Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

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Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


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Ihnen bestens. Er ist ziemlich oft auf Reisen, da sind die Abende manchmal recht einsam und lang, aber Sie wissen ja, daß ich gar nicht so ungern für mich allein bin, und so fällt es mir gar nicht ein, mich zu beklagen. Ich grüße Sie herzlich, liebes Fräulein Therese. Hoffentlich sieht man sich einmal wieder. Ihre dankbare Thilda.

      P. S. Ein Betrag für die Blumen liegt bei.«

      Lange starrte Therese auf den Brief. »Hoffentlich sieht man sich einmal wieder.« Nun, besonders verheißungsvoll klang das im Grunde nicht. Ob der Brief nicht eigentlich nur wegen der Blumen für Vaters Grab geschrieben war? Was übrigens den »Betrag« anbelangte, so lag er nicht bei. Entweder hatte Thilda vergessen, ihn beizuschließen, oder man hatte ihn herausgestohlen. Nun, es mußten ja nur ein paar Astern sein, das konnte man zur Not noch aus Eigenem bestreiten. »Wenn Sie das nächstemal auf den Friedhof gehen.« Seit dem Pfingstsonntag war Therese nicht mehr draußen gewesen. An einem der Weihnachtsfeiertage wollte sie es nachholen. Denn darum eine 364 Stunde versäumen und überdies noch Blumen kaufen, das ging doch über ihre Verhältnisse. Und den Brief wollte sie erst nachher beantworten. Frau Thilda Verkade hatte sie auch lange genug warten lassen.

       Inhaltsverzeichnis

      Wenige Abende darauf zu später Stunde tönte die Klingel. Therese blieb das Herz stehen. Ganz leise schlich sie zur Türe hin und sah durchs Guckloch. Es war nicht ihr Sohn. Eine noch junge Frauensperson stand vor der Türe, die Therese nicht gleich erkannte. »Wer ist da?« fragte sie zögernd. Eine helle, aber etwas heisere Stimme antwortete: »Eine gute, alte Bekannte. Machen S’ nur auf, Fräul’n Therese. Die Agnes bin ich, die Agnes Leutner.«

      Agnes? Was wollte die? Was mochte die ihr bringen? Wohl irgendeine Nachricht von Franz. Und sie öffnete.

      Ganz beschneit trat Agnes ein und schüttelte im Vorraum die Flocken von sich ab. »Guten Abend, Fräulein Theres’.« – »Wollen Sie nicht weiterspazieren?« – »Aber sagen S’ mir doch Du, Fräul’n Therese, wie früher.«

      Sie folgte Theresen ins Zimmer, ihr irrender Blick fiel vor allem auf den Tisch mit den blau eingeschlagenen Heften und Büchern. Therese betrachtete sie. Oh, man konnte keinen Augenblick in Zweifel sein, was für eine Art von Frauenzimmer man da vor sich hatte. Das Gesicht geschminkt, geradezu angestrichen, unter dem violetten Filzhut mit der billigen Straußenfeder, die blond gefärbten, gebrannten Locken in die Stirn fallend, große falsche Brillanten im Ohr, eine 365 imitierte, ausgefranste Astrachanjacke mit gleichem Muff – so stand sie da, frech und befangen zugleich.

      »Nehmen Sie Platz, Fräulein Agnes.« Agnes hatte den musternden, aburteilenden Blick Theresens wohl bemerkt, und in etwas höhnischem Ton, sich entschuldigend, sagte sie: »Also, ich hätte mir natürlich nicht erlaubt – wenn ich nicht mit einer Post zu Ihnen käme.«

      »Vom – Franz?«

      »Bin so frei.« Und sie setzte sich. »Nämlich, er liegt im Inquisitenspital.«

      »Um Gottes Willen«, rief Therese, und sie wußte plötzlich, daß es ihr Sohn war, der im Spital lag, vielleicht krank auf den Tod.

      Agnes beruhigte sie. »Na, es is nicht gefährlich, Fräul’n Therese, er wird schon wieder g’sund werden, noch vor der Verhandlung. Er is nämlich noch in Untersuchung. Übrigens werden s’ ihm diesmal nix nachweisen können, grad bei der G’schicht war er nicht dabei. Die Polizei erwischt ja meistens die Unrichtigen.«

      »Was fehlt ihm?«

      »Aber nix Besonders, eine Kleinigkeit.« Sie trällerte: »Das ist die Liebe ja ganz allein …«, und mit einem frechen Lachen. »Na, es dauert halt eine Weil’. Und später muß man noch achtgeben. Schon wegen der andern. Als wenn die andern achtgeben täten! Na, ich bin auch wieder g’sund worden. Und mich hat’s ordentlich g’habt! Sechs Wochen bin ich im Spital gelegen.«

      Therese wurde abwechselnd blaß und rot. Diesem Frauenzimmer gegenüber erschien sie sich wie ein junges Mädchen. Sie hatte nur den einen Wunsch, die 366 Person möglichst bald wieder draußen zu haben. Und weit von ihr abrückend, fragte sie: »Was haben Sie mir von Franz zu bestellen?«

      Agnes, sichtlich gereizt, in einem äffenden Hochdeutsch: »Was ich von ihm zu bestellen habe?! Wird wohl nicht so schwer zu erraten sein. Oder meinen S’ vielleicht, Fräul’n Theres’, sie geben denen Inkulpaten genug zu essen im Spital? Da muß einer bereits tuberkulös sein oder so was, daß sie ihm was Ordentliches geben. A Geld brauch’ er halt zur Aufbesserung der Kost. Das muß doch eine Mutter einsehn.«

      »Warum hat er mir nicht geschrieben? Wenn er krank ist … Ich hätt’s mir schon irgendwie verschafft.«

      »Er wird schon wissen, warum er nicht geschrieben hat.«

      »Ich hab’ ihm immer noch ausgeholfen, wenn ich nur selber …« Sie hielt inne. War es nicht beschämend, daß sie sich vor dieser Person gewissermaßen zu rechtfertigen suchte?

      »Na, nix für ungut, ich kann mir ja denken, daß Sie’s auch nicht grad sehr dick haben, Fräul’n Therese. Es geht einem halt bald besser, bald schlechter. Aber Sie schau’n ja noch ganz gut aus. Es kommt schon wieder einmal wer, der was auslaßt.«

      Wieder stieg Theresen das Blut in die Stirn. Diese Frauensperson – sprach sie zu ihr nicht gerade so, als wäre sie ihresgleichen? Oh, wie mußte Franz über sie zu Agnes und zu andern Leuten auch geredet haben, der Sohn über die Mutter! Wie mußte er sie sehen! Sie suchte nach einer Erwiderung und fand keine. Endlich, hilflos, stockend beinahe, sagte sie: »Ich – – ich gebe Stunden.«

      367 »Aber freilich«, erwiderte Agnes. Und mit einem verächtlichen Blick auf die Bücher und Hefte: »Man sieht’s ja. Das ist halt ein Glück, wenn man eine Bildung genossen hat. Ich möcht’ mir auch lieber meine Herren immer aussuchen können.«

      Therese erhob sich. »Gehen Sie. Ich werde dem Franz selber bringen, was er braucht.«

      Auch Agnes stand auf, langsam, wie schmollend. Aber sie schien nun selbst zu spüren, daß sie einen unrichtigen Ton angeschlagen, vielleicht auch lag ihr daran, nicht mit leeren Händen zu Franz zurückzukehren. Und so sagte sie: »No ja, wenn S’ einmal selber zu ihm ins Spital wollen – aber darauf hat er wahrscheinlich nicht gerechnet. Und Sie haben doch auch selber gar nicht dran gedacht.«

      »Ich hab’ nicht gewußt, daß er im Spital liegt.«

      »Ich ja auch nicht. Es war der reine Zufall. Ich hab’ einen alten Freund von mir dort besucht, hab’ ihm was zu essen mitgebracht. Ja, unsereiner muß sich auch allerlei absparen und verdient sich’s schwerer, das können S’ mir glauben, Fräulein Theres’, als mit Stundengeben. Na, und Sie können sich denken, Fräul’n Theres’, es war eine Überraschung, wie ich da den Franz liegen seh’, vis-à-vis von meinem Freund. Und er hat sich auch g’freut. Alte Liebe rostet nicht. Na, und wie dann ein Wort das andre gegeben hat, hab’ ich ihn gefragt, ob er nicht was braucht von draußen, und da hat er gesagt: Wenn du vielleicht zu meiner Mutter hinschauen möcht’st und sie mir vielleicht ein paar Gulden schicken tat zur Aufbesserung meiner Kost. Warum nicht, hab’ ich ihm g’sagt, deine Mutter wird sich doch auch noch an mich erinnern. Und es is ihr vielleicht 368 lieber, sie gibt mir was mit, als daß sie da herkommt ins Inquisitenspital. Das ist ja schenant für Leute, die’s nicht gewohnt sind.«

      Therese hatte zufällig noch ein paar Gulden in ihrer Geldbörse.

      »Da, nehmen Sie. Leider hab’ ich nicht mehr.« Sie merkte, daß Agnes einen Blick zum Schrank hinwarf, auch darüber also war sie durch Franz unterrichtet. – Und mit zuckenden Mundwinkeln fügte sie hinzu: »Da drin hab’ ich auch nichts mehr, vielleicht, daß ich zu Weihnachten – aber da komm’ ich schon selber.«

      »Zu Weihnachten, da is er vielleicht schon heraußen. Ich sag’ Ihnen ja, Fräulein Therese, sie werden ihm diesmal nichts beweisen können. Also, ich dank’ vielmals in seinem Namen. Und – wir sind ja wieder gut, nicht


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