Handbuch der Kunstgeschichte. Springer Anton

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Grundlage wegen unserer lückenhaften empirischen Kenntnisse erst der Zukunft vorbehalten. Seit einem Menschenalter hat sich die Summe der kunstgeschichtlichen Thatsachen mindestens verdoppelt, in Niniveh ist eine neue Kunstwelt aus dem Schutte herausgegraben worden, in Bezug auf die ägyptischen Denkmäler haben wir kaum erst den Standpunkt der staunenden Neugierde verlassen, ja selbst hinsichtlich der doch so vielfach bearbeiteten griechischen und mittelalterlichen Kunst befinden wir uns erst im Zeitalter der Entdeckungen. So lange dieselben nicht abgeschlossen sind, bleibt unsere kunstgeschichtliche Erkenntniss fragmentarisch, ganz abgesehen von den Schwierigkeiten, welche auch dann noch die verschiedene ästhetische Wertschätzung der Denkmäler der exakten Behandlung der Wissenschaft entgegenstellen wird.[1]

      §. 2.

      Gleich die erste Frage nach den Anfängen der Kunstthätigkeit, nach dem historischen Ursprunge der Kunst, lässt keine vollkommen genügende Antwort zu. Es lässt sich nicht der Zeitpunkt, auch nicht das Volk angeben, welches zuerst seiner Phantasie einen äusseren Ausdruck verlieh, Kunstwerke schuf. Jene Kunstthätigkeit, welche wir als den Anfang unserer Kunst zu betrachten gewohnt sind, d. h. in welcher die antike und weiter die mittelalterliche Kunst wurzeln, wie etwa die assyrische oder die ägyptische, setzt selbst wieder eine längere Kunstübung voraus, und ist keineswegs der absolute Anfang der Kunst. Jene rohen formlosen Produkte der unentwickelten Volksphantasie hingegen, welche in Wahrheit den ersten und ursprünglichsten Kunstregungen beigezählt werden müssen, stehen wieder weder räumlich noch zeitlich mit den folgenden Entwicklungsstufen im Zusammenhange. Eine streng geschichtliche Ableitung des späteren vollendeten Kunstlebens im Oriente aus den ersten Keimen und Ansätzen zu Kunstschöpfungen ist daher nicht möglich. Immerhin lässt sich aber der Ursprung und der stetige Entwicklungsgang der Kunst versinnlichen, wenn man von folgenden verhältnissmässig richtigen Voraussetzungen ausgeht: Das eigenthümliche Wesen, welches die Kunstthätigkeit der einzelnen Völker und der verschiedenen Zeitalter offenbart und welches auf die verschiedenen geographischen Einflüsse, auf die mannigfaltige Volksnatur, auf die bald so, bald anders gestaltete historische Stellung, Tradition u.s.w. zurückgeführt werden muss, besteht am Anfange des Kunstlebens nicht. Der Ursprung und die erste Entwicklung der Kunst ist bei allen Völkern die gleiche. Wenn wir also auch bei den Völkern, welche am frühesten eine höhere Kunstentwicklung besitzen, auf die wahren und ursprünglichen Kunstanfänge nicht stossen, so können wir doch die letzteren von anderen Volksstämmen borgen, bei welchen es bei dem blossen Anfange und Ansatze blieb, welche nach Jahrtausenden noch die Bildungsstufe wiederholen, die in anderen Räumen, unter günstigeren Verhältnissen schon längst überwunden und vergessen ist.[2]

      §. 3.

      Dürftig und armselig genug sind die Anfänge der Kunst. Um sie kennen zu lernen, müssen wir namentlich an der Hand neuerer Reisenden ferne Räume durchschweifen, die Kunsterzeugnisse der Polarnomaden, der Südseeinsulaner mit den Spuren altamerikanischer Bildung, mit den Resten celtischer Denkmäler bunt mischen, die Bibel, Homer, Herodot mit modernen Antiquaren und Geographen vergleichen. Eine Phantasiethätigkeit in dem später gültigen Sinne des Wortes ist nicht vorhanden; die Stelle von Kunstwerken vertreten einfache Erinnerungszeichen und Gedächtnissmale. Zufällig und äusserlich stehen sie mit Gedanken in Verbindung, der Inhalt wird willkürlich in sie hineingetragen, nicht mit Nothwendigkeit aus ihnen herausgeschaut, die Form und Gestalt ist nicht frei gebildet, oft nur zufällig gefunden, oder wenigstens ganz nothdürftig unter der menschlichen Hand umgearbeitet; das Seltsame, Schreckenerregende reizen die Sinnlichkeit mehr, als das einfach Schöne und Erhabene, und bilden die ersten ästhetischen Kategorien. Dazu kommt noch die Unfähigkeit, die einzelnen Kunstgattungen zu trennen und jede derselben mit festen Grenzen zu umschreiben. Plastische und architektonische Werke gehen unvermerkt ineinander über, im Angesicht einzelner Kunstprodukte ist die Entscheidung, ob sie zur Architektur oder Bildnerei gerechnet werden sollen, oft eben so schwierig, wie die Einordnung niedrigst gestellter Organismen unter das Thier- oder Pflanzenreich. Die Malerei besteht zuerst als wirkliche Bildschrift; die Architektur begnügt sich mit der Nachbildung ungegliederter Naturkörper, wie Hügel, so dass auch das Natur- und Kunstprodukt unterschiedslos ineinanderfallen. Die nächsten Stufen über die rohen Massenbauten, Bildsteine und Bildschriften hinaus zeigen dann nicht den Fortgang zur übersichtlichen architektonischen Gliederung, zur ausdrucksvollen, scharfen Körperbildung, sondern erdrücken die Grundformen durch überladene Zierathen. Ehe noch Architektur und Plastik eine höhere Entwicklung erklimmen, blüht schon eine üppige, nicht selten vollendete Ornamentik. Sie ist der Ausdruck der aus der ursprünglichen Erstarrung erwachten, unruhig gewordenen Phantasie, welche sich noch nicht zum klaren Ernste gesammelt hat, in ein endloses Spiel sich verläuft, durch äusseren Glanz und Reichthum blenden will. Ueber diese und ähnliche Entwicklungsstufen hinauszukommen, gelingt nicht allen Völkern. Wo aber günstige geographische Bedingungen die regsame Volksnatur unterstützen, da zeigt sich auch bald eine Scheidung der Kunstgattungen, und in jeder derselben eine stetige, innere Entwicklung, die Kunstwerke reden eine offene Sprache, und verbergen nicht ihren Gedankengehalt hinter einer fremdartigen, zufälligen Form, sie tragen das Gepräge einer individuellen Schöpfung an sich, und streben deutlich die Schönheit, die beseelte Form an. Dann erst stehen wir nicht mehr in der Vorhalle, sondern im innersten Heiligthume der Kunst.

      §. 4.

      Auf dem Gebiete der Baukunst gewahren wir die ersten und einfachsten Spuren künstlicher Thätigkeit. Einfachere, gleichzeitig aber auch rohere Kunstwerke als die gewöhnlich über einem Grabe oder zu Ehren Verstorbener errichteten Erdhügel, tumuli, lassen sich nicht mehr denken.[3] Dies erklärt auch ihre Verbreitung über den ganzen Erdkreis, selbst bei den ungebildetsten Völkern. Bei den Kaffern und Hottentotten wollen sie Sparmann und Barrow bemerkt haben, wie Pallas bei den Samojeden, Ostiaken; sie kommen in Syrien (bei Aleppo), in den Steppen der Ukraine, in Skandinavien, Böhmen, im westlichen Europa vor und werden jenseits des Ozeans in endloser Zahl von den grossen Seen im Norden angefangen durch das Stromgebiet des Mississippi bis zum La Platastrom gefunden. In Ohio allein zählt man an zehntausend; rückwärts in unserer Geschichte begegnen wir denselben in der Bibel, in der Ilias und Aeneide; neben den Pyramiden dienten sie den Bewohnern von Meroe als Grabdenkmal, sie waren den alten orientalischen Völkern eben so wohl bekannt, als den Griechen und Italienern. Sie bilden die unterste Kunststufe, wenn sie vereinzelt, oder in unregelmässigen Haufen stehen und aus blosser Erde aufgeschüttet sind. Als Fortschritt muss man die Benützung von grösserem Gestein zu ihrer Errichtung, ihren Bau aus Werksteinen anstatt der blossen Erdanhäufung (wie z. B. bei den tumuli in Afghanistan), und endlich die regelmässige Gruppirung derselben betrachten. Eine solche soll nördlich vom Nicaraguasee bei Juigalpa entdeckt worden sein. Viele Meilen weit angelegte Laufgraben erweitern sich in Zwischenräumen zu elliptisch ausgehöhlten Plätzen, welche in regelmässigen Abständen mit 5–6 Fuss hohen Steinhügeln besetzt sind.[4] Hier bilden die tumuli also nur ein einzelnes Glied eines grösseren Bauwerkes. Auch die tumuli in Afghanistan sind in den meisten Fällen Nebenbauten, welche nebst Felsenhöhlen das Zugehör zu den gleich näher zu beschreibenden Topen bilden. Dass ihre Errichtung nicht in eine arische Urzeit zu legen ist, zeigt bereits ihre gegliederte Form. Sie zerfallen in einen Unterbau und eine Kuppel, wie der nebenstehende Durchschnitt (Fig. 1) ergibt, und bergen im Innern oft regelmässig angelegte Kammern. Ueberhaupt ist der kegelförmige Stein oder Erdhügel der Ausgangspunkt für zahlreiche Bauwerke, namentlich im Oriente, so zunächst für die Tope oder Stupa, in Indien, besonders häufig angetroffen westlich vom Indus, zwischen Peschaver und Kabul.[5] Seit der ersten Entdeckung einer Tope 1794 bei Benares und namentlich seit der Gesandtschaftsreise Elphinstones nach Kabul 1808 hat sich die Kenntniss dieser Bauten vielfach erweitert. Eine Tope besteht aus einem cylindrischen Körper, welcher auf einer breiten Plattform aufsitzt und in einer meist gedrückten Kuppel endigt. Ob sich über der letzteren nicht noch ein thurmartiger Aufsatz erhob, lässt sich an den vorhandenen Topen nicht ermitteln, ist aber durch die Vergleichung mit kleinen im Inneren der Topen aufgefundenen Specksteinmodellen wahrscheinlich gemacht. Der cylindrische Mittelkörper — das unterscheidende Merkmal einer Tope vom Tumulus —


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