Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

Читать онлайн книгу.

Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


Скачать книгу
doch immer zur Verfügung stehen. Oft gab es kleinere und größere Gesellschaften, denen sie kaum jemals beigezogen wurde. Gegen Schluß des Karnevals aber fand ein Ball statt, zu dessen Vorbereitungen Frau Greitler, die etwas leidend war, Theresens Hilfe vielfach in Anspruch genommen hatte, und so konnte sie nicht umhin, das Fräulein an der Festlichkeit teilnehmen zu lassen. Erst nach der Pause wurde sie von einem hübschen jungen Menschen mit kleinem blonden Schnurrbart zum Tanzen aufgefordert, auch die beiden jungen Herren des Hauses, der Jurist und der Bankbeamte, sowie andere Gäste tanzten mit ihr, der junge Blonde kam immer wieder und unterhielt sie in einer lustigen, etwas frechen Art, ein Dragonerleutnant reichte ihr beim Büfett ein Glas Champagner und stieß mit ihr an, ein schwarzer Krauskopf mit einem zarten und wohlgefälligen Schmiß auf der Stirn, der sie beim Tanzen ganz unverschämt an sich gedrückt, aber kaum ein Wort gesprochen hatte, wagte um drei Uhr 168 morgens so verwegene Anspielungen, daß sie tief errötete und nichts zu erwidern vermochte. Und endlich wurde sie von dem Blonden ganz einfach um ein Rendezvous gebeten. Sie wies ihn ab, aber an den Tagen, die dem Ball folgten, bei jedem Gang auf die Straße hegte sie immer wieder die Hoffnung, ihm zu begegnen, und als er eine Woche später einen Besuch im Hause abstattete, dessen bei Tische wie anderer auch Erwähnung getan wurde, empfand sie eine Art von Enttäuschung, die sich aber nicht so sehr auf dieses versäumte Wiedersehen bezog, sondern auf manche andern unwillkürlichen und unverschuldeten Versäumnisse der letzten Jahre, die ihr nun mit einem Male bewußt wurden.

      Da die Gehaltsauszahlung im Hause Greitler sich meistens um einige Tage verzögerte, war es ihr nicht aufgefallen, als einmal der ganze Monat verstrichen war, ohne daß sie ihre Entlohnung erhalten hätte. Doch als auch am nächsten Fälligkeitstag die Bezahlung ausblieb, sah sich Therese, die das Geld brauchte, genötigt, Frau Greitler zu mahnen. Sie wurde gebeten, sich nur noch ein paar Tage zu gedulden, und erhielt tatsächlich bald darauf den größeren Teil ihres Gehaltes ausbezahlt. Sie wäre nun einigermaßen beruhigt gewesen, wenn nicht am gleichen Tag das Dienstmädchen die Frage an sie gerichtet hätte, wieviel man ihr schuldig sei. Es war bisher ihr Grundsatz gewesen, sich niemals mit dem Personal eines Hauses, in dem sie selbst in Stellung war, in Unterhaltungen über die »Herrschaft« einzulassen, – diesmal konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, und so erfuhr sie bald, daß das Haus Greitler nach allen Seiten hin verschuldet, daß zum Beispiel nicht einmal die Rechnung des Zuckerbäckers vom letzten Ball her 169 beglichen sei. Therese konnte und wollte das einfach nicht glauben. Denn im Hause ging alles den alten Gang. Es wurde vornehm serviert, vortrefflich gegessen, man empfing Gäste, der Wagen stand vor dem Haus, die Sommertoiletten für die gnädige Frau waren bei einem ersten Schneider bestellt wie gewöhnlich; auch in der Laune des Herrn Greitler zeigte sich keine Änderung; er war von derselben etwas kühlen und unbeteiligten Freundlichkeit gegenüber Frau und Kindern wie bisher, verriet keine Spur von Hast oder Ungeduld, bei Tische wurde die Frage des Landaufenthalts erwogen, und kein Anzeichen ließ vermuten, daß irgendeine bedeutsame Veränderung bevorstünde. Eines Tages aber im Mai verreiste Herr Greitler, wie es häufig geschah, nahm heiteren Abschied wie gewöhnlich, in zehn Tagen sollte er wiederkommen; auch während seiner Abwesenheit veränderte sich anfangs nicht das geringste im Hause, bis eines Morgens in sehr früher Stunde eine merkwürdige Unruhe im Vorzimmer Therese erwachen und aufhorchen ließ. Zwei Stunden später meldete das Dienstmädchen, daß auch Frau Greitler plötzlich abgereist sei. Am Mittagstisch erzählte der älteste Sohn von der plötzlichen Erkrankung eines entfernten Verwandten. Doch vor Abend schon erschien Frau Greitler wieder, – totenblaß und verweint. Es ließ sich nicht länger verheimlichen, was sich ereignet hatte. Schon die Abendblätter brachten die Nachricht. Der Zusammenbruch war erfolgt; Herr Greitler war am Morgen im Eisenbahnzug, zwei Stunden weit von Wien, verhaftet worden. Frau Greitler stellte Therese frei, das Haus sofort zu verlassen, diese aber erbot sich, so lange zu bleiben, bis sie eine neue Stellung 170 gefunden hätte. Sonderbar erschien es ihr, wie rasch sich alle Familienmitglieder in den Wechsel der Verhältnisse hineinzufinden wußten, von dem äußerlich kaum etwas zu merken war. Man speiste geradeso gut wie vorher, die Kinder gingen weiter in die Schule, Margarete blieb hochmütig, wie sie gewesen, Siegfried machte weiter seine Späße, die Lehrer erschienen zu den gewohnten Stunden, auch an Besuchern fehlte es nicht; – manche waren allerdings darunter, die man früher nicht im Hause gesehen hatte, und andere blieben aus. Als Therese schied, gab ihr Frau Greitler, die gerade in diesen schweren Tagen eine ihr sonst nicht eigene Ruhe und Tatkraft gezeigt hatte, die herzlichsten Wünsche auf den Weg, der noch fällige Gehalt wurde ihr freilich nicht ausbezahlt.

      53

       Inhaltsverzeichnis

      Sie hatte die erste beste Stellung annehmen müssen, die sich ihr geboten: als »Fräulein« bei drei völlig unerzogenen Kindern zwischen sechs und zehn Jahren, mit denen sie in jeder Hinsicht ihre Plage hatte; der Vater war ein Versicherungsagent, nur abends daheim und stets von übler Laune, die Mutter eine dicke, törichte, anscheinend phlegmatische Person, die aber zwei-bis dreimal im Tage, wie anfallsweise, mit den Kindern herumzuschreien, mit jedem, der ihr in die Nähe kam, zu zanken, Therese wie einen Dienstboten abzukanzeln begann, um dann wieder in eine Art von Lethargie zu versinken, aus der weder wirtschaftliche Verpflichtungen noch das Toben der Kinder sie zu erwecken imstande waren, so daß Theresen die ganze Verantwortung aufgelastet blieb. Zwei Monate hielt 171 sie diese Existenz aus, dann kündigte sie und fuhr nach Enzbach.

      Es war nicht allein der Widerwille, die Ermüdung nach den Aufregungen der letzten Monate; es war auch eine plötzliche, von Gewissensregungen nicht ganz freie Sehnsucht nach Franz, die sie diesmal so mächtig dorthinzog. In den letzten drei Jahren hatte sie sich allzu wenig um ihn gekümmert, an seinem Wachsen und Werden kaum mehr inneren Anteil genommen. So sehr sie sich damit zu beruhigen suchte und wohl auch durfte, daß es ihr an Zeit gemangelt, daß auch an Urlaubstagen ihr körperlicher und seelischer Zustand sie selbst die kleine Reise nach Enzbach schon als Mühe empfinden ließ, so war sie sich doch klar darüber, daß allzu oft der Wunsch, ihren Buben wieder zu sehen, sich nicht eben sehr dringend gemeldet hatte; ja, daß er in den Wochen der Trennung ihr immer ferner und fremder wurde und daß sie manchmal die verhältnismäßig geringe materielle Verpflichtung gegenüber der Frau Leutner als eine Last empfand. Dies entschuldigte sie bei sich wieder damit, daß ihr Franzens Anhänglichkeit an seine Pflegemutter manchmal stärker schien als an sie selbst, daß er allmählich ein rechtes Bauernkind zu werden anfing und daß er trotzdem in gewissen Augenblicken in einer fast unheimlichen Weise dem kläglichen Menschen ähnlich sah, der sein Vater war. In der letzten Zeit nun gesellte sich diesen Regungen, wie es immer wieder geschah, ein gewisses Schuldgefühl bei, es war ihr, als hätte sie an ihrem Buben etwas gutzumachen, als müßte die Schwäche und Unsicherheit ihres mütterlichen Gefühls sich sowohl an ihr wie an ihm einmal rächen, und so kam es, daß sie die Anhöhe zu dem Leutnerschen Gehöft mit 172 einer Bangigkeit hinaufstieg, wie es schon lange nicht der Fall gewesen. Sie verspürte eine plötzliche Angst, ihren Buben krank zu finden. Tatsächlich hatte sie schon beinahe drei Wochen keinerlei Nachricht von ihm erhalten. Oder er wollte vielleicht nichts mehr von ihr wissen; er würde ihr sagen: Was kommst du denn immer wieder? Ich brauch’ dich nicht mehr.

      Und sie brach in Tränen aus, als er ihr freudig entgegenlief, wie kaum je zuvor, und sie drückte ihn ans Herz, als hätte sie sich ihn für immer wiedergewonnen. Auch die Frau Leutner erschien ihr herzlicher denn je, sie schien ganz erschrocken über Theresens schlechtes Aussehen und riet ihr dringend, doch bis zum Herbst auf dem Lande zu bleiben. Therese fühlte sich körperlich und seelisch so ermüdet, daß sie sich sofort einverstanden glaubte, und in den ersten Tagen schon erholte sie sich sichtlich. Sie hatte mehr Freude an ihrem Buben als seit langer Zeit, das Fremde seines Wesens schien diesmal geschwunden; er schloß sich ihr, was er früher nie getan, freiwillig auf kleinen Spaziergängen an, sein Blick erschien ihr, zum ersten Male eigentlich, ganz offen und frei. Seit ein paar Monaten besuchte er die Schule, und der Lehrer, mit dem sie einmal sprach, nannte ihn ein kluges und aufgewecktes Kind. Frau Leutner hatte allerlei Unerläßliches für ihn angeschafft; da Therese auch mit dem Kostgeld in Rückstand war, konnte sie die Bezahlung nicht lange aufschieben, und zum erstenmal sah sie sich genötigt, ihre Mutter um Hilfe anzugehen. Das Geld blieb einige Zeit hindurch aus, worauf sich die Haltung und die


Скачать книгу