Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Ðртур Шницлер
Читать онлайн книгу.die leise Wehmut, die sie immer überkam, wenn sie auf irgendeine Weise an Alfred erinnert wurde. Dann aber erfaßte sie eine heftige Erbitterung gegen ihre Mutter, doch hielt sie nicht lange an, – ja sie mußte bald lachen, und noch am selben Abend schrieb sie ihrer Mutter halb im Scherze, wie geschmeichelt sie sich fühle, an den Werken der berühmten Schriftstellerin, was sie bisher nicht geahnt, in bescheidener Weise mitarbeiten zu dürfen.
Wenige Tage später langte eine sehr sachlich und doch zugleich herzlich gehaltene Anfrage der Mutter ein, auf welches Honorar Therese für ihre Mitarbeiterschaft Anspruch erhebe, und schon zwei Tage darauf, unerbeten, traf zwar nicht eine Geldsumme, aber einige Wäschestücke und eine weiße Batistbluse ein, die Therese zwar anfangs zurückschicken wollte, aber dann doch lieber behielt, da sie ihr sehr gelegen kamen.
Wenige Tage, ehe man aus der Sommerfrische nach Wien übersiedeln sollte, erhielt Therese einen Brief, in dem sie um ein Rendezvous ersucht wurde. Mit vollem, ihr bis dahin unbekanntem Namen unterschrieben war ein Offizier, der kein anderer sein konnte als ein 185 gewisser, sehr hagerer Oberleutnant mit schwarzem Schnurrbart, dem sie oft im Kurpark flüchtig zu begegnen und der sie mit besonders frechen Blicken zu mustern pflegte. In unverblümten Worten, die sie anfangs empörten, dann aber tief erregend in ihr nachwirkten, gestand ihr der Offizier seine Liebe, seine Leidenschaft, sein Verlangen. Nachdem sie den ganzen Tag über inneren Widerstand geleistet, fand sie sich in später Abendstunde, sobald sie die Kinder zu Bette gebracht hatte, im Kurpark ein, der Oberleutnant, der sie erwartet, trat auf sie zu, ergriff ihre Hand in wilder, fast gewalttätiger Weise; in einer dunklen Allee gingen sie eine Weile auf und ab; bald, fast ohne zu wissen, wie ihr geschah, erwiderte sie seine gierigen Küsse. Er wollte sie in noch dunklere, abgelegene Partien des Parkes locken, da riß sie sich von ihm los und ging nach Hause. Jetzt erst kam ihr zu Bewußtsein, daß sie mit dem Oberleutnant während dieses leidenschaftlichen Zusammenseins kaum zehn Worte gewechselt hatte, und sie schämte sich sehr. Morgen wollte er sie wieder erwarten, und sie nahm sich fest vor, nicht an den Ort des Stelldicheins zu kommen. Sie hatte eine schlaflose Nacht, in der ihre Sehnsucht nach ihm zu fast körperlichem Schmerze anwuchs. Mittags bekam sie einen Brief von unbekannter Hand. Er enthielt von einer »wohlmeinenden Freundin«, die ihren Namen allerdings verschwieg, den guten Rat, sich die Leute doch besser anzusehen, mit denen sie sich nachts im Kurpark herumtreibe. Jemand, der es leider wisse, mache sie darauf aufmerksam, daß der Offizier sich in diesem Kurort zur Behandlung einer gewissen, ansteckenden Krankheit aufhalte und noch lange nicht geheilt sei. 186 Hoffentlich treffe diese Warnung noch rechtzeitig ein. Therese erschrak tödlich. Sie rührte sich vom Hause nicht fort; dunkel war ihr bewußt, daß am Ende auch schon die Küsse des gestrigen Abends verhängnisvolle Folgen haben konnten. Aber sie hoffte zugleich, daß Gott sie nicht so hart strafen würde, wenn sie nur die Kraft hätte, den gefährlichen Menschen nicht wiederzusehen. Es gelang ihr tatsächlich, sich die nächsten Tage zu Hause zu halten; eine heftige Auseinandersetzung mit der Mutter ihrer Zöglinge ermöglichte es ihr, ihre Stellung vor Ablauf der Kündigungsfrist zu verlassen; auf dem Weg zum Bahnhof erblickte sie den Oberleutnant von ferne, und es glückte ihr, zu entkommen, ohne daß er sie bemerkt hätte.
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In dem Hause eines Großindustriellen, wo sie ihre nächste Stellung antrat, sollte sie, wie sich bald herausstellte, nicht so sehr als Erzieherin denn vielmehr als Pflegerin bei einem rettungslos dahinsiechenden, fast gelähmten neunjährigen Mädchen Dienste leisten. In einem ihr selbst kaum begreiflichen qualvollen Mitleid mit dem armen Kind, das sich nicht nur seiner Leiden, sondern auch des nahen Todes bewußt schien, und auch im Mitgefühl für die unglücklichen Eltern, die schon Jahre hindurch diesen Leiden hilflos zusehen mußten, glaubte sich Therese anfangs bereit, das Opfer zu bringen, das man von ihr verlangte. Aber schon nach wenigen Wochen sah sie ein, daß weder ihre körperlichen noch ihre seelischen Kräfte dem gewachsen waren, was man von ihr verlangte, und nahm ihren Abschied.
187 Von einem freundlichen Briefe ihrer Mutter bestimmt, fuhr sie für einige Tage nach Salzburg, wo sie mit Herzlichkeit empfangen wurde. Die Stellung der Frau Fabiani in der kleinen Stadt schien sich im Laufe der letzten Jahre auf das vorteilhafteste verändert zu haben. Damen der Gesellschaft besuchten ihr Haus, und Therese lernte unter anderem die Frau eines erst kürzlich hieher versetzten Majors und die Gattin eines Redakteurs kennen, die der Schriftstellerin Julia Fabiani alle nur denkbare Achtung erwiesen. Therese fühlte sich in dem Hause der Mutter wohler und doch zugleich fremder als früher – etwa so, als wenn sie nicht bei ihrer Mutter, sondern bei einer älteren Dame zu Besuch wäre, mit der sie auf Reisen vertrautere Bekanntschaft geschlossen. Als Therese gesprächsweise von allerlei Menschen erzählte, denen sie während der letzten Jahre begegnet, hörte die Mutter mit wachsendem Interesse zu, scheute sich nicht, Notizen zu machen, ja manche von Theresens Berichten wörtlich aufzuzeichnen, und erklärte ihrer Tochter endlich, daß sie darauf bestehe, ihr für solche »Berichte aus dem Leben«, die sie von ihr regelmäßig zu erhalten hoffe, ein angemessenes Honorar zu bezahlen. Auch in Salzburg hatte sich indes allerlei zugetragen: so war der Graf Benkheim, der sich um Therese bemüht, dann jene Schauspielerin, die ihm nahe gestanden, geheiratet hatte, kürzlich gestorben und hatte seiner Witwe ein bedeutendes Vermögen hinterlassen. Auch von dem Bruder wurde gesprochen, der in der Wiener Studentenschaft als Vizepräsident eines deutsch-nationalen Vereins eine immer größere Rolle spiele und nun öfters nach Salzburg komme, wo er in politisch interessierten 188 Kreisen zu verkehren pflegte. Daß er sich um seine Schwester nicht im allerentferntesten, aber auch um die Mutter nur wenig kümmerte, schien ihm diese, die nun auf ihn stolz zu werden begann, nicht weiter übelzunehmen.
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Als Therese in den letzten Oktobertagen wieder nach Wien reiste, fühlte sie sich zwar körperlich erholt, doch innerlich verarmt. Sie war im besten Einvernehmen von ihrer Mutter geschieden und wußte tiefer als je, daß sie keine hatte. Die besten Stunden, deren sie sich aus ihrem dreiwöchigen Aufenthalt in Salzburg erinnerte, waren doch diejenigen gewesen, die sie auf einsamen Spaziergängen und in der Kirche verbracht hatte, wo sie kaum jemals betete und sich doch immer beruhigt und in guter Hut fühlte.
Therese trat nun eine Stellung bei einem Landesgerichtsrat an, der mit Frau und Kindern, zusammen mit einer anderen Partei, von der man nichts sah und hörte, ein kleines Haus in einer Gartenvorstadt bewohnte. Der Landesgerichtsrat war ein schweigsamer, unfroher, aber höflicher Mann, die Mutter beschränkt und gutmütig, die beiden Töchter, zehn und zwölf Jahre alt, nicht sonderlich begabt, aber sehr gutartig und leicht lenkbar. Man lebte sparsam, aber Therese hatte nichts zu entbehren, auch was man ihr an menschlicher Teilnahme entgegenbrachte, war gerade so viel, daß sie sich weder verwöhnt und beschenkt, noch aber zurückgesetzt oder vernachlässigt erscheinen durfte.
In der gleichen Wohnung lebte als Zimmerherr ein junger Bankbeamter, der in keinerlei Verkehr mit der 189 Familie stand. Therese sah ihn nur selten im Vorzimmer, auf der Stiege; bei flüchtigen Begegnungen grüßte man einander, gelegentlich wurden ein paar Worte über das Wetter gewechselt, trotzdem empfand sie es nicht als Überraschung, sondern fast als etwas längst Erwartetes, als er sie einmal spät abends, da sie im Vorzimmer zusammentrafen, heftig in die Arme nahm und küßte. In der Nacht darauf – sie wußte kaum, ob er sie darum gebeten, ob sie es ihm versprochen – war sie bei ihm, und von dieser Nacht an, manchmal nur auf Viertelstunden – denn sie hatte immer Angst, daß die beiden Mädchen, mit denen gemeinsam sie in einem Zimmer schlief, ihre Entfernung bemerken könnten – war sie allnächtlich bei ihm. Außerhalb dieser Zeit dachte sie seiner kaum, und wenn sie ihm begegnete, kam es ihr kaum zu Bewußtsein, daß er ihr Geliebter war. Trotzdem bereute sie oft genug, daß sie so viele Jahre ihres Lebens, wie sie sich nun sagte, versäumt, daß sie seit Kasimir Tobisch keinen Geliebten gehabt hatte. Als sie anfing zu merken, daß er eine ernstlichere Leidenschaft für sie faßte und Fragen an sie richtete, die Eifersucht auf ihre Vergangenheit verrieten, hielt sie es für angezeigt, mit ihm zu brechen. Sie machte ihn glauben, daß man in der Familie des Landesgerichtsrates