Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Ðртур Шницлер
Читать онлайн книгу.ja, bei seinesgleichen zu Gaste wäre. Immerhin meldete sich Therese noch einige Male auf Anzeigen hin, in denen ein Kindermädchen oder eine Erzieherin gesucht wurde, aber im ganzen betrieb sie die Angelegenheit mit einiger Lässigkeit. Was sie in Wahrheit in Salzburg noch festhielt, – das gestand sie sich nicht ein.
17
An einem Regentag im Abenddämmer stand Therese in der Einfahrt des Postgebäudes und las den eben an sie gelangten Antwortbrief einer Dame aus Wien, als sie jemanden hinter sich sagen hörte: »Guten Abend, mein Fräulein.« Sie hatte die Stimme gleich erkannt; ein köstlicher Schauer floß ihr durch den Leib, und ohne das Wort auszusprechen, es nur zu denken, fühlte sie mit ihrem ganzen Wesen: Endlich. Sie wandte sich langsam um, lächelte dem Leutnant entgegen wie einem längst Erwarteten, und es war zu spät, als sie sich besann, daß sie lieber nicht so glückselig hätte lächeln sollen. 51 »Ja, da bin ich«, sagte der Leutnant leichthin, ergriff Theresens Hand und küßte sie gleich ein paarmal hintereinander. »Seit einer Stunde bin ich zurück, und das erste menschliche Geschöpf, das mir begegnet, sind Sie, Fräulein Therese. Wenn das nicht ein Wink des Schicksals ist« … und er behielt ihre Hand fest in der seinen. – »Also schon aus, die Manöver?« fragte Therese, »das ist aber geschwind gegangen.« – »Eine Ewigkeit war ich fort«, sagte der Leutnant. »Sollten Sie das gar nicht gemerkt haben?« – »Wahrhaftig, nein, es können doch höchstens acht Tage gewesen sein.« – »Einundzwanzig Tage und einundzwanzig Nächte, und in jeder habe ich von Ihnen geträumt. Bei Tag übrigens auch. Soll ich Ihnen erzählen, was?« – »Ich bin nicht neugierig.« – »Aber ich bin’s im höchsten Grade. Und daher möchte ich für mein Leben gern wissen, was in dem Brieferl da steht, das man sich so geheimnisvoll von der Post abgeholt hat.«
Sie hielt den Brief noch in der Hand, nun knitterte sie ihn zusammen, verbarg ihn in der Tasche ihres Regenmantels und blickte dem Leutnant lustig-verschlagen ins Auge. »Aber hier, glaube ich,« sagte der Offizier, »ist nicht der rechte Ort, um sich miteinander auszuplaudern. Wollen das gnädige Fräulein nicht einen armen verregneten Leutnant unter Ihre Fittiche nehmen?« Er nahm ihr den Schirm ohne weiteres ab, spannte ihn über sie beide, schob seinen Arm unter den ihren, trat mit ihr ins Freie und ging mit ihr im strömenden Regen weiter und begann zu erzählen. Er sprach von seinen Manövererlebnissen, vom Kampieren im Freien auf dreitausend Meter Höhe, von dem Sturm auf einen Dolomitengipfel, von der Gefangennehmung 52 einer gegnerischen Patrouille – er war selbstverständlich bei der siegreichen Armee gewesen; – und indes gingen sie immer weiter durch die menschenleeren, schwach beleuchteten Straßen, bis sie in einer engen Gasse vor einem alten Hause standen, wo er ihr wieder, als sei daran gar nichts Besonderes, vorschlug, bei ihm, um nicht vor Nässe am Ende krank zu werden, eine Tasse Tee mit recht viel Rum zu trinken. Aber da kam sie zur Besinnung. Wofür er sie denn eigentlich halte? Und ob er vollkommen verrückt sei? Und als er seinen Arm um sie legte, wie wenn er sie mit sich ziehen wollte, blitzte sie ihn an: ob er denn Lust habe, es sich ein für allemal mit ihr zu verscherzen? Da ließ er sie los und versicherte sie, er wisse wohl, ja, er habe es gleich bemerkt, daß sie ein ganz besonderes Geschöpf sei. Und seit er sie gesehen, habe er an kein anderes weibliches Wesen mehr denken, ja, überhaupt kein anderes mehr ansehen können. Und auf die Gefahr hin, sich lächerlich zu machen: er würde von nun an Abend für Abend Punkt sieben Uhr hier vor dem Tore stehen und warten. Warten so lange, bis sie käme. Und wenn er zehn Jahre lang hier jeden Abend stehen müßte. Ja, das schwöre er hoch und heilig bei seiner Offiziersehre. Und wo immer er ihr in der Stadt begegnete, er würde mit einem höflichen Gruß an ihr vorbeigehen, aber keineswegs das Wort an sie richten, es sei denn, sie selbst gäbe ihm durch ein Zeichen die Erlaubnis dazu. Nur hier, am Tor, werde er stehen – sie solle sich für alle Fälle die Hausnummer merken, siebenundsiebzig, – Abend für Abend, Punkt sieben Uhr. Er habe ja nichts anderes zu tun. Seine Kameraden, es waren ja ganz liebe Kerle darunter, aber sie konnten ihm alle gestohlen werden. 53 Eine Freundin habe er nicht, oh, schon lange nicht mehr, setzte er auf Theresens ungläubiges Lächeln hinzu; und wenn sie, – wenn sie nicht um sieben Uhr zur Stelle sein sollte, so würde er eben auf sein Zimmer gehen, dort oben im zweiten Stock, – er wohnte ganz allein bei einer alten Frau, die überdies ganz taub sei, und dort oben, in seinem gemütlichen Zimmer, würde er seinen Tee trinken, ein Butterbrot essen und Zigaretten rauchen – und weiter hoffen – bis zum nächsten Abend. – »Ja, hoffen Sie nur bis zum jüngsten Tag«, rief Therese allzu hell, und da es eben neun Uhr von den Türmen schlug, wandte sie sich und eilte davon, ohne ihm nur die Hand zu reichen.
Am nächsten Abend aber huschte sie am Tor vorüber, genau um sieben; er stand da, im Flur, eine Zigarette rauchend, die Kappe in der Hand, wie an jenem Tag, da sie ihn zum erstenmal gesehen, und die gelben Aufschläge seines Waffenrocks leuchteten so hell, als wären es die schönsten Farben in der ganzen Welt. Und auch seine Augen, sein ganzes Gesicht leuchtete auf. Hatte er ihren Namen geflüstert oder nicht? – sie wußte es kaum. Jedenfalls nickte sie, trat zu ihm ins Tor, und in seinen Arm geschmiegt ging sie die enge, gewundene Steintreppe mit ihm hinauf bis zu einer breiten, dunkelbraunen Holztüre, die nur angelehnt war, hinter ihnen beiden aber, wie durch einen Zauber, geräuschlos sich schloß.
18
Sie hielten ihr Glück geheim. Niemand in der Stadt wußte, daß Therese Abend für Abend über die dämmerige Treppe in die Wohnung des Leutnants schlich, 54 niemand sah sie ein paar Stunden darauf das Haus wieder verlassen; und wer sie etwa gesehen, erkannte die Verschleierte nicht. Auch die Mutter, in ihre Arbeit völlig eingesponnen, merkte nichts oder wollte nichts merken. Frau Fabiani war von einem großen illustrierten Journal in Deutschland aufgefordert worden, einen Roman zu liefern, was sie Theresen mit stolzer Genugtuung mitteilte, und saß nun ganze Tage und halbe Nächte lang unablässig schreibend hinter versperrter Türe. Die Sorge um die bescheidene, jetzt wieder fast ärmliche Wirtschaft blieb Theresen allein überlassen; doch Mutter und Tochter legten zu dieser Zeit auf die Befriedigung äußerlicher Bedürfnisse noch weniger Wert als sonst.
Von Alfred kamen indes Tag für Tag Briefe voll Zärtlichkeit und Leidenschaft, die Therese auch ihrerseits viel zärtlicher und leidenschaftlicher beantwortete, als sie früher überhaupt fähig gewesen wäre. Sie war sich dabei keiner Lüge bewußt, denn sie liebte Alfred um nichts weniger als vorher, ja, manchmal wollte ihr scheinen, mehr als zur Zeit, da er ihr noch nahe gewesen war. Die Worte, die zwischen ihnen brieflich hin und her gingen, hatten mit dem, was Therese zu gleicher Zeit wirklich erlebte, so gar nichts zu tun, daß sie sich sowohl dem einen als dem anderen Liebenden gegenüber von jeder Schuld frei fühlte.
Im übrigen ließ Therese ihre Tage nicht ungenützt verstreichen und bildete sich, ihrer Zukunftspläne keineswegs vergessend, weiter im Französischen, im Englischen und im Klavierspiel aus. Abends besuchte sie öfters auf Karten, die ihr Max zu schenken pflegte, das Theater, meist in Gesellschaft ihrer Mutter, 55 die sich um die Herkunft der Billetts nicht kümmerte. Max nahm an solchen Abenden gewöhnlich seinen Platz in der ersten Reihe ein, und getreu der getroffenen Abmachung sandte er Theresen, die mit der Mutter weiter rückwärts zu sitzen pflegte, nicht einmal einen Gruß. Nur manchmal lächelte er mit halbgeschlossenen Spitzbubenaugen über sie hin, und sie wußte, daß dieses Lächeln eine Erinnerung an den vorigen oder ein Versprechen für den nächsten Abend zu bedeuten hatte.
Für Therese waren diese Theaterbesuche eine willkommene Zerstreuung, für die Mutter eine Quelle von Anregungen und Erregungen der verschiedensten Art. Es geschah ihr nicht nur, daß sie in den vorgeführten Dramen zufällige Ähnlichkeiten mit eigenen Erlebnissen oder solchen, die sich in ihrer Nähe zugetragen, zu erkennen glaubte; sie entdeckte auch offenbare Anspielungen, die der ihr vollkommen unbekannte oder auch schon verstorbene Autor in sein Werk hatte einfließen lassen oder die vielleicht sogar von der Theaterdirektion mit Rücksicht auf die berühmte Romanschriftstellerin eingefügt worden waren; und sie verfehlte nicht, bei solcher Gelegenheit die neben ihr sitzende Therese durch verständnisheischende Blicke auf solche merkwürdige