Wandlerin zwischen den Welten. Bianca Wörter

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Wandlerin zwischen den Welten - Bianca Wörter


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heisere Schmerzensschreie hinter mir hörte. Würde ich es erkennen können? Es offenbarte sich mir nur als Schatten. Als gewaltiger, durchaus reeller und todbringender Schatten, verbesserte ich mich in Gedanken.

      Ich rannte weiter, die endlosen Gänge, die immer wieder nach rechts oder links abbogen, oder sich in mehrere Richtungen verzweigten. Es war wie in einem Labyrinth und ich war noch nie gut darin gewesen, schnell einen Ausgang zu finden. Erst, wenn ich schon zum hundertsten Mal an der gleichen Stelle vorbeigekommen war, dann erst verstand ich, dass dies wirklich der falsche Weg gewesen war. Ich kam mir vor wie in einem Computerspiel, das ich noch nicht kannte - doch dieses Spiel war für mich tödlicher Ernst.

      Das Schicksal musste endlich doch Einsicht mit mir gehabt haben, denn ich kam an einen Gang, der zu einer Treppe führte.

      Verblüfft blieb ich stehen, als ich am Ende der Treppe angekommen war: Ich befand mich in einem Schiff, das in einer riesigen Lagerhalle auf Trockendeck lag!

      Die Masten mit den Segeln und Tauen tauchten vor mir auf und ich musste meinen Kopf tief in den Nacken legen, um die Aussichtsplattform zu erkennen - ein kleiner Korb, in dem ich mich wunderbar verstecken konnte! Ich sah höher zu dem Dach der Lagerhalle hinauf und bemerkte, dass sie sich in keinem guten Zustand befand - überall prangten riesige Löcher, zum Teil so groß, dass ein Kleinwagen ohne Probleme hindurchgepasst hätte. Hinter den Löchern erkannte ich den Himmel. Es war wohl ein sehr bewölkter Tag. Nebel waberte in Schwaden über das Dach. Wahrscheinlich würde es auch bald zu regnen beginnen. Aber das war mir im Moment herzlich egal, Hauptsache ich würde in Sicherheit sein. In vermeintlicher Sicherheit, denn ich wusste nicht, ob das Ungeheuer mich hier finden würde. Aber eine relative Chance war besser als keine und ich wollte sie nutzen. Noch zögerte ich, doch die Entscheidung wurde mir leichter gemacht, als ich mir gewünscht hätte, denn ich vernahm hinter mir die charakteristischen Geräusche des Ungeheuers - sogar der Boden schwankte unter den schwerfälligen Tritten des Schattenwesens. So schwerfällig es sich auch anhörte, ich machte nicht den Fehler, es zu unterschätzen, denn ich ahnte intuitiv, dass es sich flink wie ein Gepard bewegen konnte. Im Moment musste es seine Geschwindigkeit nicht unter Beweis stellen, denn es war sich seiner Beute sicher. Seine Opfer konnten oder wollten nicht entkommen, es konnte sich Zeit lassen. Ich konnte mir keine Zeit lassen, denn wenn es mich in den Momenten sah, in denen ich den Mast zu dem Korb herauf klettern würde, dann konnte das Versteck noch so gut gewesen sein, es würde mir nichts mehr nutzen.

      War es schon auf meiner Spur, so schnell schon? Dann fiel mir wieder ein, wie lange, wie unendlich lange ich durch den Irrgarten im Bauch des Schiffes herumgerannt war. Sollte ich mich gleich kampflos ergeben?

      Es kam schnell näher.

      Nein!

      Ich wollte kein schnelles Ende, ich wollte überhaupt kein Ende!

      Ich hatte eine Chance erhalten und wollte sie nutzen, auch wenn ich vor Angst kaum mehr stehen, geschweige denn klettern konnte.

      Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis sich meine Beine nicht mehr dem mentalen Befehl meines Gehirnes widersetzten, aber ich hatte es endlich geschafft, dass sie sich bewegten und diese kleine Bewegung riss mich aus meiner beginnenden Lethargie.

      Ich hatte wieder den Mut zum Kämpfen gefunden.

      Kämpfen klang gut - ich flüchtete!

      Tau um Tau kletterte ich hoch, schlang meine Arme und Beine um den Mast, zog mich Meter um Meter hoch zu meinem Versteck und bemerkte, dass mir die Angst Flügel verlieh. Ich ergriff weiter oben Seile, fand die nächste Stelle für meinen Fuß, zog mich ein Stück höher, griff wieder nach oben, fand das nächste Tau und hangelte mich in schwindelerregende Höhen. Meine Muskeln schmerzten ob dieser ungewohnten Belastung, doch das Adrenalin in meinem Körper versorgte mich mit zusätzlicher Energie, fand alle Reserven, die in meinem Körper vorhanden waren und setzte sie in die ewig nach oben strebende Bewegung um.

      Immer wieder sah ich mich nach unten, nach hinten um und instruierte mir, dass, wenn ich auch nur den kleinsten Schatten des Ungeheuers sehen würde, ich mich in den Seilen zusammenkauern und hoffen würde, dass es mich übersah.

      Was dachte ich denn da, ermahnte ich mich erneut, der Schatten WAR das Ungeheuer, ich musste mich schon zusammenkauern, wenn ich es nur im Entferntesten fühlen, spüren würde! Ich hatte zu laut gedacht, denn als ich mich das nächste Mal nach unten umsah, zurück zu der Treppe, die ich hoch gerannt war, erkannte ich einen Schatten!

      Ich erstarrte vor Todesangst, hatte nicht einmal mehr die Kraft, noch den Mut mich in den Seilen ganz klein zu machen.

      Der Schatten wuchs und wuchs und plötzlich konnte ich zwei mit weißen Federn besetze Füße, Beine, dann einen ganzen Körper erkennen.

      Ein junger Mann stand dreißig Meter unter mir und schien keine Angst zu haben, dass das Ungeheuer plötzlich hinter ihm auftauchen könnte. Er sah mir direkt in die Augen und ich erwiderte seinen Blick. War ER das Ungeheuer? Nein, ich spürte keine dunkle Aura um ihn. Wer war er dann? Hinter seinem Rücken wuchs ein riesiger Schatten an, der sich links und rechts von ihm ausbreitete und ich hätte beinahe geschrien, bis ich genauer hinsah und meinen Augen nicht mehr traute: Die Schatten, weiße Schatten, schienen weiter zu wachsen, aber in Wirklichkeit breitete er seine Flügel, die er hinter seinem Rücken zusammengefaltet hatte, vorsichtig aus und schlug ganz leicht mit ihnen.

      Er sah so aus, wie ich mir als Kind immer einen Engel vorgestellt hatte, mit weißen, weichen und doch kraftvollen, federbesetzten Flügeln.

      Er trat einen Schritt vor, schlug heftiger mit den Flügeln und erhob sich scheinbar mühelos in die Luft. Ich erkannte, dass sein gesamter Körper, außer sein Gesicht, mit diesen herrlich weißen Federn besetzt war.

      Er erhob sich immer weiter, schwebte vor mir und fragte: "Willst du mit mir kommen?"

      Ich nickte stumm.

      Er unternahm noch nichts und setzte wieder zu sprechen an: "Wirst du dann meine Frau?"

      Ich ließ vor Schreck fast das Tau los, an dem ich mich immer noch krampfhaft festklammerte, doch ich hatte noch nicht vergessen, in welch schrecklicher Situation ich mich befand. Ich konnte dem Ungeheuer nicht entkommen und selbst, wenn es mich in diesem Korb nicht fand, irgendwann musste ich wieder herunter kommen, musste etwas essen, trinken, ich konnte nicht bis in alle Ewigkeit in diesem Versteck bleiben, sonst würde ich elendiglich zugrunde gehen.

      Aber wieso nutzte der Mann meine Situation so schamlos aus? Wollte er mir nun helfen, oder nur einen Vorteil aus der Situation erhalten? Ich betrachtete den Mann genauer und musste zugeben, dass mir sehr gefiel, was ich sah. Es war mein Germane, wie ich ihn mir immer in meinen Tagträumen vorgestellt hatte. Nur dass er mich so gewinnen wollte, ließ mich an seinem Charakter zweifeln.

      Aber ich antwortete: "Ich werde deine Frau. Sehr gern."

      Das war die richtige Antwort gewesen - der geflügelte Mann lächelte mich an, flog hinter mich, fasste mich vorsichtig, aber dennoch fest um meine Taille und ich fühlte seinen warmen, weichen Körper an meiner Rückseite. Vertrauensvoll kuschelte ich mich bei ihm ein, ließ die Taue los und schwebte in der Luft.

      Das herrliche Gefühl, das an einen Höhepunkt grenzte, ließ sich nicht beschreiben, doch es war faszinierend, wie ich, von dem Mann fest umklammert, durch die Lüfte schwebte und diese mir unbekannte Schwerelosigkeit empfand. Als ich nach oben blickte, flogen wir gerade durch eines der gewaltigen Löcher des Daches der Lagerhalle.

      Der Tag war trüb, aber die Sonne kämpfte sich nach und nach einen Weg durch den Hochnebel. So wirkte die gesamte Umgebung wie in ein unwirkliches Licht getaucht, das mich die neu entdeckte Schwerelosigkeit in einer solchen Intensität erleben ließ, dass ich dachte, ich müsste vor Glück sterben. Ich kostete das Gefühl voll aus, vergaß die Gefahr, in der ich mich befunden hatte, und aus der ich von einem wunderbaren Geschöpf gerettet wurde. Die Sonne schickte ihre goldenen Strahlen auf einen Fluss vor uns. Diese gebrochenen Strahlen rührten mich unendlich, ich merkte, wie Tränen über meine Wangen liefen. Der Mann hinter mir drückte mich an sich und küsste mich leicht auf den Hals.

      "Danke",


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