Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Ðртур Шницлер
Читать онлайн книгу.eigene Fortbildung bedacht und fand Zeit, ihre Klavier-und Sprachstudien in beschränktem Maße weiter zu betreiben.
In diesem wohlgeordneten Dasein gab es kleine Ereignisse, die den gewohnten Lauf der Tage unterbrachen. Etliche Male geschah es, daß Frau Fabiani nach Wien kam, um persönlich mit Redakteuren und Verlegern zu verhandeln, und die Familie Regan bestand liebenswürdigerweise darauf, die Mutter des Fräuleins zu Tische einzuladen, bei welchen Gelegenheiten Frau Fabiani ein tadelloses, geradezu vornehmes Benehmen zur Schau trug und auch ihres Sohnes Erwähnung tat, des Medicinae-Studiosus, der trotz seiner Jugend an der Universität bereits eine politische Rolle zu spielen beginne und neulich anläßlich eines Kommersabends eine aufsehenerregende Rede gehalten habe.
Nach einem dieser mütterlichen Besuche traf Therese den Bruder, den sie wieder einige Monate lang nicht gesehen hatte, in der Stadt, und sie redeten von der Mutter, über deren letzten, in einer Wiener Zeitung laufenden Roman Karl sich in spöttisch-abschätziger Weise äußerte. Therese fühlte sich sonderbarerweise verletzt; die Geschwister nahmen kühlen Abschied; an der nächsten Ecke wandte Therese sich nach dem Bruder 157 um, und es fiel ihr auf, wie sehr er sich im Laufe weniger Jahre nicht eben zu seinem Vorteil verändert hatte. Er trug sich wohl sorgfältiger als früher, doch die leicht gesenkte Haltung des Kopfes, die etwas zu langen, schlecht geschnittenen, den Kragen streifenden Haare, der rasche, fast hüpfende Gang verliehen seinem ganzen Wesen für Therese etwas Unvornehmes, Unsicheres, Subalternes, wovon sie sich abgestoßen fühlte.
Anfangs hatte sie auch einige Male die Verpflichtung verspürt, Frau Nebling aufzusuchen, und eines Abends wohnte sie einer Operettenvorstellung bei, zu der ihr die Schauspielerin ein Billett geschenkt hatte. Mit schriller, fremder Stimme sang und spielte sie ein ältliches, männersüchtiges, aufgeputztes Weib und betrug sich in einer Weise, daß Therese sich für sie beinahe schämte und bei dem Gedanken schauerte, einer der Söhne könne aus der Fremde zurückkehren und die eigene Mutter in so unanständigem Aufzug, scharlachrot geschminkt, mit lüsternen Gebärden und Blicken, zum Gespötte selbst der Mitspielenden, wie Therese deutlich merkte, auf der Bühne umherspringen sehen.
Einmal auf der Straße war ihr, als käme ihr Kasimir Tobisch entgegen. Doch sie hatte sich getäuscht, eine Ähnlichkeit zwischen dem Vater ihres Kindes und dem an ihr vorbeistreifenden Herrn war kaum vorhanden, und als ihr in kurzen Zwischenräumen solche Irrtümer noch zwei-oder dreimal begegneten und sie immer die gleiche peinliche Erregung verspürte, erkannte sie, daß sie im Grunde Angst hatte, Kasimir Tobisch wiederzusehen; ungefähr so, als wenn er, gerade er, von ihrer weiteren Existenz, insbesondere aber von dem Dasein 158 des Kindes, seines Kindes, nie und nimmer etwas erfahren dürfe. Das Bild eines andern aber, den sie gerne wiedergesehen hätte, Alfred, täuschte ihr auch kein zufällig Begegnender vor. Ihn, von dem sie bestimmt wußte, daß er in derselben Stadt lebte wie sie, führte nie ein freundlicher Zufall ihr entgegen.
Auch die Sommerwochen mit der Familie Regan, obwohl sie jedesmal an einem anderen Gebirgsort verbracht wurden, flossen später für Therese in sonderbarer Weise wie in einen Sommeraufenthalt zusammen, und die jüngeren und älteren Herren, die sich ihr auf dem Lande zu nähern versuchten, unterschieden sich später in der Erinnerung wenig voneinander. Daß ihr von all diesen keiner wirklich nähertrat, lag vielleicht nicht so sehr an ihrem eigenen Widerstand, an ihrer Vorsicht, an ihrer Kühle – denn im Gegensatz zu manchen früheren und manchen späteren Epochen ihres Lebens schienen in jenen Jahren ihre Sinne fast in Schlummer zu liegen – als vielmehr an der in ihrer Stellung begründeten Unfreiheit, durch die immer wieder die entschiedene Fortführung einer im Entstehen begriffenen, der Abschluß einer etwas weiter gediehenen Beziehung vereitelt wurde. Und so geschah es zuweilen, daß sich in ihr der Neid auf andere regte, die es glücklicher getroffen als sie – auf manche der Damen, die an lauen Sommerabenden, wenn das Fräulein sich mit den Kindern schon auf ihre Zimmer zurückgezogen, auf dem großen erleuchteten Platz vor dem Hotel umherspazieren konnten, solange und mit wem es ihnen beliebte, oder auch im Dunkel verschwanden. Sie sah und hörte, was ihr freilich nichts Neues mehr war, wie Frauen, Mütter, junge Mädchen mit Herren vieldeutige 159 Blicke wechselten, verfängliche Reden führten, und wußte, wie sich solche Anfänge weiter zu entwickeln pflegten. Frau Regan selbst, obzwar immer noch eine hübsche, ja begehrenswerte Frau, war eine von den wenigen, die von der Atmosphäre ringsum so gut wie gar nicht berührt schien, wodurch Therese ihrerseits sich auch beruhigt, behütet, ja vielleicht bewahrt fühlte. –
Nichts deutete auf eine kommende Veränderung hin; Doktor Regan und seine Frau kamen ihr nach wie vor mit Freundlichkeit, ja mit Herzlichkeit entgegen, zwischen ihr und den Mädchen, besonders dem älteren, hatte sich fast eine Art von Freundschaft herausgebildet, und das Vierhändigspiel mit dem begabten Knaben war ihr eine liebe Gewohnheit geworden, – als eines Morgens im Juni, kurz bevor man aufs Land ziehen sollte, Frau Regan sie zu sich ins Zimmer rief und ihr, gewiß in einiger Verlegenheit, aber doch recht gefaßt und kühl, ankündigte, daß man sich entschlossen habe, eine Französin ins Haus zu nehmen, und man sich daher – freilich mit dem größten Bedauern – genötigt sehe, sie, Therese, ziehen zu lassen. Natürlich eile das nicht im geringsten, man gab ihr Wochen, Monate lang Frist, bis sie eine geeignete Stellung gefunden, und was die nächste Zeit anbelange, so stehe es ganz in Theresens Belieben, ob sie die Familie Regan in die Dolomiten begleiten oder, was ihr unter diesen Umständen vielleicht lieber sein würde, die ganzen Ferien ungestört zu ihrer Verfügung haben wolle.
Therese stand blaß, ins Herz getroffen, erklärte aber sofort – ohne von ihrer Bewegung etwas zu verraten –, von dem Entgegenkommen der Frau Regan keinerlei 160 Gebrauch zu machen und womöglich noch vor Ablauf der üblichen vierzehn Tage das Haus verlassen zu wollen. Seltsam erschien es ihr selbst, daß ihre Erschütterung nicht andauerte, ja, daß sie noch in der gleichen Stunde eine gewisse Befriedigung, wenn nicht gar Freude über die bevorstehende Veränderung in sich aufsteigen fühlte. Sie gestand sich bald, daß sie in diesem Hause keineswegs so glücklich gewesen war, als sie sich manchmal hatte einbilden wollen, und in einem zufällig in diesen Tagen stattfindenden Gespräch mit Fräulein Steinbauer, der Erzieherin in einem mit dem Reganschen befreundeten Hause, einem ältlichen, verbitterten Geschöpf, ließ sie sich unschwer überzeugen, daß sie im Hause Regan einfach ausgenützt und dann auf die Straße gesetzt worden sei, wie es eben ihrer aller sich immer wiederholendes Schicksal sei. Die gleichmäßige Liebenswürdigkeit der Frau Regan erschien ihr nun als ein Gemisch von Temperamentlosigkeit und Falschheit, das selbstzufriedene und von sich eingenommene Wesen des beliebten Arztes war ihr, wie sie nun wußte, immer in der Seele zuwider gewesen, der Knabe, wenn auch ein großes musikalisches Talent, war geistig zurückgeblieben, die beiden Mädchen; wenn man ihnen auch Fleiß nicht absprechen konnte, waren doch nur recht mäßig begabt, das jüngere schon ein wenig verdorben, das ältere nicht ohne Tücke; und daß Frau Regan die beiden Mädchen längst in die geplante Veränderung eingeweiht hatte, darüber konnte ein Zweifel kaum bestehen. Falschheit und Hinterlist überall.
Sie verließ das Haus mit Bitterkeit im Herzen und schwor sich zu, es niemals wieder zu betreten. 161
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Die nächsten Wochen verbrachte sie in Enzbach bei ihrem Kind. Die ländliche Atmosphäre beruhigte, ja beglückte sie anfangs so sehr, daß ihr der Gedanke kam, sich vorläufig um Lektionen bei den Sommerparteien zu bemühen und sich später vielleicht in dem Orte ansässig zu machen. Es war ihr diesmal, als müßte sie sich innerhalb der einfachen und ihr gegenüber meist freundlichen Menschen immer viel wohler fühlen können als in der Stadt unter den Leuten, deren Kinder sie aufziehen mußte und die sie dann vor die Türe setzten.
Es gab unter den Einheimischen gar manche, mit denen sie zuweilen zu reden pflegte und die ihr wie auch ihrem Buben eine gewisse Sympathie entgegenbrachten. Schon vor längerer Zeit hatte sie einen Vetter der Frau Leutner kennengelernt, Sebastian Stoitzner, einen noch ziemlich jungen Menschen, der vor kurzem Witwer geworden war. Er sah nicht übel aus, war wohl gewachsen, befand sich in auskömmlichen Verhältnissen und suchte nach einer zweiten Gattin, die seinem Hof und seinem Hauswesen vorstehen könnte. Es fügte sich, nicht eben zufällig, daß er öfters bei