Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

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Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


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Weise beschäftigte. Seine wachsende Neigung zu Therese war unverkennbar; Frau Leutner ließ es an überdeutlichen Anspielungen nicht fehlen, und es gab Stunden, in denen Therese ernstlich eine Verbindung mit ihm in Erwägung zog. Aber je öfter er sich 162 sehen ließ und je unverhohlener er seine Gefühle zum Ausdruck brachte, insbesondere, als er sie einmal auf einem Spaziergang mit unerwartet brutaler Leidenschaft an sich riß, fühlte sie, daß es hier eine dauernde Gemeinschaft niemals geben könne, und sie ließ es ihn so deutlich merken, daß er seine Bemühungen ein für allemal einstellte. Als nun nach seinem Verzicht wieder die Langeweile über sie kam, machte sie sich anfangs Vorwürfe darüber, daß das Beisammensein mit ihrem Kind nicht vermochte, ihr Dasein völlig auszufüllen. Aber bald sagte sie sich, daß sie bei aller Liebe zu dem Buben einfach nicht fähig war, die Untätigkeit länger zu ertragen, daß sie überdies gar nicht das Recht hatte, ein müßiges Leben auf dem Lande zu führen, ohne an ihren Beruf und vor allem ohne ans Geldverdienen zu denken.

       Inhaltsverzeichnis

      Und so war der Sommer noch lange nicht zu Ende, als sie neuerlich eine Stellung annahm, und zwar in einem, dem ersten Anschein nach, ziemlich vornehmen Haus als Erzieherin oder Gesellschafterin bei der vierzehnjährigen Tochter. Schon wenige Tage nach ihrem Eintritt reiste sie mit Mutter und Kind in einen kleinen steiermärkischen Kurort, wo man in einem schlecht geführten, nicht einmal ganz reinlichen Gasthof Wohnung nahm, während der Gatte, ein höherer Staatsbeamter, in Wien zurückgeblieben war. Die Baronin war höflich gegenüber Theresen, ohne je ein überflüssiges Wort an sie zu richten. Es gab in dem Ort fast nur alte, meist gichtkranke Leute; ein hagerer, schlecht angezogener 163 sechzigjähriger Herr, der zu Theresens Verwunderung den Namen eines großen, alten ungarischen Adelsgeschlechtes trug, mit einem Krückstock, ließ sich manchmal nach dem Mittagessen an dem Tisch der Damen nieder, unterhielt sich mit ihnen in seiner Muttersprache, sonst verkehrte man mit niemandem. Im übrigen sparte man bei den Mahlzeiten so sehr, daß sich Therese an die traurigsten Tage ihrer Jugend erinnert fühlte. Zuweilen, wenn sie mit der jungen Baronesse allein war, versuchte sie mit ihr irgendeine Art von Gespräch einzuleiten, indem sie an Begegnungen auf der Promenade und im Kurpark, an eine oder die andere lächerliche Erscheinung mit einem heiteren Wort anknüpfte. Das Mädchen aber war offenbar unfähig, irgendeinen harmlosen Scherz auch nur zu verstehen, und eine belanglose, wenn nicht alberne Antwort war alles, was Therese zu erreichen imstande war.

      In der schlimmsten Sommerhitze zog man nach Wien zurück, und die Mahlzeiten gestalteten sich keineswegs unterhaltender dadurch, daß der Hausherr daran teilnahm, der an Therese überhaupt niemals das Wort richtete. Als Therese zum erstenmal wieder Gelegenheit hatte, nach Enzbach zu fahren, atmete sie auf, wie wenn sie einem Gefängnis entronnen wäre. In der Entfernung erschien ihr das Haus der Baronin, in dem sie nun zu leben verdammt war, noch unleidlicher als sonst, ja geradezu unheimlich, und sie verstand kaum, daß sie es so lange dort ausgehalten hatte. Aus einer gewissen Trägheit, vielleicht auch ein wenig bestochen durch den Klang des adeligen Namens, schob sie ihren Abschied immer wieder hinaus, bis endlich, 164 als man sie zu Weihnachten mit einem beschämend niedrigen Geldgeschenk abfand, ihre Geduld zu Ende war und sie kündigte.

       Inhaltsverzeichnis

      Doch nun kam eine schlimme Zeit für sie. Es war, als hätte es das Schicksal darauf angelegt, sie alle Widerwärtigkeiten und Häßlichkeiten bürgerlicher Familienverhältnisse in der Nähe sehen zu lassen. Oder war es nur, daß allmählich ihre Augen sich weiter aufgetan hatten als bisher? Dreimal hintereinander sah sie in verwüstete Ehen. Zuerst waren es zwei noch junge Eheleute, die, ohne Rücksicht auf ihre zwei Kinder von sechs und acht Jahren und ohne die geringste Rücksicht auf Therese, einander während der Mahlzeiten so furchtbare Dinge ins Gesicht sagten, daß sie glaubte vor Scham vergehen zu müssen. Bei dem ersten Streit, den sie miterleben mußte, stand sie einfach von Tische auf. Als sie das ein paar Tage darauf wieder versuchte, rief der Gatte sie zurück, verlangte, daß sie bliebe, er müsse unbedingt einen Zeugen für die Beschimpfungen haben, denen er von seiner Frau ausgesetzt sei. Das nächste Mal war es wieder die Frau, die das gleiche von Theresen forderte. Die beiden sahen oft Gesellschaft bei sich, bei welcher Gelegenheit sie vor den Eingeladenen sich als glückliches Paar gebärdeten. Zuweilen aber, und das war für Therese das Unbegreiflichste, schienen sich die beiden Gatten auch wirklich aufs beste zu verstehen, und wie sonst von gegenseitigen Beschimpfungen, so war Therese manchmal auch Zeugin von Zärtlichkeiten, die sie fast noch 165 peinlicher und widerwärtiger berührten als die üblichen Zänkereien.

      Die nächste Stellung in einem wohlgehaltenen und wohlhabenden Hause, wo ihr der Beruf des Mannes, der auch abends nur selten daheim war, ein Geheimnis blieb, behagte ihr anfangs nicht übel. Das siebenjährige Mädchen, das ihrer Obhut anvertraut war, war hübsch, zutraulich und klug, die Mutter, die an manchen Tagen ihr Zimmer kaum verließ, an anderen von früh bis abends außer Hause blieb und sich um ihr Kind in einer für Therese völlig unfaßbaren Weise überhaupt nicht zu kümmern schien, kam ihr besonders freundlich entgegen; diese Freundlichkeit nahm immer zu, und allmählich nahm sie eine Form an, die Therese anfangs mit Befremden, bald mit Abscheu und endlich mit Angst erfüllte. Fluchtartig verließ sie eines Morgens, nach einer Nacht, in der sie ihr Zimmer hatte versperrt halten müssen, das Haus und schrieb am Bahnhof, von dem aus sie für ein paar Tage zu ihrem Buben nach Enzbach fuhr, an den Herrn des Hauses, daß sie plötzlich zu ihrer erkrankten Mutter habe reisen müssen.

      In der nächsten Stellung als der Erzieherin zweier aufgeweckter Knaben von sieben und acht Jahren war es das Verhalten ihres Dienstherrn, das ihr ein Verbleiben unmöglich machte. Zuerst glaubte sie gewisse Blicke und scheinbar zufällige Berührungen nur mißzuverstehen, um so mehr, als das Verhältnis zwischen dem Mann und der jungen, noch hübschen Frau ein völlig ungetrübtes zu sein schien. Bald aber konnte sich Therese über die Absichten des Gatten, der ihr im übrigen gar nicht übel gefiel, keiner Täuschung mehr hingeben, sie mußte sich gestehen, daß sie ihm auf die 166 Dauer nicht hätte Widerstand leisten können oder gar wollen, bis ein ganz brutaler Annäherungsversuch, den er eines Abends wagte, während Frau und Kinder im Nebenzimmer weilten, sie mehr mit Schrecken als mit Widerwillen erfüllte und sie wieder zu überstürztem Abschied nötigte.

       Inhaltsverzeichnis

      Nun trat sie in ein sogenanntes großes Haus ein, was die Stellenvermittlerin als einen besonderen und gewissermaßen unverdienten Glücksfall angesehen wissen und wofür sie auch mit einem besonderen Honorar bedacht werden wollte. Der Bankdirektor Emil Greitler war ein Mann von über fünfzig, von höflich-liebenswürdigem, fast diplomatisch reserviertem Benehmen; seine Gattin, unscheinbar und verblüht, hing an ihm mit unerwiderter Liebe und schaute mit Bewunderung zu ihm auf. Es waren vier Kinder da; mit den beiden älteren, einem Studenten der Rechte und einem, der sich dem Bankfach widmete, hatte Therese nichts zu tun, das dreizehnjährige Mädchen und der jüngste, neunjährige Sohn besuchten öffentliche Lehranstalten und hatten überdies so viele Privatlehrer, daß Theresens Wirksamkeit sich so ziemlich darauf beschränkte, die beiden Kinder zur Schule, von dort nach Hause und auf Spaziergängen zu begleiten. Gern hätte sie sich dem jungen Mädchen herzlicher angeschlossen, doch dieses, auch in den Gesichtszügen dem Vater ähnlich, in all ihrer Kindlichkeit unnahbar wie er, blieb ihrem gleichsam mütterlichen Werben gegenüber kühl. Therese kränkte sich anfangs, wurde dann selbst herber, ja strenger zu dem Kinde, 167 als sie gewollt, bis sich endlich eine gleichgültige Beziehung entwickelte, in der nur zuweilen eine lächerliche Gereiztheit von Theresens, eine hochmütige Verschlossenheit von Margaretens Seite an den vergeblichen, halb unbewußt geführten Kampf von früher erinnerte. Der neunjährige Siegfried war ein fröhliches, für sein Alter merkwürdig witziges Kind, dem Therese öfters sein vorlautes Wesen verweisen, über dessen spaßhafte Einfälle und Redewendungen sie aber doch, wie die anderen Leute, manchmal lachen mußte.


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