgen, stören die Pulse mit ihren elektrischen Feldern die Signale in den Leitungen. Dies führte dann dazu, dass die Regelung der Maschinen nicht korrekt funktionierte. Dummerweise hatte genau er auch immer die Beschwerden des Servicepersonals auf dem Tisch. Er hatte seine Theorie, warum die Maschinen diese häufig nicht reproduzierbaren Fehler zeigten, an seine Vorgesetzten weitergeleitet. Diese reagierten nicht und ignorierten seine Lösungsvorschläge. Bis externe technische Berater kamen, die dieses Problem erkannten: die Starkstromleitungen wurden von den Signalleitungen räumlich getrennt und die Signalleitungen wurden alle abgeschirmt (Glossar) ausgeführt. Damit waren die Probleme gelöst11 .

      Für jeden Nichttechniker, der dies liest, wäre die „normale“ Vorgehensweise klar: Man könnte bei den Anlagen, bei denen das Problem häufig auftritt, testen, ob die Probleme durch die vorgeschlagene Lösung beseitigt werden. Die involvierten Personen konnten dies jedoch offensichtlich nicht; sie hätten nämlich zugeben müssen, dass sie Basiskenntnisse einfach nicht besitzen. Und deshalb werden Argumente dieser Art ignoriert. Das Schlimme daran ist, dass Gehirne so programmiert sind, dass sie die plausible Lösung komplett blockieren. Zum Wohle der Sache fordert man offensichtlich am besten das Gegenteil der plausiblen Lösung: in diesem Falle will das Gehirn der anderen involvierten Personen zeigen, dass man Unrecht hat und wählt so die korrekte Lösung.

      Der Autor möchte hier aber davor warnen, dass man die geschehenen Ereignisse liest und sich denkt, wie dumm „die Anderen“ sind. Wenn man die Betrachtung von außen hat, so fällt es relativ leicht, sich ein Urteil zu bilden und neutral zu entscheiden. Im konkreten Falle ist man jedoch Bestandteil dieses Ereignisses und es fällt ungleich schwerer, sich ein halbwegs neutrales Urteil zu bilden.

      Ein Bekannter erzählte mir, dass sein Kollege an der Universität völlig rücksichtslos handelte. Als er sich über diesen beschwerte, hörte er als Gegenargument: "Der kennt doch den Dohnanyi" (Klaus von Dohnanyi war ein Politiker in Hamburg). Hier wird die Dissonanz darüber ausgelöst, dass jemand obrigkeitshörig ist. Dadurch wird dessen Wirklichkeit so geändert, dass sie davon ausgehen, dass Personen, die Prominente kennen, immer alles korrekt machen.

      Ein weiteres Beispiel: In einer Firma sollte ein neues technisches Gerät entworfen und gebaut werden. Es war so, dass das Projekt viel zu eng terminiert war12 . Der „Wasserkopf“ war groß und aus Amerika bekam man etwa alle 14 Tage eine Mail, dass es einen neuen Geschäftsführer („CEO“) gäbe. Ein Kollege berichtete, dass Samstags die Firma für die externen Mitarbeiter eher einem Internetcafé denn einem Engineering13 glich. Fachlich bekam man einige totale Desaster mit. Beispielsweise wurden große Aluminiumstrukturen in Containern über den Atlantik geschickt und es wurde vergessen, die Entfeuchter zu öffnen; das Aluminium war dann durch das Salzwasser so korrodiert, dass man mehrere Millionen DM wegwerfen musste. Oder der Vorstand beschloss etwas, das Millionen kostete und zuletzt in Gerichtsverfahren endete, die dann wieder einen Millionenbetrag verschlangen. Viele Angestellte waren quasi beliebig hoch bezahlt. Diese warnten natürlich nicht. Zudem bekommt man als Angestellter nicht alle Desaster erzählt, da Vorstände diese nicht breittreten. Es gab sicher mehr davon. So weit die Fakten.

      Ich warnte, dass „die Firma pleite geht, wenn die Führung so weitermacht“. Jedem Mitarbeiter meiner Abteilung waren obige Millionendesaster bekannt. Das Gegenargument lautete: „Wir haben doch den Bayerischen Staat als Bürgen, da kann nichts schief gehen“. Die Historie dieser Firma zeigt, welche Argumente valide waren - im Jahre 2002 war sie insolvent. Irgendwann kommt dann der „plötzliche Zeitpunkt“. Dann bekam man von der Belegschaft zu hören, dass „wir doch noch übernommen werden“. Auch hier nutzte die „Rosa Brille“ nichts, die Firma wurde zerschlagen. Interessanterweise haben sich die Kollegen nicht einmal während der Insolvenzphase um einen neuen Arbeitsplatz gekümmert; auch nicht im Ansatz. Als ich diesen empfahl, sich doch um eine Alternativlösung zu kümmern, wurde ich als Störfaktor empfunden.

      Daraus lernt man, dass Dinge nicht existieren, die man sich nicht vorstellen kann. Sie werden vom Gehirn komplett „ausgeblendet“. Es heißt ja auch: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“. Die meisten Gehirne gehen in eine „Streikposition“, wenn es darum geht, bedrohliche Konsequenzen (relativ) neutral zu bewerten.

      Ein Kollege, Elektrotechniker, fuhr gerne Fahrrad und präsentierte seinen Naben-Dynamo. Er fand diesen toll und argumentierte: „Ich spüre auch gar nicht, wenn er angeschaltet ist“. Für ihn war das ein Zeichen dafür,


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