Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

Читать онлайн книгу.

Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


Скачать книгу
halten versuche, daß ihre sogenannten Schülerinnen –

      In diesem Augenblick trat Herr Wohlschein ein. Es war ihm zwar nicht anzumerken, daß er die letzten Worte gehört oder gar verstanden hätte; immerhin blickte er betroffen von Karl zu Theresen hin. Karl hielt den Augenblick gekommen, sich zu entfernen. »Ich will nicht länger stören«, sagte er; und mit einer kurzen, fast höhnischen Verneigung gegenüber Wohlschein schickte er sich an, das Zimmer zu verlassen. Therese aber: »Einen Augenblick, Karl«, hielt ihn zurück. Sie stellte vor, völlig ruhig. »Doktor Karl Faber, mein Bruder; Herr Wohlschein, mein Bräutigam.« Karl verzog leicht den Mund. »Besondere Ehre.« Und er wiederholte: »Um so weniger will ich stören.« – »Pardon,« sagte Herr Wohlschein, »ich habe fast den Eindruck, als wenn ich derjenige wäre, der gestört hat.« – »Nicht im geringsten«, sagte Therese. – 342 »Gewiß nicht,« bekräftigte Karl, »kleine Meinungsverschiedenheit, wie das in Familien nicht zu vermeiden ist. Also nichts für ungut«, setzte er hinzu, »und viel Glück. Meine Verehrung, Herr Wohlschein.«

      Kaum war er zur Türe draußen, so wandte sich Therese an Wohlschein. »Verzeih, ich konnte nicht anders.« – »Wie meinst du das, daß du nicht anders konntest?« – »Ich meine, es verpflichtet dich zu nichts, daß ich dich als meinen Verlobten vorgestellt habe. Du bist nach wie vor völlig frei in deinen Entschließungen.« – »Ach so – so meinst du das. Aber ich will gar nicht frei sein, wie du das nennst,« er riß sie mit brutaler Zärtlichkeit an sich, »und jetzt möchte ich wissen, was dein Herr Bruder eigentlich von dir gewollt hat.«

      Sie war froh, daß er von der Unterhaltung nichts gehört hatte, und erzählte ihm so viel davon, als sie eben für richtig hielt. Beim Abschied stand fest, daß die Hochzeit am Pfingstsonntag stattfinden und daß die Abreise Franzens nach Amerika jedenfalls vorher erfolgen solle.

       Inhaltsverzeichnis

      Bis zu Pfingsten war es noch lang, drei Monate beinahe. Daß Herr Wohlschein die Hochzeit so weit hinausschob, hatte seine Ursache darin, daß er vorher zwei Geschäftsreisen zu erledigen hatte, nach Polen und nach Tirol; und auch darin, daß gewisse bauliche Veränderungen in der Wohnung vorgenommen werden mußten. Überdies gab es allerlei mit dem Anwalt zu besprechen, da gewisse, testamentarische Bestimmungen – »wir sind alle sterblich«, bemerkte Wohlschein – 343 besser schon vor der Hochzeit getroffen werden sollten. Therese hatte gegen den Aufschub nichts einzuwenden; es war ihr nicht unlieb, daß sie nicht alle ihre Lehrverpflichtungen kurzerhand lösen mußte, die ihr um so mehr Zerstreuung bereiteten, je weniger sie nun als eigentliche Verpflichtungen erschienen.

      Die Tage von Wohlscheins Abwesenheit, eine Woche im Februar, eine andere im März, in denen sie keine seiner plötzlichen Morgenbesuche befürchten mußte, empfand sie als Erholung; trotzdem verspürte sie zuweilen einige Sehnsucht nach ihm. Sie hatte sich doch im Laufe der letzten Monate an eine Art von Eheleben gewöhnt, das, wie sie sich nicht verhehlen konnte, in jeder Art günstig auf sie wirkte. Und an manchen Anzeichen, äußeren und inneren, spürte sie, daß ihr Dasein, auch ihr Frauendasein, noch lange nicht zu Ende war. Zu ihrer angenehmen Stimmung trug es auch bei, daß sie sich besser kleiden konnte als jemals vorher, und sie freute sich darauf, zusammen mit Wohlschein, wie er ihr versprochen, allerlei noch notwendige Neuanschaffungen zu besorgen.

      Die Osterfeiertage, bald nach Wohlscheins Rückkehr von der zweiten Reise, verbrachte sie mit ihm in einem behaglichen kleinen Gasthof der Wiener Umgebung. Es waren noch recht kühle Tage, aber die Bäume schlugen schon aus, und die ersten Sträucher blühten. Und Abende gab es in ihrem gemütlichen Zimmer, wo die beiden sich ganz als Liebespaar fühlten, so daß es ihr, als sie nach der Rückkehr viele Stunden allein in ihrer Wohnung verbrachte, manchmal vorkam, als werde sie sich in einem gemeinsamen Heim als verehelichte Wohlschein sehr gut zu behagen wissen. Köstlicher als alles 344 aber wirkte eine Karte von Thilda in ihr nach, die ihr Wohlschein gezeigt hatte: »Mit tausend Ostergrüßen für Dich und Therese« – ja, so stand es geschrieben, einfach: Therese.

      Zu einem Besuch im Gefängnis hatte sich Therese noch immer nicht entschließen können. Ihre Scheu vor diesem Wiedersehen; das doch zugleich ein Abschied auf immer sein sollte, blieb unüberwindlich. Wohlschein hatte die ganze letzte Zeit über kein Wort von Franz gesprochen, Therese nahm an, daß er sie erst verständigen wollte, bis alles erledigt sein würde. Und wirklich teilte er ihr bald nach ihrem Osterausflug mit, daß er seinen Anwalt zu Franz ins Gefängnis geschickt, daß dieser sich aber dem Amerikaplan gegenüber vorläufig unzugänglich erwiesen und erklärt habe, er sei ja nicht zur Deportation verurteilt; trotzdem war Wohlschein überzeugt, daß sich Franz durch die verbriefte Zusage eines größeren Geldbetrages, der ihm erst in Amerika ausbezahlt werden sollte, – noch umstimmen lassen würde.

       Inhaltsverzeichnis

      Einige Tage später erwartete Therese Herrn Wohlschein, der sie um zehn Uhr vormittags mit dem Wagen abholen sollte, um mit ihr, wie schon einige Male vorher, Einkäufe zu besorgen. Es war ein warmer Frühlingstag, das Fenster stand offen, und es duftete aus den nahen Wäldern. Wohlschein pflegte pünktlich zu sein; als er eine halbe Stunde nach der verabredeten Zeit noch immer nicht da war, wunderte sich Therese. Sie stand wartend am Fenster, im Mantel, eine weitere halbe Stunde verging, sie wurde unruhig und entschloß 345 sich zu telephonieren. Es meldete sich niemand. Nach einer Weile rief sie wieder an. Eine unbekannte Stimme: »Wer ist dort?« – »Ich wollte nur fragen, ob Herr Wohlschein schon von Hause weggegangen ist.« – »Wer spricht?« fragte die unbekannte Stimme. – »Therese Fabiani.« – »Oh, Fräulein – leider – leider –«, jetzt erkannte sie die Stimme, es war die des Buchhalters – »Herr Wohlschein – ja … Herr Wohlschein ist plötzlich gestorben.« – »Wie, was …?« – »Er ist heute früh tot im Bette gefunden worden.« – »Um Himmels willen!« – Klingelzeichen – sie hing das Hörrohr hin und lief die Treppe hinab.

      Sie dachte nicht daran, in die Trambahn zu steigen, sich einen Wagen zu nehmen; mechanisch, wie in einem dumpfen Traum, nicht eigentlich erschüttert, zuerst nicht einmal eilig, dann freilich immer geschwinder, nahm sie den Weg in die Zieglergasse.

      Da war das Haus. Keine Veränderung zu bemerken. Ein Wagen stand vor dem Tor, wie es häufig der Fall war. Sie eilte die Treppe hinauf, die Tür war geschlossen. Therese mußte klingeln. Das Mädchen öffnete. »Küss’ die Hand, Fräulein.« Es klang wie gewöhnlich. Einen Augenblick dachte Therese, es sei nicht wahr, sie hätte falsch verstanden oder man habe sich einen niederträchtigen Spaß mit ihr gemacht. Und sie fragte in der merkwürdigen Empfindung, als könnte ihre Frage noch etwas ändern: »Ist Herr Wohlschein –«

      Aber sie sprach nicht weiter. »Ja, wissen denn Fräulein nicht?« – Nun nickte sie rasch, machte eine sinnlos abwehrende Bewegung mit der Hand, und ohne weiter zu fragen, öffnete sie die Türe in den Salon. Um den Tisch saßen der Buchhalter und zwei Herren, die sie 346 nicht kannte, einer empfahl sich eben. Zwei Damen saßen in der Nähe des Kamins, die eine war die Schwester des Verstorbenen. Auf sie trat Therese zu: »Ist es denn wahr?« Die Schwester nickte, reichte ihr die Hand. Therese schwieg hilflos. Die Türe ins Nebenzimmer stand offen, dorthin wandte sich Therese und fühlte, wie man ihr nachschaute. Das Speisezimmer war leer. Im nächsten, dem kleinen Rauchzimmer, standen zwei Herren am Fenster und redeten angelegentlich, aber leise miteinander. Auch die Türe ins nächste Zimmer war offen. Hier stand Wohlscheins Bett. Die Umrisse eines menschlichen Körpers waren sichtbar, ein weißes Linnen war über sie gebreitet. Da lag er also, tot und so allein, wie nur Tote sind. Therese spürte nichts als Scheu und Fremdheit, immer noch keinen Schmerz. Gern wäre sie niedergekniet, irgend etwas hielt sie davon ab. Warum ließ man sie nur allein? Die Schwester hätte ihr wohl folgen können. Ob das Testament schon eröffnet war? Dachte sie jetzt daran! Es war freilich nicht bedeutungslos, das wußte sie auch in diesem Augenblick, aber alles Übrige war wichtiger. Er war tot, der Bräutigam, der Liebhaber, der gute Mensch, dem sie so viel verdankte, Thildas Vater. Ah, nun würde


Скачать книгу