Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

Читать онлайн книгу.

Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


Скачать книгу
Bettwäsche bestellt. Was raunten sie neben an? Der Unbekannte mit dem schwarzen Schnurrbart war wohl der Anwalt. Wußten die Leute überhaupt, wer sie war? Nun, die Schwester wußte es jedenfalls. Sie hätte doch wohl 347 etwas herzlicher sein können mit der Geliebten ihres Bruders. Wenn ich schon seine Frau gewesen wäre, so benähmen sie sich alle anders, das ist gewiß. Ich will wieder zu seiner Schwester hineingehen, dachte sie. Wir zwei sind ja die eigentlichen Leidtragenden, wir und Thilda. Ehe sie das Zimmer verließ, schlug sie ein Kreuz. Hätte sie nicht einen Blick auf das Antlitz des Toten tun sollen? Aber sie wünschte sich gar nicht, sein Gesicht noch einmal zu sehen – dieses etwas feiste, glänzende Gesicht; sie hatte eher Angst davor. Ja, er war etwas fett gewesen, darum wohl – – Aber er war doch noch nicht einmal fünfzig. Und sie war nun seine Witwe, ohne verheiratet gewesen zu sein.

      Auf dem Tisch im Salon stand Backwerk, Wein, Gläser. »Wollen Sie nicht etwas nehmen, Fräulein Fabiani?« fragte die Schwester. – »Danke«, sagte Therese, nahm nichts, aber setzte sich zu den Damen. Die Schwester stellte vor. Den Namen der Dame verstand Therese nicht. Und nun kam der ihre: »Fräulein Fabiani, die langjährige Lehrerin von Thilda.« Die Dame reichte Theresen die Hand. »Das arme Kind«, bemerkte die Dame. Die Schwester nickte. »Jetzt wird sie wohl das Telegramm schon haben.« – »Lebt sie in Amsterdam oder im Haag?« fragte die Fremde. – »In Amsterdam«, erwiderte die Schwester. – »Waren Sie einmal in Holland?« – »Nein, noch nie. In diesem Sommer wollte ich hin – mit meinem armen Bruder.« – Kurzes Schweigen. – »Er war doch nie so eigentlich leidend gewesen«, meinte die fremde Dame. – »Manchmal ein wenig Herzschmerzen«, erwiderte die Schwester, und zu Theresen: »Wollen Sie nicht doch etwas nehmen, Fräulein Fabiani? Einen Schluck Wein?« – Therese 348 trank. Ein Herr kam; ältlich, in grauem Sommeranzug. Mit ergriffener Miene, runden Traueraugen, die im Zimmer umherirrten, schritt er auf die Schwester zu, drückte ihr die Hand, zweimal, dreimal. »Es ist ja furchtbar, so unerwartet.« – Die Schwester seufzte. Nun drückte er Theresen die Hand und merkte, daß er sie nicht kannte. Die Schwester stellte vor. Den Namen des Herrn verstand Therese nicht. Dann: »Fräulein Fabiani, eine langjährige Lehrerin meiner Nichte Thilda.«

      »Das arme Kind«, bemerkte der Herr. Therese empfahl sich, man hielt sie nicht zurück.

      96

       Inhaltsverzeichnis

      In seinen letztwilligen Verfügungen hatte Wohlschein ein ganz einfaches Begräbnis bestimmt. Universalerbin war Thilda. Legate waren ausgesetzt für wohltätige Zwecke; für seine geschiedene Frau war ausreichend gesorgt, die langjährigen Angestellten aus der Fabrik waren nicht vergessen, die Dienstboten gingen nicht leer aus, die Klavierlehrerin, zwei frühere Erzieherinnen Thildas und Fräulein Therese Fabiani, diese nach einem Kodizill aus dem vergangenen Sommer, erbten je tausend Gulden. Durch eine besondere Verfügung war dafür gesorgt, daß die Legatare sofort nach Eröffnung des Testaments verständigt werden und ihre Anteile ausbezahlt erhalten sollten.

      Therese war zum Anwalt beschieden, um den für sie bestimmten Betrag persönlich in Empfang zu nehmen. Der Anwalt, in dem sie einen der Herren erkannte, die sie am Todestag in der Wohnung des Verstorbenen 349 angetroffen hatte, schien eingeweiht, und er bemerkte bedauernd zu Fräulein Fabiani, daß Herr Wohlschein leider allzu früh abberufen worden sei. Er habe, wie der Anwalt nicht verschwieg, kurz vor seinem Tode die Absicht geäußert, wesentliche Änderungen an dem Testament vorzunehmen, dies aber nach leidiger Gewohnheit immer aufgeschoben, bis es zu spät geworden war.

      Therese war kaum enttäuscht. Sie merkte nun erst, daß sie niemals ernstlich erwartet hatte, Frau Therese Wohlschein zu heißen, daß sie nie geglaubt hatte, es würde ihr jemals ein ruhiges, sorgenfreies Leben beschieden sein und sie könnte je die Stiefmutter von Frau Thilda Verkade werden.

      Wie andere Verwandte und Bekannte stand auch sie am nächsten Morgen an Wohlscheins Grabe, und wie jene andern ließ sie eine Erdscholle auf den Sarg gleiten. Auch Thilda war anwesend; ein Blick wurde zwischen den beiden Frauen über das Grab hin gewechselt, und in den Augen Thildas schimmerte so viel Wärme und Verstehen, daß in Therese eine unbestimmte Hoffnung und fast eine Ahnung von Glück aufstieg. Ganz in Schwarz, am Arme ihres hochgewachsenen Gemahls, ihm so nah, wie sich Therese Thilda niemals an irgendeines Menschen Seite geschmiegt hatte vorstellen können – so sah Therese sie nach Abschluß der Zeremonie durch das Friedhoftor schreiten und verschwinden. Am nächsten Nachmittag hätte Therese auf Thildas Wunsch sie in der Zieglergasse besuchen sollen, sie fand die Kraft nicht, hinzugehen. Am nächsten Morgen, als sie vorsprechen wollte, war die Tochter des Verstorbenen mit ihrem Gatten schon abgereist.

       Inhaltsverzeichnis

      350 Und nun war sie allein, so völlig allein, wie sie es noch nie gewesen war. Sie hatte Wohlschein niemals geliebt. Und doch, an manchem Abend, wie schmerzlich-qualvoll war es, daß diese Türe sich niemals wieder öffnen, daß die Klingel draußen niemals sein Kommen wieder anzeigen sollte.

      Und einmal klingelte es doch am späten Abend. Ihr Wissen um das unwiderrufliche Entschwundensein Wohlscheins war noch nicht so eins mit ihr geworden, daß sie den Bruchteil einer Sekunde nicht gedacht hätte: – Er! Was will er denn noch so spät? – Freilich, noch ehe sie sich erhob, wußte sie, daß es jeder sein konnte, nur nicht er.

      Es war Franz, der vor der Türe stand. War er schon frei? Im schlecht beleuchteten Stiegenhaus, die Kappe in die Stirn gedrückt, einen Zigarettenstummel zwischen den Lippen, hager und blaß, den Blick zugleich flatternd und gesenkt, sah er eher bedauernswert als gefährlich aus. Therese aber fühlte nichts; weder Angst noch Mitleid. Am ehesten noch eine gewisse Befriedigung, wenn nicht gar eine kleine Freude, daß doch irgend jemand kam und sie für eine Weile von dem furchtbaren Druck des Alleinseins befreien würde, der auf ihr lastete. Und milde sagte sie: »Guten Abend, Franz.«

      Er schaute auf, wie verwundert über den milden, fast liebevollen Ton ihrer Begrüßung. »Guten Abend, Mutter.« – Sie reichte ihm die Hand, behielt sogar die seine in der ihren, während sie ihn hereingeleitete. Sie machte Licht. »Setz’ dich.« Er blieb stehen. »Also du 351 bist schon frei?« Sie sagte es ganz ohne Betonung, wie wenn sie gefragt hätte: Du bist schon von der Reise zurück?

      »Ja«, sagte er. »Seit gestern schon. Wegen braver Aufführung habens’ mir eine Wochen g’schenkt. Was, da schaust, Mutter. Also keine Angst brauchst nicht haben. Quartier hab’ ich auch schon. Aber sonst nichts.« Er lachte kurz.

      Ohne erst zu antworten, deckte Therese den Tisch für ihn, setzte ihm vor, was sie eben zu Hause hatte, und schenkte ihm Wein ein.

      Er ließ es sich schmecken. Und da er sogar ein Stück geräucherten Lachs aufgetischt bekam, sagte er: »Dir geht’s ja gut, Mutter.« In seinem Ton lag nun mit einem Male eine Forderung, beinahe eine Drohung.

      Sie sagte: »Nicht gar so gut, wie du glaubst.«

      Er lachte auf. »Na, ich trag’ dir nix fort, Mutter.«

      »Möchtest auch nicht mehr viel finden.«

      »Na, Gott sei Dank, – es wird ja bald wieder nachgeliefert.«

      »Ich wüßt’ nicht, woher.«

      Franz blickte sie böse an. »Bin ja nicht wegen Einbruch gesessen. Wenn einer sein Tascherl liegen laßt, da kann ich ja nix dafür. Mein Verteidiger hat auch gesagt, man könnte mich höchstens wegen Fundverheimlichung verurteilen.«

      Sie wehrte ab. »Ich hab’ dich um nichts gefragt, Franz.«

      Er aß weiter. Dann plötzlich: »Aber mit Amerika is nix. Ich kann mich hier auch fortbringen. Übermorgen tret’ ich einen Posten an. Jawohl. Man hat, 352 Gott sei Dank, noch Freunde, die einen nicht im Stich lassen, auch wenn man einmal Malheur g’habt hat.«

      Therese zuckte die Achseln. »Warum soll ein gesunder


Скачать книгу