Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Ðртур Шницлер
Читать онлайн книгу.Augenblick: Fort, nur fort. Heute noch, gleich, ihm nach. Die paar Gulden für die Reise borg’ ich mir aus – Klara hoffentlich …
Sie verließ das Haus, bald stand sie unter den Fenstern, hinter denen ihre Freundin wohnte, aber sie konnte sich kein Herz fassen, die Treppen hinaufzugehen. Übrigens waren die Vorhänge heruntergelassen, vielleicht waren Traunfurts aus der Sommerfrische noch nicht zurück. Doch da trat Klara aus dem Haustor, 45 hübsch und adrett gekleidet wie immer, hold und unschuldig anzusehen, begrüßte Therese mit übertriebener Herzlichkeit und war gleich bei den Themen, die sie am meisten liebte. Ohne etwas Bedenkliches oder gar Unanständiges in Worten auszudrücken, spielte unter dem, was sie sagte, eine ununterbrochene Welle zweideutiger Gedanken. Nachdem sie beiläufig bedauert, daß man jetzt so gar nicht mehr zusammenkomme, erwähnte sie gleich die Familie Nüllheim, in einem Ton, der Therese nicht zweifeln ließ, daß die Freundin ihre Beziehungen zu Alfred für anders geartet hielt, als sie in Wirklichkeit waren. Therese, nicht verletzt, sondern nur im Gefühl ihrer Unschuld, klärte Klara auf, worauf diese einfach und fast etwas verächtlich bemerkte: »Wie kann man so dumm sein.« Eine bekannte Dame näherte sich, und Klara verabschiedete sich auffallend rasch von Theresen. –
Abends zu der Stunde, in der Therese sonst mit Alfred zusammenzukommen pflegte, versuchte sie ihm zu schreiben. Sie wunderte sich, wie schwer es ihr von der Hand ging, und so ließ sie sich an ein paar flüchtigen Worten genügen: daß sie noch viel unglücklicher sei als er, daß sie keinen anderen Gedanken habe als ihn allein und daß sie hoffe, Gott werde alles zum Guten wenden. –Sie trug den Brief auf die Post, ach, sie wußte, daß es ein dummer und unaufrichtiger Brief war, ging gleich wieder heim, vermochte nichts Rechtes anzufangen, nahm eine Handarbeit vor, versuchte zu lesen, spielte Skalen und Läufe, endlich, unruhig und gelangweilt zugleich, blätterte sie in den Zeitungsnummern, die den Roman ihrer Mutter enthielten. Was war das für eine abgeschmackte Geschichte, und mit welch 46 hochtrabenden Worten war sie erzählt. Es war der Roman einer adeligen Familie. Der Vater war ein harter, strenger, aber doch großherziger Magnat mit dicken Augenbrauen, von denen immer wieder die Rede war, die Mutter sanft, wohltätig und kränklich, der Sohn ein Spieler, Duellant, Verführer, die Tochter engelrein und blond, eine wahre Märchenprinzessin, wie sie auch immer wieder genannt wurde; ein düsteres Familiengeheimnis harrte der Lösung, und irgendwo im Park, ein uralter Diener wußte das, lag von der Türkenzeit her ein Schatz vergraben. Es gab auch manches sinnige Wort über Frömmigkeit und Tugend in dem Werk zu lesen, und kein Mensch hätte der Schreiberin zutrauen können, daß sie es darauf angelegt hatte, ihre Tochter an einen alten Grafen zu verkuppeln.
16
Am nächsten Tag kam wieder ein Brief von Alfred, und so weiter Tag für Tag. Er berichtete, wie der Vater ihn am Bahnhof erwartet, ihm ein Zimmer in der Alservorstadt, in der Nähe der medizinischen Lehranstalten, gemietet habe, mit ihm Museen und Theater besuche; und wie aus des Vaters ganzem Benehmen hervorgehe, daß er etwas zu ahnen scheine. So habe er einmal während des Abendessens im Restaurant davon gesprochen, daß sich junge Leute gern allerlei in den Kopf setzten, was am Ende doch nicht durchzuführen sei, auch er habe in der Jugend dergleichen durchgemacht und natürlich überwunden; was allem vorangehe, das sei eben die Arbeit, der Beruf, der Ernst des Lebens. Therese fand, daß Alfred das nicht so ausführlich 47 hätte berichten müssen. Wollte er etwa schon jetzt die Verantwortung von sich abwälzen? Sie hatte ja nichts von ihm verlangt. Er mochte tun, was er wollte. Es war schwer, ihm etwas Rechtes zu erwidern, wie es überhaupt nicht leicht war, Stoff für die Briefe zu finden, die sie ihm täglich schreiben sollte, da doch hier in der kleinen Stadt, wie sie entschuldigend und etwas übellaunig betonte, alles seinen gewohnten, langweiligen Gang weiterlief. Und was sich wirklich ereignete, das, ja gerade das konnte sie dem Liebsten natürlich nicht erzählen. Nichts von dem letzten Besuch des Grafen Benkheim, bei welchem er sehr unterhaltend und ohne allzu deutliche Anspielung auf seine eigentlichen Zwecke allerlei aus seinem Leben, insbesondere von seinen Reisen im Orient – er war in Persien als junger Mensch Gesandtschaftsattaché gewesen – erzählt hatte. Und für die nächste Zeit hätte er wieder eine Reise vor, eine Art Weltreise sogar. Und dabei hatte er Therese ernst und bedeutungsvoll ins Auge geblickt. Sie hatte dazu keine Miene verzogen. Ja, eine Weltreise, das wäre schon etwas nach ihrem Geschmack gewesen; – aber dann mit einem andern als mit einem alten Grafen. Auch von ihrem Vater hatte er gesprochen, nicht ohne Mitgefühl und mit Respekt, und bemerkt, daß es gewiß gekränkter Ehrgeiz gewesen war, der den verdienten Offizier um den Verstand gebracht habe. Therese, in Beschämung darüber, daß sie schon ganze drei Wochen sich um ihren wahnsinnigen Vater überhaupt nicht gekümmert hatte, war am Tage darauf in die Anstalt geeilt und hatte den Oberstleutnant in völligem geistigen Verfalle wiedergefunden. Doch gab er jetzt viel auf sein Äußeres. Seit seinen gesunden 48 Tagen hatte er sich nicht so sorgfältig und fein getragen. Aber die Tochter erkannte er nicht mehr und sprach zu ihr wie zu einer Fremden.
Von diesem Besuch berichtete sie an Alfred in Ausdrücken innerster Anteilnahme, ja töchterlichen Schmerzes, die, wie sie wohl fühlte, ihren tatsächlichen Empfindungen kaum entsprachen; – so wenig wie die Worte der Zärtlichkeit und Sehnsucht, die sie an den fernen Geliebten richtete. Aber was blieb ihr übrig? Sie konnte ihm unmöglich die Wahrheit schreiben; – nicht daß sie manchmal geradezu vergeblich versuchte, sich seine Züge vorzustellen, daß sie den Ton seiner Stimme zu vergessen begann, daß oft Stunden vergingen, in denen sie seiner gar nicht dachte; – viel öfter aber eines andern, an den sie eigentlich nicht hätte denken sollen und dürfen.
Eines Abends, als sie eben dabei war, ihm auf einen wehmütigen Brief zu antworten, mühselig, geradezu in Verzweiflung, erschien der Graf Benkheim. Er fragte, ob er nicht störe, sie war froh, nicht weiter schreiben zu müssen, und so kam sie ihm freundlicher entgegen, als es sonst ihre Art war. Er schien dies mißzuverstehen, rückte näher an sie heran und sprach zu ihr in einer Weise, die ihr völlig ungewohnt war. Ganz ohne Umschweife, ja, als wenn irgendwelche Gespräche zwischen ihnen stattgefunden hätten, die ihn zu solchem Ton ermutigen durften, begann er: »Also, wie denkt das kleine Fräulein über die Weltreise? Übrigens müßten wir weder nach Indien noch nach Afrika.« Er nahm ihre beiden Hände und nannte einen Ort an einem italienischen See, wo er vor Jahren einmal den Herbst verbracht hatte, in einer reizenden kleinen Villa mit 49 einem herrlichen Park. Marmorstufen führten geradenwegs in den See. Bis in den November hinein konnte man baden. In der Villa nebenan, so erzählte er weiter, wohnten drei junge Damen. Die stiegen am hellen Mittag von ihrer Terrasse aus ins Wasser, alle drei, vorher aber ließen sie ihre Mäntel fallen, unter denen sie nichts weiter anhatten. Ja, ganz nackt schwammen sie in den See hinaus. – Er rückte näher an Therese heran und wurde so zudringlich, daß sie, von Angst und Ekel erfaßt, sich ihm zu entwinden suchte. Sie sprang endlich auf, der Tisch mit der Lampe geriet ins Wanken; – die Türe öffnete sich, ein Lichtschein fiel herein, die Mutter stand da; als wäre sie eben nach Hause gekommen, den Hut schief auf der wirren Frisur, in ihrer schwarzen, altmodischen Mantille mit Perlfransen. Sie begrüßte den Grafen, bat ihn, der sich gleichfalls erhoben hatte, doch Platz zu behalten, und ließ den Blick von der Tochter rasch wieder abgleiten, da sie deren Verwirrung so wenig bemerken wollte, als sie von dem polternden Geräusch des Tisches Kenntnis genommen hatte. Ein gleichgültiges Gespräch war rasch in Gang gebracht, und da der Graf irgendeine harmlose Frage an Therese richtete, blieb dieser nichts übrig, als in gleich harmloser Weise zu antworten, was ihr ohne sonderliche Mühe gelang.
Als der Graf sich entfernte, hatte er allen Anlaß, zu glauben, daß ihm verziehen worden war, und konnte nicht ahnen, daß Theresens scheinbare Ruhe nur in dem festen Entschluß die Ursache hatte, ihre Reise-und Fluchtpläne ohne weiteren Verzug ins Werk zu setzen.
In Erwiderung auf Zeitungsannoncen schrieb sie nach Graz, Klagenfurt, Brünn, für alle Fälle auch nach 50 Wien und erbat sich die Antworten postlagernd. Sie erhielt keine, außer von Vermittlungsbureaus in Wien und Graz, die aber vor allem eine Anzahlung verlangten. Schon dachte sie aufs Geratewohl davonzufahren, aber da geschah es ihr, daß sie, anfangs zu ihrer eigenen Verwunderung, sich zu Hause besser zu behagen anfing. Die Mutter verhielt sich freundlich, es fehlte im Haushalt an nichts, und vom Grafen Benkheim war eine