Unsere liebe Sisi. Gabriele Praschl-Bichler

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Unsere liebe Sisi - Gabriele  Praschl-Bichler


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      Elisabeth ordnete und sortierte ihre Schriften in späteren Jahren selbst, teilweise datierte sie sie sogar im nachhinein, wodurch es – wovon später noch zu sprechen sein wird – zu einer Menge Irrtümern kam. Da sie hauptsächlich in den achtziger Jahren schrieb, wird sie wohl auch in dieser Epoche die früheren Gedichte zeitlich festgelegt haben.

       Die Privat-Korrespondenz der kaiserlichen Familie

      Obwohl ich seit meiner Kindheit wußte, daß ich mich später einmal beruflich ausschließlich der Kunst und der Kunstgeschichte widmen wollte, hat mir der Zufall eines Tages ein völlig anderes wissenschaftliches Thema zugespielt, dem ich mich – vor allem auf Wunsch meiner Verleger – künftighin widmen sollte. Denn eines Tages sind plötzlich die Habsburger in mein Leben getreten: Konkret waren es Nachkommen der österreichischen Kaiserfamilie, mit denen ich seit Jahren befreundet war. Nachdem einige Verwandte gestorben waren, luden sie mich ein, die schriftliche Hinterlassenschaft gemeinsam mit ihnen zu begutachten und herauszufinden, ob sich darunter etwas historisch Interessantes befand. Lustigerweise wußte niemand, worum genau es sich bei dem Nachlaß handelte. Man hatte von alten Photographien gehört und auch von einigem Schriftmaterial. Alles zusammen war in schlichten Holzkisten untergebracht. Die Behältnisse waren bald gefunden und geöffnet und boten in ihrem Inneren bündelweise Briefe, die weder beschriftet noch auf irgendeine Weise sortiert waren. Die Schreiben selbst, in kleiner, zierlicher Schrift verfaßt, besaßen außer Monogrammen keine Hinweise auf ihre Absender. Und auch die Unterschriften – abermals nur Einzelbuchstaben – ließen zunächst keine genauen Zuordnungen zu. Das machte die Sache recht spannend. Noch spannender wurde es, die Briefe zu lesen. Sie sind in der uns heute ungeläufigen Kurrent- oder Sütterlinschrift geschrieben und zudem von zahlreichen französischen und italienischen Einschüben durchsetzt. Ich versuchte, mich zunächst Wort für Wort in die alte Schrift einzulesen, und dann, die unterschiedlichen »Hände« einzelnen Personen zuzuordnen. Die verschiedenen Schriften – nur zwei sind größerformatig und einfacher zu lesen – befinden sich auf Briefpapier, das nur wenig größer als Postkartenformat ist. Die Blätter sind dicht beschrieben, bis zu dreißig Zeilen pro Seite, und mit etlichen Einschüben versehen. Die Briefe sind meist zumindest acht Seiten lang. Wenn es außerordentlich Wichtiges zu berichten gab, konnten sie sogar vierundzwanzig Seiten und mehr erreichen.

      Als ich nach einigen Monaten die Schriften endlich flüssig lesen konnte, staunte ich nicht schlecht über die Inhalte und die Urheber der Briefe. Denn die eifrigen Schreiber entpuppten sich als die nächste Familie Kaiser Franz Josephs. Die meisten Briefe stammen von seiner Mutter Erzherzogin Sophie und seinen drei Brüdern, den Erzherzogen Ferdinand Maximilian (dem späteren Kaiser von Mexiko), Carl Ludwig (dem Vater des Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand und Großvater Kaiser Karls) und Ludwig Victor sowie von einigen anderen Verwandten. Da sie oftmals weit voneinander entfernt lebten, hielten sie – in einer Zeit ohne Telekommunikation – auf diese Weise miteinander Kontakt. Die eifrigste Schreiberin war Erzherzogin Sophie, die sich mit ihren zahlreichen Geschwistern, ihren vier erwachsen gewordenen Kindern und ihren Schwiegertöchtern regelmäßig austauschte. Da alle antworteten und sich natürlich auch untereinander schrieben, enthält diese Familienkorrespondenz nicht nur ein dichtmaschiges Netz an kaiserlicher Alltagsgeschichte, sondern auch an aktuellen Tagesereignissen. In den in diesem Buch erstmals veröffentlichten Briefen erfährt man erstaunlich viel über das Privatleben der Habsburger. Innerhalb ihres kleinen Kreises plauderten sie frei und ungezwungen und korrespondierten eigentlich über alle Themen. Heitere, spannende, aber auch traurige Geschichten wechseln sich innerhalb weniger Zeilen ab. Denn in einem derart personenreichen Haushalt (in Schloß Schönbrunn und in der Hofburg haben jeweils an die zwanzig Familienmitglieder gelebt, von denen jedes einzelne über vier, fünf Leute Gefolgschaft verfügte, Diener und Küchenpersonal noch nicht miteingerechnet) fiel auch täglich eine Menge Überraschendes an.

      Da der Nachlaß mehrere tausend Briefe umfaßt, die in einem einzigen Buch klarerweise nicht wiedergegeben werden können, mußte eine sinnvolle Auswahl getroffen werden. Ich habe es mir zu Aufgabe gemacht, die unterhaltsamsten Schriftstücke zu veröffentlichen, um keine Langeweile aufkommen zu lassen. Aus zahlreichen Briefen habe ich die inhaltlich interessantesten herausgefiltert, denn auch im Haushalt eines der ältesten und berühmtesten Herrscherhäuser Europas war nicht jeder Tag ereignisreich und geschichtsträchtig. Grob gesprochen enthält etwa jeder hundertste Brief eine Botschaft, die es wert ist, mitgeteilt zu werden. Und auch dieses hundertste Schreiben beginnt mit einer langen, beinahe immer gleichlautenden Einleitung: Man bedankt sich höflich für ein erhaltenes Schreiben, entschuldigt sich, daß man nicht augenblicklich darauf antwortete und nennt den Grund, der einen daran hinderte. Dann folgen meist ausführliche Beschreibungen des Befindens der einzelnen Familienmitglieder und nächsten Verwandten, aber auch der Gefolgsleute und der Bediensteten. Da sie jahrzehntelang mit einem den Haushalt teilten, hatten sie den Status von Freunden und Verwandten, weshalb einem ihr Schicksal nicht minder am Herzen lag.

      Besonders eingehend wurde über Kranke berichtet, über den Ursprung und Verlauf der Krankheit, über die Meinungen der verschiedenen Ärzte, welche Mittel genommen und welche Therapien angewendet wurden, wie lange die Kuren dauerten und für wann man Genesung erhoffen durfte. Da die Familie sehr zahlreich war, gab es auch ständig Kranke. Die Kinder hatten die üblichen Kinderkrankheiten, in den Wintermonaten litten die meisten Habsburger an Grippe, viele von ihnen – wie Erzherzogin Sophie sowie die meisten ihrer Geschwister und Kinder – klagten (in einer Zeit ohne Schmerzmittel) lebenslang über Migräne, einige Familienmitglieder hatten schwere chronische Leiden. Beinahe alle fürchteten Epidemien (im 19. Jahrhundert brachen noch häufig Diphterie, Scharlach, Typhus und Cholera aus), vor denen man hunderte Kilometer weit in einen anderen Haushalt flüchtete. Das gab wiederum einen Anlaß, sich ausführliche Briefe über die Vorbereitungen


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