Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

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Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


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»ich weiß doch. Aber – mit dem Zunamen?« – »Den hast du vergessen?« – »Was fällt dir denn ein, aber – entschuldige, jetzt heißt du doch jedenfalls anders.« – »Nein, ich heiße noch immer Therese Fabiani.« – »Du warst also nicht verheiratet?« – Sie schüttelte nur den Kopf. – »Aber hast du denn nicht gesagt, daß du ein Kind hast?« – »Ja, ein Kind habe ich.« – »So, so, da schau her.«

      Wieder rollte eine Tramway heran. Therese sah Kasimir Tobisch voll ins Gesicht. Jetzt wäre es wohl an ihm gewesen, weiter zu fragen, jetzt hätte er fragen dürfen, fragen müssen; und in seinem Auge schimmerte sogar etwas wie eine Frage, vielleicht sogar wie eine 380 Ahnung. Ja, gewiß war es eine Ahnung, die in seinem Auge schimmerte, und gerade darum fragte er lieber nicht.

      Die Tramway hielt, und Therese stieg ein. Von der Plattform aus sagte sie ihm noch rasch: »Du kannst mir auch telephonieren.« – »So, ein Telephon hast du gar? Dir geht’s aber gut. Ich muß immer zum Milchmeier gehen, wenn ich telephonieren will. Also, auf Wiedersehen.«

      Die Tramway rollte davon. Kasimir Tobisch blieb eine Weile stehen, winkte Theresen nach. Ihr Lächeln schwand plötzlich. Grußlos, ernst und fern ließ sie von der rückwärtigen Plattform aus ihren Blick auf ihm ruhen, sah noch, wie er sich wandte und den Weg zurück nahm. Sanft und dicht fiel der Schnee, die Straßen waren fast menschenleer. Und der Mann, der so lange Kasimir Tobisch geheißen, der Vater ihres Kindes, entschwand ihr, ein Namenloser unter anderen Namenlosen, und entschwand für immer. –

       Inhaltsverzeichnis

      Der kleine Betrag, den Therese nach dem Besuch der Agnes Leutner an Franz geschickt hatte, kam an sie zurück. Der Adressat war aus dem Inquisitenspital entlassen worden und für die Post unauffindbar. So hatte man ihn also wirklich freigelassen? Es war Theresen nicht sehr behaglich, das zu denken. Und nicht zum erstenmal erwog sie, ob es nicht geraten wäre, die Wohnung zu wechseln. Aber was sollte das helfen? Er würde sie ja doch zu finden wissen. Nur leider, es fragte sich, ob sie überhaupt in der Lage war, die bisherige Wohnung 381 weiter zu behalten. Der Zins war ihr allmählich zu hoch geworden, im Februar war er wieder fällig, und sie wußte kaum, wie sie ihn dann beisammen haben sollte. Der Kurs hatte sich aufgelöst, es mochte wohl daran liegen, daß die Eltern der Schülerinnen mit den Fortschritten nicht mehr ganz zufrieden waren. Nun, was sie leistete, sie gab sich darüber keiner Täuschung hin, war niemals sehr erheblich gewesen. Nur ihre Gewissenhaftigkeit, ihre freundliche Art, mit den Schülern umzugehen, hatten ihr geholfen, die Konkurrenz mit Lehrkräften besserer Art aufzunehmen. Wie sehr sie in den letzten Monaten nachgelassen, fühlte sie selbst.

      Doch knapp vor dem Fälligkeitstermin erhielt sie durch den Notar die Verständigung, daß aus der mütterlichen Erbschaft ein kleiner Betrag, aus dem Erlös des Mobiliars gewonnen, für sie bereit liege. Bis zum Herbst durfte sie sich nun leidlich gesichert fühlen. Das hob ihre Stimmung so sehr, daß sie mit neuer Kraft ihre Bemühungen aufzunehmen vermochte, und so fanden sich im März zwei neue, wenn auch recht schlecht bezahlte Lektionen in der Vorstadt für sie.

      Und wieder einmal kam eine Nachricht von Franz. Ein ältliches Frauenzimmer brachte den Brief: er habe eine Stelle in Aussicht, die Mutter solle ihm ein letztes Mal beistehen. Er nannte eine bestimmte Summe: hundertfünfzig Gulden. Die Forderung erschreckte sie. Er mußte offenbar wissen, daß sie etwas geerbt hatte. Wortlos sandte sie ihm den fünften Teil und beeilte sich tags darauf, was ihr noch blieb, etwa fünfhundert Gulden, in die Sparkasse zu tragen. Sie atmete auf, nachdem das geschehen war.

      382 Der Frühling war da. Und mit den ersten schmeichlerisch lauen Tagen eine wohlbekannte Mattigkeit, zugleich eine Schwermut von tieferer Art, als sie sie jemals gekannt hatte. Alles, was ihr sonst eine gewisse Erleichterung zu bringen pflegte, machte sie diesmal nur noch trauriger, kleine Spaziergänge, auch ein Theaterbesuch, den sie sich einmal vergönnte. Am traurigsten aber machte sie ein Brief von Thilda, der als verspätete Antwort einlangte auf ihre eigene Mitteilung, daß sie für Thilda des Vaters Grab mit Blumen geschmückt, und der die Andeutung enthielt, daß sie sich in anderen Umständen befände. Therese fühlte nur das eine: wie leer und hoffnungslos ihr eigenes Leben war. Und gerade in diesen Tagen war es, nach langen Monaten, daß sich unbestimmt, ohne eigentlichen Wunsch, doch seltsam quälend; wieder ihre Sinne regten. Sie hatte Träume von lüsterner Art, häßliche und schöne, aber es waren immer Unbekannte, ja Männer ohne ein bestimmtes Gesicht, in deren Umarmungen sie sich träumte. Ein einziges Mal nur war es ihr, als wandelte sie mit Richard durch die Donauauen, wo sie zuerst die Seine gewesen war. Gerade dieser Traum war völlig unsinnlich, doch sie fühlte sich wie eingehüllt von einer Zärtlichkeit, die sie gerade von ihm ersehnt hatte und die ihr niemals von ihm geworden war; eine schmerzlich-unstillbare Sehnsucht und die Erkenntnis unendlicher Einsamkeit blieben ihr zurück.

       Inhaltsverzeichnis

      Eines späten Abends im Mai klingelte es wieder einmal an ihrer Tür. Sie schrak zusammen. Gerade heute, 383 zur Bezahlung einer morgen fälligen Rechnung, hatte sie einen größeren Geldbetrag aus der Sparkasse abgehoben und zu Hause in Aufbewahrung. Und gerade darum zweifelte sie nicht, daß es Franz war, der draußen vor der Türe stand. Sie schwor sich zu, daß er keinen Kreuzer von ihr bekommen sollte. Im übrigen hatte sie das Geld so sorgfältig verborgen, daß sie überzeugt war, er könnte es nicht finden. Das Fenster stand offen, schlimmstenfalls würde sie rufen. Auf den Zehenspitzen schlich sie hinaus, zögerte, wagte nicht einmal, durchs Guckloch zu blicken – da schlug es heftig an die Tür, sie fürchtete, die Nachbarn könnten es hören, und öffnete.

      Franz, dem ersten Anschein nach besser gekleidet als sonst, sah kränker und bleicher aus denn je. »Guten Abend, Mutter«, sagte er, wollte weiter, Therese aber verstellte ihm den Eingang. »Na, was ist denn?« fragte er mit bösen Augen.

      »Was willst du?« fragte sie hart. Er schloß die Türe hinter sich. – »Kein Geld«, erwiderte er, höhnisch auflachend. »Aber wenn du mich heut nacht da möchtest schlafen lassen, Mutter.« – Sie schüttelte den Kopf. – »Für eine Nacht, Mutter. Morgen bist du mich für immer los.« – »Das kenn’ ich schon«, sagte sie. – »Ah, ist vielleicht schon wer da? Liegt vielleicht schon einer auf dem Diwan?«

      Er schob sie fort, öffnete die Tür des Wohnzimmers, blickte sich nach allen Seiten um. »In meiner Wohnung wirst du nimmer schlafen«, sagte Therese.

      »Die eine Nacht, Mutter.« – »Du hast doch irgendeine Schlafstelle, was willst du bei mir?« – »Für heute nacht bin ich ausquartiert, das kommt halt 384 vor, und für ein Hotel hab’ ich kein Geld.« – »Soviel, als du für ein Hotel brauchst, kann ich dir geben.« – Seine Augen blitzten auf. »Na, her damit, her damit!«

      Sie griff in ihre Geldbörse, reichte ihm ein paar Gulden. »Das soll alles sein?« – »Damit kannst du drei Tage im Hotel wohnen.« – »Also, meinetwegen, ich geh’.« Doch er blieb stehen. Sie sah ihn fragend an. Er fuhr fort mit höhnischem Lachen: »Ja, ich geh’, wenn du mir mein Erbteil auszahlst.« – »Was für ein Erbteil? Bist du verrückt?« – »O nein. Was mir zukommt von der Großmutter, will ich haben.« – »Was kommt dir zu?« –

      Er trat ganz nah an sie heran. »Also, pass’ einmal auf, Mutter. Du hast’s ja g’hört, du siehst mich heut zum letztenmal. Ich hab’ einen Posten, nicht da in der Stadt, draußen wo. Und ich komm’ überhaupt nie wieder. Wie soll ich denn zu meinem Erbteil kommen, wenn du’s mir jetzt nicht gibst?« – »Was redest du denn? Was für einen Anspruch hast du auf ein Erbteil, noch dazu, wo ich selbst nichts geerbt hab’.« – »Ja, glaubst du, Mutter, ich bin aufs Hirn gefallen? Glaubst du, ich weiß nicht, daß du ein Geld hast von Herrn Wohlschein und von deiner Frau Mutter? Und ich soll mir die paar Gulden zusammenbetteln, die ich dringend brauch’. So benimmt sich eine Mutter zu ihrem Sohn?« – »Ich hab’ nichts.« – »So, das werden wir gleich sehen, ob du nichts hast.«

      Er


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