Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Ðртур Шницлер
Читать онлайн книгу.Ingenieur verlobt sei, daß ihr Geplapper von neulich nur kindische Großsprecherei gewesen sei, aus Ärger über das zögernde Verhalten des Bräutigams, und daß sie darauf rechne, Therese werde niemals etwas davon verlauten lassen. Dann schwärmte sie von ihrem Verlobten und von dem stillen Glück, das ihr in dem Frieden des kleinen Gebirgsdorfs bevorstehe, wohin er als Leiter eines Eisenbahnbaues berufen sei. Sie blieb kaum eine Viertelstunde, umarmte Therese flüchtig zum Abschied und lud sie nicht zur Hochzeit ein.
21
In diesen trügerischen Vorfrühlingstagen fühlte Therese ohne eigentlichen Schmerz, wie ihre Zärtlichkeit für Max sich allmählich zu verflüchtigen begann, und die Leere, die Aussichtslosigkeit ihres Daseins kamen ihr immer bedrückender zu Bewußtsein. Die Anstalt, in der ihr Vater weilte, hatte sie seit Monaten nicht mehr betreten. Als nicht unwillkommener Vorwand für diese Versäumnis hatte ihr eine Bemerkung des Assistenzarztes anläßlich ihres letzten 62 Besuches gedient: daß nämlich der Vater von ihren Besuchen nicht den geringsten Gewinn hätte, daß sich aber für sie sein Bild immer nur nach der traurigeren Seite hin verändern und eine Erinnerung, die ihr tröstlich und verehrungswürdig sein müßte, ihr als eine quälende und gespenstische durch ihr ganzes ferneres Leben nachgehen würde. Nun aber kam plötzlich ein Brief aus der Anstalt, daß sich der Oberstleutnant, wie es bei dieser Krankheit zuweilen der Fall sei, auffallend besser befinde und den Wunsch ausgesprochen habe, seine Tochter wiederzusehen. Therese aber empfand diese Weisung bedeutungsvoller, als sie gemeint war, so etwa, als könnte ihr aus den Worten, vielleicht schon aus der Stimme des Vaters Trost, Erleuchtung, zum mindesten Beruhigung kommen. Und so wanderte sie an einem trüben, föhnigen Tag auf der Landstraße, über die der geschmolzene Schnee in kleinen schmutzigen Bächen floß, in schwerer und doch nicht hoffnungsloser Stimmung der Anstalt zu.
Als sie zu ihrem Vater in das zellenartige kleine Zimmer trat, saß er an einem Tisch mit Landkarten und Büchern vor sich, wie Therese ihn so oft zu früherer Zeit gesehen, und er wandte sich zu ihr mit einem Blick, in dem es wie früher von Vernunft, ja von Lebensfreude zu blitzen schien. Aber kaum hatte sein Blick ihre Erscheinung erfaßt, ob er sie nun erkannt hatte oder nicht – dies sollte ihr niemals klar werden –, so verzerrte sich der Ausdruck seines Gesichtes; seine Finger krampften sich zusammen, und plötzlich ergriff er einen der dicken Bände, als wollte er ihn der Tochter an den Kopf schleudern. Der Wärter fiel ihm in die Hände. Im selben Augenblick trat der Arzt ein, und sich durch einen 63 raschen Blick mit Theresen verständigend, sagte er: »Es ist Ihre Tochter, Herr Oberstleutnant. Sie haben gewünscht, sie zu sehen. Nun ist sie da. Sie wollten ihr gewiß etwas sagen. – So beruhigen Sie sich doch«, fügte er hinzu, da es dem Wärter kaum möglich war, des Wütenden Herr zu werden. Nun erhob der Oberstleutnant die rechte, freigewordene Hand, und gebieterisch wies er nach der Türe. Als Therese nicht sofort Miene machte, diesem Wink Folge zu leisten, nahm sein Auge einen so drohenden Ausdruck an, daß der Arzt selbst Therese an den Schultern faßte und rasch aus dem Zimmer zog, dessen Türe der Wärter sofort hinter ihr schloß. »Sonderbar,« sagte der Arzt auf dem Gang zu Therese, »auch wir Ärzte lassen uns doch immer wieder täuschen. Als ich ihm heute morgen von Ihrem bevorstehenden Besuch Mitteilung machte, schien er höchst erfreut. Man hätte ihm die Landkarten und Bücher nicht geben sollen.«
Beim Tor drückte er Theresen die Hand in einer anderen Weise, als es sonst seine Art zu sein pflegte, und bemerkte: »Vielleicht, Fräulein, versuchen Sie es in den nächsten Tagen doch noch einmal; ich werde – mit ihm reden; und vor allem werde ich dafür sorgen, daß er die gefährlichen Bücher nicht mehr in die Hände bekommt. Diese Lektüre scheint allerlei wieder in ihm aufzuwühlen. Schreiben Sie mir ein Wort, Fräulein, wann Sie kommen wollen; ich werde Sie am Tor erwarten.« Er sah sie seltsam an, drückte ihre Hand fester, und sie fühlte, daß es nicht gerade ihr Besuch bei dem Vater war, auf den es ihm ankam. Sie nickte ein Ja und wußte, daß sie niemals wiederkommen würde.
64 Langsam ging sie der Stadt zu. Er weiß alles, dachte sie. Darum hat er mich hinausgejagt. Was soll nun mit mir werden –? Und plötzlich, in ihre Bedrücktheit leuchtend wie ein Blitz, kam ihr der Einfall, daß Max, wenn er seinen Abschied nehme, um in das Fabrikunternehmen seines Oheims einzutreten, wovon er in der letzten Zeit manchmal sprach, sie heiraten könnte, ja, eigentlich müßte. Einer seiner Kameraden hatte erst vor wenigen Wochen den Dienst quittiert, um ein Mädchen von ziemlich zweifelhaftem Ruf zu ehelichen; während Max Therese doch als anständiges Mädchen kennengelernt und, wie nun einmal der Ausdruck lautete, verführt hatte. Zum erstenmal auch stellte sich ihr das, was zwischen ihm und ihr vorgegangen war, im Klange dieses Wortes dar, und sie lehnte sich auf. War sie nicht die Tochter eines hohen Offiziers? und, wenn auch unbemittelt, aus guter Familie? Stammte die Mutter nicht sogar aus einem alten Adelsgeschlecht? Max war es ihr einfach schuldig, sie zu seiner Frau zu machen.
Schon bei ihrem nächsten Zusammentreffen mit Max, ohne eine passende Gelegenheit abzuwarten, wagte sie eine Anspielung; Max verstand zuerst nicht recht oder wollte nicht verstehen, und Therese lächelte und küßte ihm seine üble Laune fort; – beim nächsten Mal wurde sie deutlicher, es kam zu Verstimmung, Zank und Streit; Therese, wenn auch ohne eigentliche Zärtlichkeit für Max, doch immer noch recht verliebt in ihn, gab ihre Versuche so plötzlich auf, als sie sie begonnen, und ließ die Dinge weitergehen, wie sie gehen wollten. 65
22
Der Frühling nahte, die Theatersaison ging ihrem Ende zu. Es wäre Theresen kaum aufgefallen, daß Max in der letzten Zeit öfters dienstlich verhindert war, sie bei sich zu empfangen, auch nicht, daß er einmal auf ein paar Tage, gleichfalls in einer angeblich dienstlichen Angelegenheit, hatte verreisen müssen –, wenn nicht eines Abends , als am Gasthaustisch der Name einer in der Stadt sehr beliebten Schauspielerin ausgesprochen wurde, ein Kamerad Max zugelächelt und dieser mit einer unwilligen Gebärde das verräterische Lächeln gleichsam abgewehrt hätte. Bei dem nächsten Theaterbesuch konnte es Theresen, die nun einmal mißtrauisch geworden war, nicht entgehen, daß die junge Dame, zum Aktschluß mit den übrigen Darstellern hervorgerufen, ihren Blick auf Max verweilen ließ, der in der ersten Reihe saß, und daß dieser ihr leise zunickte. Therese ließ ihre Mutter unter irgendeinem Vorwand allein nach Hause gehen und paßte den Leutnant ab, der davon sehr unangenehm berührt schien. Ihr Anerbieten, ihn in seine Wohnung zu begleiten, wies er mit der Begründung zurück, daß er mit Kameraden verabredet sei. Er wurde dann plötzlich sehr liebenswürdig, erbot sich seinerseits, Therese bis zu ihrem Haus zu begleiten, nahm ihren Arm, führte sie tatsächlich bis zu ihrem Tor und verwünschte seine Verabredung mit scheinbar so ungeheucheltem Ärger, daß sich Therese für diesmal beruhigen ließ.
Als sie die Türe zu ihrem Zimmer rasch öffnete, sah sie zu ihrem Staunen ihre Mutter, die vor der Kommode kniete und sich an der untersten Lade zu schaffen 66 machte. Nun, da Therese eintrat, schrak die Mutter heftig zusammen und stammelte: »Ich wollte nur nachsehen – deine Sachen in Ordnung bringen; du hast ja nie Zeit.« – »Mitten in der Nacht meine Sachen in Ordnung bringen –? was du nicht sagst!« – »Rege dich nicht auf, Kind, ich hab’ es wahrhaftig nicht bös gemeint.« Und verlegen setzte sie hinzu: »Du kannst ja nachschauen, ob dir was fehlt.« Sie ging, und Therese kniete sofort vor die geöffnete Lade hin. Nachdem sie Alfreds Briefe zum Teil verbrannt hatte, waren in größeren Abständen noch drei oder vier gekommen, nicht mehr von Beschimpfungen erfüllt, wie die früheren, sondern eher etwas sentimental und düster gehalten, wie wenn sich ein Gewitter allmählich in der Ferne verzöge. Von diesen Briefen fehlten etliche, und auch von den flüchtigen Billetts, die Max manchmal an sie zu schreiben pflegte, waren nicht alle mehr vorhanden. Was wollte die Mutter damit? Hatte sie etwa Erpressungsgedanken? War es einfach Neugier? Oder ein unlauteres Bedürfnis, das alternde Herz an der Vorstellung fremder Liebesabenteuer zu wärmen? Wie immer es sein mochte, Therese wußte, daß sie nicht länger mit ihrer Mutter unter einem Dache wohnen konnte. Sie begriff nicht, warum sie ihren Plan, Max zu einer Heirat zu bestimmen, so rasch aufgegeben, und beschloß, morgen ohne weiteres