Unsere liebe Sisi. Gabriele Praschl-Bichler
Читать онлайн книгу.bereithält, haben wir diesen Titel gewählt, der – hoffentlich – dennoch aufhorchen läßt. Denn die Worte »Unsere liebe Sisi …« stammen – ähnlich wie die oft verwendete Bemerkung »Unsere arme Sisi …« – aus der Feder Erzherzogin Sophies, der vermeintlich bösen Schwiegermutter Kaiserin Elisabeths. Sie sollen gleich zu Beginn darauf hinweisen, daß in diesem Band mit der so hartnäckig falsch eingeschätzten Beziehung zwischen den beiden Frauen auf geräumt wird. Denn in Wirklichkeit liebte und schätzte die Schwiegermutter die Schwiegertochter. Solange Erzherzogin Sophie lebte, stand sie unter ihrem Charme. Sie war unendlich stolz auf die Schönheit Elisabeths, verglich sie oft mit anderen schönen Frauen, um immer zu dem Schluß zu gelangen, daß ihr niemand den Platz an vorderster Stelle streitig machen konnte. Und auch was das Verhältnis zwischen den beiden Damen anlangte, hätte es nicht besser und inniger sein können. Sophie war Elisabeth Freundin, Mutterersatz und Trösterin in vielen Lebenslagen. Denn die Kaiserin weinte sich – wie in den Briefen zu lesen ist – ziemlich häufig bei ihrer Schwiegermutter aus. Diese und viele andere unbekannten Neuigkeiten aufzuzeigen ist der schöne Hauptinhalt dieses Bandes: Ich möchte anhand der Habsburger Privatkorrespondenz die Geschichte der beiden Frauen nacherzählen, so, wie sie stattgefunden hat und nicht wie sie durch die Märchenfilm-Trilogie mit Romy Schneider verzerrt und falsch dargestellt wurde.
Obwohl mich die ständige Beschäftigung mit den Briefen der kaiserlichen Familie schon lange in eine ganz andere als die landläufige Richtung gelenkt hatte, und ich seit etwa dreizehn, vierzehn Jahren meine Bedenken zur steten negativen Darstellung der Kaisermutter äußere, glaubte mir niemand, daß das Habsburger Familienleben ganz anders war, als man allgemein annahm. Daß Erzherzogin Sophie sein warmherziger und intellektueller Mittelpunkt war, fand man schlichtweg unmöglich. Viele Wissenschaftler warfen mir vor, mit dieser Botschaft als »kaiserliche Jubelliteratin« hervortreten zu wollen, oder drängten mich politisch in die Ecke der Monarchistin1. Warum? Ich weiß es nicht. Ich wollte eigentlich nur anhand von schriftlichem Material, das ich in Habsburger Privatnachlässen gefunden hatte, die herkömmlich schlechte Meinung über Erzherzogin Sophie und das vermeintlich steife und zeremonielle Leben der Familie korrigieren. Dabei mußte ich feststellen, daß es wesentlich schwieriger ist, jemanden von einem falschen/bösen Urteil zu befreien, als Abschätziges über ihn zu verbreiten. Skandalgeschichten und garstigen Gerüchten wird eher geglaubt als der Botschaft, daß eine Person, von der man dachte, sie wäre garstig gewesen, in Wahrheit gut, freundlich und immer wohlwollend war. Die Öffentlichkeit will, daß Erzherzogin Sophie eine böse Frau und Schwiegermutter war. Schließlich »weiß« man aus der einschlägigen Literatur (= aus Märchenbüchern), daß Stief- und Schwiegermütter mißgünstige Personen sind. Außerdem mußte das Märtyrerbild der »armen« Kaiserin Elisabeth, das man ihr im 20. Jahrhundert angedichtet hatte, aufrechterhalten werden. Da Kaiserin Elisabeth schöner als Erzherzogin Sophie war, muß sie zwangsläufig auch der bessere Mensch gewesen sein. Es ist eine bewiesene Tatsache, daß man gutaussehenden Menschen die Gutheit und Ehrlichkeit eher abkauft als weniger gutaussehenden2. In Wahrheit schneidet Kaiserin Elisabeth im Vergleich mit ihrer Schwiegermutter auf jeden Fall schlechter ab. Denn die üble Nachrede, der die Schwiegermutter ausgesetzt war und ist, stammt ausschließlich von ihr. Sie hat ab dem Tod Erzherzogin Sophies sehr herabwürdigend über sie gesprochen, obwohl sie zu deren Lebzeiten ein besonders gutes Verhältnis zu ihr hatte. Warum Kaiserin Elisabeth ihre Schwiegermutter und direkte Tante posthum zur Unperson und Feindin abstempelte, hängt hauptsächlich mit ihrem eigenwilligen, sehr auf sich bezogenen Charakter zusammen. Ich habe mich dieser Problematik schon früher einmal in einem Buch (»Kaiserin Elisabeth – Mythos und Wahrheit«) gewidmet und zwei Psychotherapeuten, Dr. Gerti Senger und Dr. Walter Hoffmann, um ihre diesbezügliche Meinung gefragt. Sie meinten, daß der Ausgangspunkt allen Unheils das schwierige Verhältnis Elisabeths zu ihrer eigenen Mutter, Herzogin Ludovika in Bayern war: »Wie viele neurotische Menschen verleugnete Sisi ihre negativen Gefühle gegenüber der eigenen Mutter. In all dem, was Elisabeth nachträglich in der Beziehung zu Erzherzogin Sophie kritisierte, scheint es sich um eine Verschiebung aller jener negativen Gefühlsanteile zu handeln, die eigentlich ihrer leiblichen Mutter gegolten hätten …« (ebenda, S. 212 f.) Konkret war Elisabeth eifersüchtig auf die außerordentlich gute Beziehung ihres Bruders Carl Theodor (in der Familie »Gackel« genannt) zu ihrer gemeinsamen Mutter, deren Lieblingskind er war. Sonderbarerweise schloß diese »Kränkung« nicht aus, daß dieser Bruder auch Elisabeths absoluter Liebling unter allen Geschwistern war.
Wie kam es nun aber, daß bis in letzter Zeit die Habsburger Geschichte nur diese eine Variante, das schlechte Verhältnis Elisabeths zu ihrer Schwiegermutter, kannte? Um das genau zu verstehen, muß man kurz auf die drei bekanntesten Biographien der Kaiserin eingehen. Der erste Biograph Egon Cäsar Conte Corti3 (er begann mit seinen Recherchen in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts und veröffentlichte sein Buch über Elisabeth 1934) hatte zwar Kontakt zu direkten Nachkommen der Kaiserin, die Kinder ihrer Tochter Erzherzogin Marie Valerie waren. Diese Enkel hatten aber weder ihre Großmutter, Kaiserin Elisabeth, geschweige denn ihre Urgroßmutter, Erzherzogin Sophie, gekannt. Nicht einmal Marie Valerie hatte sich ein urteilsfreies Bild von ihrer Großmutter bilden können, da sie erst vier Jahre alt war, als sie starb. Da Marie Valerie die Lieblingstochter der Kaiserin war (sie hat sie »die Einzige« genannt), wußte sie immer mehr von ihr und ihrer Geschichte als ihre Geschwister Gisela und Rudolph. Kaiserin Elisabeth hat sich eigentlich nur diesem einen Kind anvertraut und ihr die Geschichten aus ihrer Vergangenheit – vor allem vom gemeinsamen Familienleben mit den Habsburgern – in den schwärzesten Farben dargestellt. Das ist deswegen so sonderbar, da sie den Alltag in der aktuellen Epoche gar nicht so schlimm empfand. In hunderten Briefen läßt sich nachlesen, daß damals große Harmonie herrschte, Elisabeth sich vor allem gerne ihrer Schwiegermutter anvertraute und sich in der Frühzeit ihrer Ehe häufig bei ihr ausweinte. Das stete Klagen und Verzweifelt-Sein gehört zu den auffälligsten Merkmalen dieser Epoche. Und obwohl Erzherzogin Sophie damals ihr innigster und selbst gewählter Ansprechpartner war, erzählte sie ihrer Tochter, der »Einzigen«, später nur den bösesten Tratsch über die verstorbene Schwiegermutter. Marie Valerie hat das, was sie von ihrer Mutter gehört und erfahren hatte, mit bestem Wissen und Gewissen an ihre Kinder weitergegeben. So können wir am Ende dieses Absatzes feststellen, daß Elisabeths erster Biograph Egon Cäsar Conte Corti zwar direkten Zugang zur kaiserlichen Familie hatte, aber die Informationen zu diesem Thema nur in verzerrter Form erhielt. Die Nachkommen erlaubten ihm zwar sogar, das private Familienarchiv zu verwenden, dennoch fehlen in seinem Buch Originalzitate aus der Korrespondenz, die Aufschluß über die wahren Verhältnisse geben könnten. Ich glaube nicht, daß man ihm diese Briefe vorenthielt, sondern bin eher der Meinung, daß die diesbezüglichen Dokumente früher vernichtet worden waren. Die meisten in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeiten verfügten damals, daß ihr Schrifttum nach ihrem Tod vertilgt werde. Auch Kaiserin Elisabeth gab zu Lebzeiten viele Anordnungen, was mit ihrem schriftlichen Nachlaß zu geschehen habe. Dadurch ging viel ursprüngliches und wahres Material verloren, weshalb Bemerkungen zu den passenden Themen in der Biographie Cortis fehlen. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als sich ungewollt in Vermutungen und Annahmen zu flüchten. Außerdem übernahm er die üble Nachrede über Erzherzogin Sophie (das ist am stärksten bei den Kapiteln über die Verlobung und Kindererziehung zu bemerken), weil er von den Nachkommen Kaiserin Elisabeths eben nur Schlechtes über sie in Erfahrung bringen konnte.
Als in den folgenden Jahrzehnten zwei weitere Elisabeth-Biographien4 erschienen, konnte das Bild Erzherzogin Sophies wieder nicht korrigiert werden. Denn das darin enthaltene neue Material – Briefe und Tagebucheintragungen – stammte von Hofdamen und anderen Vertrauensleuten und war im Tonfall dem Corti-Buch sehr ähnlich. Es hatten sich mittlerweile einige historische Irrtümer eingebürgert, die die meisten Historiker bis heute eisern beibehalten. Das Beharren auf diesen Fehlern ist deshalb so verwunderlich, da seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine Menge »widersprüchliches« Material (Hofdamenbriefe, Korrespondenzen, Autobiographien abgedankter Herrscher und naher Verwandter der österreichischen